Herrn
Dr. Franz Servaes
tit. Redaktion der
Neuen Freien Presse
Wien Fichtegasse
Sehr verehrter Herr Servaes!
Herzlichen Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Servaes an Wedekind, 23.1.1911.. Ich stehe
noch so in Ihrer SchuldWedekinds Dank bezieht sich wohl auf die zustimmende Besprechung seines Wiener Gastspiels mit dem Stück „Der Stein der Weisen“, die das von Servaes geleitete Feuilleton der „Neuen Freien Presse“ am Morgen nach der Premiere (23.1.1911) gebacht hatte, welche zugleich die Uraufführung war: „In den reizenden Räumen der Kleinen Bühne eröffnete heute Frank Wedekind ein kurzes Gastspiel [...] ‚Der Stein der Weisen‘, eine Geisterbeschwörung, heißt diese jüngste Dichtung, die mit allen ihren Lastern und Schönheiten ein echtestes [!] Produkt der grüblerischen, frechen und doch manchmal auch so frommen und tiefen Phantasie des Dichters ist. Wer Wedekind haßt, wird in diesem Werke eine Menge trefflicher Angriffspunkte finden, wer ihn liebt, hier des Merkwürdigen und Wundervollen genug finden. Widerspruchsvoll wie der Charakter, wie die Phantasie dieses Dichters ist auch seine Sprache. Man hörte Verse, die weich und voll klangen, und dann wieder Grobes und Unflätiges, im Stil derbster mittelalterlicher Schwänke. Wedekind hat eben diesmal das Kostüm des Mittelalters [...] angelegt. Er erscheint in der Maske eines jener dämonischen Zauberer dieser Zeit, eines faustischen Alchymisten. [...] Wedekind spielte den Zauberer Basilius mit jenem Ernst, der hinter den Grimassen seiner grotesken Kunst verborgen liegt. Die Gestalten seiner Zauberkunst wurden von seiner Gattin Tilly Wedekind verkörpert. Die knabenhaft schlanke Dame sah als Famulus, als junger Ritter und als Harlekin wunderhübsch aus.“ [M. M.: Gastspiel Frank und Tilly Wedekind. In: Neue Freie Presse, Nr. 16676, 24.1.1911, Morgen-Blatt, S. 12] Bei dem mit „M. M.“ zeichnenden Verfasser der Besprechung handelt es sich möglicherweise um Max Milrath, der dieses Kürzel später für seine Tätigkeit am Feuilleton der Wiener Tageszeitung „Der Abend“ benutzte [vgl. Früh 1997, S. 49].. Komme morgen auf die RedaktionServaes gehörte der Redaktion der Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ seit 1899 an. 1904 hatte er die Leitung des Feuilletons übernommen.. Abends sind wir |
voraussichtlich die nächsten Tage nach 10 Uhr immer in dem Restaurant der
„Kleinen BühneDie von der Schauspielerin Friderike Gutmann-Umlauft geführte Kleine Bühne (Wien I., Wollzeile 34) bestand nur in den Jahren 1910/11. Der mit Sezessionswandschmuck ausgestattete Theatersaal umfasste 400 Plätze; im Souterrain befand sich ein Restaurant. Frank und Tilly Wedekind gastierten hier vom 23. bis zum 29.1.1911 mit der Uraufführung sowie sechs weiteren Vorstellungen von Wedekinds Einkakter „Der Stein der Weisen“. Das ursprünglich auf fünf Tage angesetzte Gastspiel musste um zwei Tage verlängert werden. Für den Abend der Premiere notierte Wedekind im Tagebuch: „Starker Beifall | Nachher mit Verwandten und Bekannten im Restaurant der Kleinen Bühne.““. Wenn Sie einen Abend dort hinkommenWedekind notierte für die folgenden Abende im Tagebuch wiederholt Treffen mit Freunden und Bekannten im Theaterrestaurant. Zu einem Treffen mit Servaes scheint es jedoch nicht gekommen zu sein. wollten, könnten wir uns
ausgiebiger aussprechen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich mich
darüber freuen würde.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr ergebener Frank Wedekind.