Solothurn 30. Mai 1891
Lieber Bebi!
Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 24.5.1891. habe ich erhalten und du kannst
dir kaum denken wie beruhigend deine zufriedene ÄußerungVon seinem „sehr günstigen Eindruck“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891] von der Broschüre berichtete Frank Wedekind auch Armin Wedekind in einem am gleichen Tag geschriebenen Brief. über das Aussehen und
das ganze Wesen der Broschüredie von Donald Wedekind zum Verkauf an die Pensionsgäste auf Schloss Lenzburg verfasste Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ (1891). für mich war. Ich habe auch sofort gemäß deines
Rates die Exemplare an die betreffenden Redaktionennicht ermittelt. Frank Wedekind hatte seinem Bruder Donald geraten, die Broschüre „an die schweizerische Presse zu verschicken“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]. Ein knappes Jahr später schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ unter dem Verfasserkürzel „F. M.“ in ihrer Rubrik „Litteratur und Kunst“ zu der Broschüre: „In einem Athemzuge und gleichen Stärkegrade des Tones von der ersten bis letzten der starken 32 Seiten wird die Geschichte des Schlosses Lenzburg an dem Leser vorübergeführt in einer Reihe von Bildern, gewoben aus der Wirklichkeit, der Sage und der eigenen blühenden Phantasie des Verfassers zu gleichen Theilen, so daß keines der drei Ingredienzen ausgeschieden werden kann. Das blumenreiche Pathos der Sprache, an die Rhetorik der Schüleraufsätze erinnernd, verräth große Jugendlichkeit des Verfassers, aber seiner Leistung darf eine gewisse Achtung nicht versagt werden.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 72, Nr. 82, 22.3.1892, 2. Blatt, S. (2)] abgesandt, obschon ich,
wenn auch trotz einiger Spannung, nicht glaube, daß dieselben Notiz nehmen
werden davon, eben weil die speculativehier: auf Gewinn abzielende. Anlage des Werkes allzusehr
hervorleuchtet. Indeß hat die Arbeit hier in Solothurn schon ihre Früchte
getragen, indem das RectoratMit dem Rektor der Kantonsschule Solothurn, Johann Kaufmann-Hartenstein, war es zuvor wiederholt zu Konflikten gekommen (siehe die vorangehende Korrespondenz). sich persönlich um ein Exemplar bei mir verwandte, das ich auch sofort auf
Dedicationals Geschenk (vermutlich mit einer Widmung versehen). zukommen ließ und das auf die Stimmung des Mannes die günstigste
Wirkung hatte. Mama scheint offenbar ganz zufrieden mit der Ausführung zu sein,
wenn auch der Druck etwas teurer | kam, als voraus gesehen war. 120 frs verlangte der MannDie Broschüre wurde bei der Solothurner „Buchdruckerei Gassmann, Sohn“ gedruckt, die von Otto Gassmann geführt wurde. für
die vollständige Herstellung von 510 Exemplaren. Es ist wohl möglich, daß du
die Sache billiger hättest bewerkstelligen können, insdessen ist es hier
in dieser Gegend wohl das Minimum eines Preises. Zudem hat er bis auf die
VignetteDas Titelblatt der Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ ziert oben ein breites Ornament, dessen Emblem in der Mitte eine lesende Eule zeigt; unterhalb des Titels ist eine weitere Vignette abgebildet, die einen Pankopf, eine Panflöte, eine Schalmei, eine Maske und einen Narrenstab zeigt. Der Umschlag der Broschüre ist mit einem Stich von Schloss Lenzburg versehen., die ich dank deiner freundlichen Mahnung verschmerzt habe, vollkommen nach Wunsch
gearbeitet und ist das Vergnügen, das mir durch die Leitung des Druckes gewährt
wurde auch nicht zu unterschätzen, so daß ich nicht glaube überforderthier: übervorteilt. worden
zu sein. In Außer diesenSchreibversehen, statt: diesem. bei/in/ ich der hehren Meinung, daß Mama
mit Leichtigkeit die erste Auflage verkaufen wird und zwar zu einem Preis, den
ich sogar bei 80. Cts nicht zuSchreibversehen, statt: nicht für zu. hoch halten würde. Immerhin muß ich dich bitten, falls du hierin nicht gleichen Sinnes
wärest, ihr deine Ansicht was den Verkauf anbelangt zukommen zu lassen. Von
Thomarkin, dem einzigen meiner Bekannten, dem ich eine Broschüre schenkte, habe
ich eine liebenswürdige Karte erhalten, | worin er mich in seiner mir immreSchreibversehen, statt: immer.
angenehmen Ironie ermahnt, seinen alten Goldonkel auf dem Pfade des Ruhmes
nicht zu vergessen und auch mit dem Lorbeerkranze auf der Stirne mich seiner
nicht zu schämen. Thomarkin ist mir wirklich einer der liebsten aus deinen BeskanntschaftenSchreibversehen, statt: Bekanntschaften.
und ich komme imerSchreibversehen, statt: immer.
mehr zur überzeugungSchreibversehen, statt: Überzeugung., daß er am besten dazu geeignet ist, das zu tun, zwar
vielleicht unbewußter Weise, was Henckell so oft an mir versucht hat, und
dessen er sich schon wähnte, es ausgeführt zu haben, als ich, allerdings auf
seine Anregung die heutige Gesellschaft an den Nagel heing und nach
Italien mich wandte.
Die Kinder und NarrenDonald Wedekind hatte sich in der vorangegangenen Korrespondenz wiederholt Exemplare der beiden bislang von Frank Wedekind publizierten Dramen „Kinder und Narren“ (1891) und „Der Schnellmaler“ (1889) erbeten, die er nun offenbar mit dem letzten, nicht überlieferten Brief seines Bruders erhalten hatte. stelle ich ganz bedeutend höher
als dein vorjähriges Werk den SchnellmallerSchreibversehen, statt: Schnellmaler., nicht was die Technik anbelangt aber was die Verkörperung
der guten Idee anbetrifft. Deine „Kinder und N.[“] sind neu, vollkommen neu und findeSchreibversehen, statt: und ich finde., das in/s/t
so ziemlich die Hauptanforderung die man an dein Werk der Neuzeit
stellen muß, es ist noch | nie so etwas da gewesen. Daß er sich wegen seiner
robusteSchreibversehen, statt: robusten. Zeichnung viele Gegner erwerben b wird, glaube ich fast sicher
annehmen zu dürfen, doch sind Gegner, heftige Gegner dreimal mehr wert als
Freudevermutlich Schreibversehen, statt: Freunde.. Ich weiß nicht, ob witzige Passagen, Lachstücenen schwierig auszuführen od e/z/u erfinden
sind, aber ich hätte an deiner Stelle etwas mehr solche in die Hauptmomente
hineingeschoben, daß es gerade genügt hätte, um das lehrhafte, welches an
einigen Stellen allzu schroff zu Tage tritt, zu verbergen. Doch glaube ich, daß
ichSchreibversehen, statt: daß sich. auch eine bedeutende Quantität Didaktik mit dem heutigen Drama verträgt und
daß deine Arbeit, wenn sie einmal über die Bühne gegangen sein wird, s
positives oder, was dann auf die Veranlagung des Publikums ankommt, negatives
Aufsehen erregen wird. Aufsehen wird es machen und ich halte das für den
hauptsächlichsten Factor für einen Ruf. Ich möchte sogar behaupten, daß das
Publikum mit dir sympatisiren wird, schon des wegen, weil du einen beim Volke
beliebten Widerspruch durch dein | ganzes Stück verteidigst und diesem Parteinehmen
im MottoDas Motto von „Kinder und Narren. Lustspiel in vier Aufzügen“ (1891) lautet: „Der Realismus ist eine pedantische Gouvernante. Der Realismus hat dich den Menschen vergessen lassen. Kehr zur Natur zurück!“ [KSA 2, S. 105] Ausdruck giebst.
Ich bin gespannt, was „FrühlingserwachenFrank Wedekind hatte „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ im April 1891 abgeschlossen, die Buchausgabe erschien im Oktober [vgl. KSA 2, S. 763f.].“ bieten wird
und bin der Überzeugung, daß du darin deine grundgute Idee aus den „K. und N.[“] noch klarer
durchgeführt hast.
Daß du Henckell zum ModellKarl Henckell diente als Modell für die Figur des naturalistischen Dichters Franz Ludwig Meier in „Kinder und Narren“ [vgl. KSA 2, S. 685]. genommen und denselben ganz
offenbar gebraucht hast, hat mich der Satisfaktion MiezesKarl Henckell war seit dem 29.5.1887 kurzzeitig mit Erika Wedekind verlobt gewesen. halber sehr gefreut
und war es mir wirklich eine Wonne die Sache zu lesen, da ich einige Tage
vorher sein ewig süffissantesSchreibversehen, statt: süffisantes; für: überhebliches, selbstgefälliges. Wesen in Lenzburg wieder genossen hatte.
Für dennSchreibversehen, statt: den. Sommer habe ich noch keine Pläne gemacht, ausgenommen des einen, daß, wenn
immer möglich, ich denselben mit dir verbringen werde. Wo, ist mir vollständig
eins. Allerdings würde ich es od namentlich des beiderseitigen
Vergnügens halber vorziehen, die Zeit irgendwo anders zu verbringen, als | in
München und wäre mir Florenz sehr lieb. Die Hitze ist zwar zu jener Zeit die
größte, und die Stadt wahrscheinlich nicht stark von Fremden besucht, aber gerdade
deshalb könnten wir es uns um so angenehmer machen, wenn nur du das heiße Klima
ertragen kannst, das S
mir wenig ant/z/utun vermag. Es wäre mir auch Gelegenheit geboten, meine
Freunde in LivornoDonald Wedekind hatte im Frühjahr 1888 eine kaufmännische Lehre in Livorno begonnen und sich dort einige Monate aufgehalten. zu besuchen, was mir einige Überraschung gewähren könnte. AndreSchreibversehen, statt: Der andre.
Punkt wäre Mailand, aber was das Klima anbelangt am besten Venedig, das für uns
beide vielleicht dieselben Reize zu bieten vermöchte. Wien oder Paris wären
ebenfalls nicht ganz vom Weg ab, aber ich sehe immerhin voraus, daß du mit dieser Reise uns deinem
künftigen Aufenthalt verbinden willst. Ohne das wäre wie/m/ir die
französische Hauptstadt v fast am willkommensten. Ich denke, daß wenn
wir uns diesen Sommer wirklich nach | derSchreibversehen (Auslassung beim Seitenwechsel), statt: nach einem der. gegebenen Punkte wenden wollen, du
zuerst in die Schweiz nach Zürich kämmestSchreibversehen, statt: kämest., von wo aus du wir dann die
Reise miteinander fortsetzen können. Ist dies aber nicht der Fall, so möchte
ich dich gerne erinnern, auf die betreffende Zeit, also Ende Juli od Anfang August etwas Geld
bereit zu haben, da man mir leicht Schwierigigke Schwierigkeiten machen
könnte, die natürlich gehoben wären, sobald ich einmal am Ziele meines
Aufenthaltes anglelangt wäre. Immerhin hoffe ich daß Mama ohne Weiteres
einwilligen wird.
Wie schon oben bemerkt, würde ich wirklich in deinem Interesse München verlassen und
ich glaube, daß du gerade jetzt, da zwei deiner Werke draußen sind, mit ebenso
viel Nutzen in Wien, Paris, Venedig, oder Florenz dich aufhalten wirst, wäre es
nur drum, deinen | Sachen eine andre Nuancirung zu geben.
Ich müßte mich nicht sehr irren, wenn ich in
den in deinem Briefe erwähnten MalerinnenFrank Wedekind hatte seinem Bruder Donald offenbar ähnlich wie gegenüber seinem Bruder Armin von seinem Pfingstausflug ins bayerische Voralpenland mit zwei namentlich nicht genannten Malerinnen berichtet [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]. nicht die Fräulein Krüger erkannt
habe, die schon damals, als ich dich besuchte, einen Glanzpunkt in deiner
Bekanntschaft bildete. Ich hatte nicht das Vergnügen sie zu sehen und freue mich, daß dir das Glück blühte
sie zu begleiten. Es ist viel im weiblichen Verkehr, wenn man weiß die Damen um
sich und nicht sich um die Damen zu wickeln, allsonst sie unleidlich werden.
Ich bedaure, daß Schereschephsky und Pohldie beiden Maler Wladimir Schereschewsky und Anton Pohl, die Donald Wedekind bei seinem Besuch in München im Sommer 1890 kennengelernt hatte. fort sind, letzterm bin ich noch
außerordentlich verbunden durch das gute ReceptBezug unklar; möglicherweise das angeforderte Rezept zur Bekämpfung seines Filzläusebefalls [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.1.1891]..
Ich bitte dich, die Sache wegen der Reise zu überlegen
und wenn du s/z/u einem sichern Resultat gekommen bist, mir dasselbe
mitzuteilen. Bei der
Combination kannst du mit mir wie mit einer Zahl mit doppelten Vorzeichen
umgehn, ich bin zu allem bereit. Nochmals den besten Dank für deine CorrecturDonald Wedekind hatte seinem Bruder das Manuskript seiner Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ geschickt und ihn um Korrektur gebeten [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.4.1891]. Das Begleitschreiben zu dem korrigierten ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 22.4.1891.
und sonstige Bemühung um mein Werk, das mir wirklich ein liebes Kind geworden.
Im Übrigen lebe wohl und empfang die herzlichsten Grüße von deinem treuen
Bruder
Donald