Mailand 25. August 1891.
Lieber Bebi!
Vielleicht hast du durch jemand anders schon erfahren, dass ich meinen
Ferienaufenthalt in Mailand genommen habe. Ich kam nach hause, und als ich dort
mit meinem Projekt nach München zu gehen, auf bedeutenden Widerstand stiess,
war ich leicht zu bewegen meinen Domicil(lat.) Wohnsitz (im Italienischen maskulin). hier zu nehmen, zumal es nicht meine
Neigung ist zweimal dieselbe Stadt zu besuchen, wenn es noch so viele andere
giebt, die man noch
nicht gesehen. Ich reiste also ab, mit einem versproch. Credithier: eine Auszahlung aus Donald Wedekinds väterlichem Erbe, das von Armin Wedekind verwaltet wurde. von 350. frs, von dem mir Hami aber erst 200 mitgab. Nun am Ende
des ersten Monats, da ich mich | der 200 frs entblösst sehe, und für die noch rückständige
Summe von 150. frs bitte, allerdings mit einem Zuschuss von noch einmal 150 frs, so dass mein ganzes
Verlangen auf 300 frs gieng, von
denen aber die Hälfte mir schon zugesagt war, schreibt mir MamaDas Schreiben von Emilie Wedekind an Donald Wedekind ist nicht überliefert. Den hier von Donald Wedekind nur paraphrasierten Inhalt, gibt Frank Wedekind in einem Brief an seine Mutter, um sie zur Zahlung der ausstehende Summe für den Bruder zu bewegen, als ihm angeblich von Donald mitgeteilte wörtliche Abschrift einer Postkarte wieder: „Lieber Donald / Da du mit deinem Gelde zu Ende bist, so mußt du eben sehen, wie du wieder herkommst. Ich schicke dir keines mehr. / Deine treue Mutter / E. Wedekind.“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.8.1891] rundweg, ich
bekomme gar nichts mehr, ich solle selbst sehen, wie ich wieder heimkomme. Da
ich nun unter 150. frs gar nicht hier loskommen kann, so bitte ich dich, anbetrachtSchreibversehen, statt: in Anbetracht. meiner
baldigen MündigkeitserklärungAm 4.11.1891 wurde Donald Wedekind 20 Jahre alt und war damit volljährig; damit hatte er auch Zugriff auf sein Erbe. am 4 Nov. doch bei Hami Schritte zu tun, damit man mir zum mindesten so viel schickt damit ich loskommen
kann und nicht dieser LapalieSchreibversehen, statt: Lappalie (= Kleinigkeit). wegen meine ganze Carrière(frz.) Karriere, Laufbahn, Werdegang. verderbe. Bitte, |
tuheSchreibversehen, statt: thue. also etwas für mich, ich habe wahrhaftig nicht gedacht, dass ich dich 2
Monat vor meinem Majorathier: Volljährigkeit. noch einmal belästigen müsse, aber ich hätte auch
niemals an eine solche eckle Kleinigkeit von Seiten Mamas gedacht. Bitte, tue was
du kannst. Wenn du selbst etwas Geld vorrätig hast, so schicke so viel dir
möglich istGegenüber seiner Mutter gab Frank Wedekind an, er wolle seinem Bruder 50 Franken schicken [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.8.1891]., denn ich glaube wahrhaftig, die Leute wollen auf ihrem
eingebildeten Standpunkt bestehen. Ich bin in einer ungemein lästigen
Verlegenheit und wäre
ich dir sehr, sehr dankbar, wenn du mir womöglich sofort etwas senden könntest,
dann aber in zweiter Linie Hami bewe | bewegenSchreibversehen (Silbenwiederholung beim Seitenwechsel), statt: bewegen. kannst, mir das verlangte Geld
zu senden. Was den Aufenthalt anbetrifft, so hat sich derselbe, abgesehen
dieses unangenehme Intermezzo(ital.) Zwischenspiel, Einschub., aufs schönste gestaltet und bedaure ich nur dich nicht bei mir zu
haben. Also bitte, lieber Bebi, wirke, so viel du kannst, das Bevormunden in
dieser Weise ist mir nach gerade furchtbar zuwider. Ich verbleibe dein treuer
Bruder
Donald
No 1 Corso Vittorio Emanuele No 1
Meine Verlegenheit ist
wirklich gross.