München, Prinzregentenstraße 50
4.10.12.
Sehr geehrter Herr von Hofmannsthal!
Wollen Sie mir erlauben, Ihnen für die freundliche ungemein
wohlwollende Art und Weise, in der Sie in Ihren Äußerungen über Herrn Freiherrn
von FranckensteinHofmannsthal hatte in einem Interview mit der „Frankfurter Zeitung“ vom 2.10.1912 die kürzliche Ernennung seines engen Freundes, des Komponisten Clemens von Franckenstein, zum Intendaten der Münchner Hofoper kommentiert. Die Wedekind betreffende Passage sollte offenbar Befürchtungen entgegenwirken, der Musiker Franckenstein werde die moderne Dichtung und das Sprechtheater vernachlässigen: „Franckenstein ist gar kein so sehr exklusiver Musiker, wie man nach seinem beruflichen Werdegang wohl meinen könnte. Er hat auch für die Literatur von jeher ein starkes Interesse und feines Verständnis gezeigt. Schon vor langen Jahren, in der ersten Zeit unserer jungen Freundschaft, als noch nicht viele Leute in Deutschland den Namen Wedekind kannten, sandte mir Franckenstein aus Zürich, wo das Buch zuerst erschienen war, ein Exemplar von ‚Frühlings Erwachen‘. Und wie er mich mit feinsinnigen Worten auf jene Dichtung hinwies, so war er es auch, der mir vor acht bis neun Jahren die Anregung zur Nachdichtung des ‚Jedermann‘ gegeben.“ [Der neue Münchener Hofintendant. Bedenken. – Eine Unterredung mit Hugo v. Hofmannsthal. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 57, Nr. 273, 2.10.1912, 2. Morgenblatt, S. 1. Zitiert nach Olivia Varwig: Clemens von Franckensteins Ernennung zum Münchner Hofintendanten 1912. Ein wiederentdecktes Interview Hugo von Hofmannsthals. In: Hofmannsthal-Jahrbuch zur Europäischen Moderne 22 (2014), S. 69-89, hier S. 70]. meines Frlgs. Erwachen erwähnen, meinen verbindlichen Dank
auszusprechen. Zu dem großen, immer wachsenden Erfolg Ihres herrlichen
Mysteriums von JedermannHofmannsthals modernes Mysterienspiel „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ (1911) wurde am 1.12.1911 unter der Regie von Max Reinhardt als Sondervorstellung des Deutschen Theaters im Zirkus Schumann in Berlin uraufgeführt. Das anfänglich umstrittene Stück entwickelte sich schnell zu einem enormen Erfolg bei Publikum und Kritik., | den ich bei den schönen Eigenschaften der Dichtung
für reichlich verdient halte, bitte ich Sie meine herzlichen Glückwünsche
entgegenzunehmen.
Mit dem Ausdruck größter Hochschätzung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.