Grunewald, 28/4 10
Hochgeehrter Herr Wedekind,
besten Dank für Ihren Briefvgl. Wedekind an Maximilian Harden, 25.4.1910.. Ich hatte schon vorher an
Cassirer geschriebenam 24.4.1910, wie aus Maximilian Hardens Brief an Artur Landsberger vom 27.4.1910 hervorgeht: „Ich habe Sonntag, in W[edekind]’s Interesse, an Bruno C[assirer] geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten.“ [Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Maximilian Harden, Nr. 143]. Maximilian Hardens Brief an Bruno Cassirer ist nicht überliefert.. Aus seiner AntwortBruno Cassirer schrieb am 24.4.1910 an Maximilian Harden: „Sehr verehrter Herr Harden, ich bin Ihnen für Ihren Brief durchaus dankbar, aber es ist schwierig, Ihnen mit wenigen Worten Einblick in die Situation zu geben, die Ihnen natürlich vom Standpunkt Wedekinds nur einseitig geschildert worden ist. Wedekinds Verhalten mir gegenüber verbietet jede Möglichkeit eines gütlichen Ausgleichs. Ich habe, da ich seine Arbeiten nahm, seit Jahren, und im letzten Jahre intensiv, für ihn gearbeitet. Ich habe seine Produktion unter erheblichen materiellen Opfern in meiner Hand vereinigt. Dann hat Wedekind, gepackt von dem ihn verfolgenden Argwohn, daß ich, wie alle, die für ihn eintraten, auf seinen Ruin ausginge, mich schon öfters im Stich gelassen. Um nur Eines zu versichern: ich habe ohne Vertrag seiner Zusage geglaubt, daß er mir seine kommenden Bücher geben würde. Ich habe ihm vor dem Ankauf der Langenschen Bücher gesagt, daß ich die Bücher ohne diese Zusage nicht kaufen würde. Er hat diese Zusage bei dem ersten Buch, das er seitdem schrieb, gebrochen. Er beklagt das Zurückgehen seiner Einnahmen. Er hat alles gethan, um sich selbst zu schädigen. Ich habe ihm ein größeres Honorar in Aussicht gestellt für eine Gesammtausgabe, er hat sie verweigert, der Neudruck von Oaha lag 6 Monate bei ihm, er hat nichts imprimiert, ich wünschte zwei Auflagen von ‚Feuerwerk‘ zu drucken, er hat das verboten. In derselben Weise hat er im Bühnenvertrieb gegen sich selbst gewirtschaftet. Ich habe ihm von meiner Berliner Bühne das Angebot eines mehrwöchigen Gastspiels in seinen Stücken verschafft. Ein Zyklus seiner Hauptwerke sollte bei einigem Erfolg 4 Wochen gegeben werden. Das hatte ihm mindestens 7000 M. eingebracht. Er hat auch das nicht angenommen. Beinahe, als ob er sich absichtlich in eine Situation hat bringen wollen, um dann mit großer Geste sagen zu können: ich bin ein durch meinen Verleger ruinierter Schriftsteller! Wenn Sie aber anzunehmen scheinen, daß ich das Alles Wedekind entgelten lassen will, so irren Sie sich. Ich habe zunächst von einer Strafanzeige Abstand genommen, sah mich aber gezwungen, Beleidigungsklage zu erheben, um vor öffentlichen und brieflichen Verfolgungen mich zu wehren. Wedekind hat mich vor einiger Zeit bitten lassen, die Klage zurückzunehmen, und ich habe mein Einverständnis erklärt. An der Form der ‚Ehrenerklärung‘, die ich durch seinem Anwalt vereinbart habe, liegt mir an sich garnichts. Meine Ehre hat nichts zu thun mit der Meinung, die Wedekind von ihr hat. Also dieser Punkt dürfte keine Schwierigkeiten machen. Ich habe ferner erklärt, daß ich bereit bin, seine Bücher abzugeben, und ich bin mit demjenigen Verlag in Unterhandlungen getreten, der, soviel ich weiß, von Wedekind autorisiert ist. Es dürfte nur an ihm liegen, ob diese Verhandlungen zum Abschluß kommen; denn ich vermute, daß die Schwierigkeiten in den Zusicherungen liegen werden, die dieser Verlag angesichts der vorliegenden Erfahrungen von W. wird fordern müssen. Ist mein Nachfolger sicher, daß bezgl. kommender Arbeiten, Neuauflagen, Gesammtausgabe und Bühnenrechte ihm Garantien geboten werden, so dürfte der von mir geforderte Preis angemessen sein. Jeder verständige Verleger weiß sehr wohl, daß der Gesammtbesitz der Rechte Wedekinds ein moralischer Wert ist, der sich schwer bewerten läßt. Ich habe mit Vergnügen die Gelegenheit benützt, um Ihnen einige Aufklärungen geben zu können. Stets gern zu Ihren Diensten Ihr sehr ergebener Bruno Cassirer“ [Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Maximilian Harden, Nr. 24]., die heute kam, hier das
Wesentlichste:
Er habe intensiv für Sie gearbeitet. Daß Sie es nicht
glauben, entspringe nur Ihrem unausrodbaren Mißtrauen. Die Zusage, ihm Ihre
neuen Bücher zu geben, haben Sie nicht gehalten. Gesammtausgabe verweigert. Eben
so zwei Auflagen von „Feuerwerk“. Berliner Gastspiel nicht angenommen, trotzdem
es Ihnen in 4 Wochen 7000 Mk eingebracht hätte. Das Alles wolle er Sie aber
nicht entgelten lassen; auch nicht, was gefolgt ist. Er wolle auf Klage
verzichten, bei der „Ehrenerklärung“ keine Schwierigkeit machen, Ihre Bücher
dem von Ihnen autorisirten Verlag geben; sein Preis (den er fordert) sei
durchaus angemessen, wenn Sie dem neuen Verleger kommende Arbeiten,
Neuauflagen, Gesammtausgabe, Bühnenrechte sichern.
Der Brief, den Sie citirennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 19.11.1909. Wedekind hatte aus diesem Brief zitiert [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 25.4.1910]., wäre kein gerichtlicher Beweis
für eine Unwahrhaftigkeit Cassirers. Er sagt ja, es lag kein Vertrag, aber ein
Versprechen vor. Das ist aber gleich|giltig. Auf dem sogen. „Rechtsboden“ ist
jetzt nichts zu erreichen; und Klugheit empfiehlt, den Mann heute nicht zu
reizenMaximilian Harden schrieb am 27.4.1910 an Artur Landsberger: „Rechtlich liegt die Sache für unseren Klienten nicht gut; er darf den Gegner also nicht reizen. Ich thue, was ich irgend kann, für ihn.“ [Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Maximilian Harden, Nr. 143]. Ihre „Erklärung“die Beilage zu Wedekinds letztem Brief [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 25.4.1910]. würde Sie ans Messer liefern, und sehr harter Verurtheilung aussetzen.
Nach meiner Ueberzeugung können wir nur versuchen, in „Güte“
vorwärts zu kommen. Georg Müller wird das Geschäftliche ordentlich machen,
denke ich, verhandeln und abschließen, wenns irgend geht. Ich schreibe an C und
stelle ihm vor, daß es klüger sei, den an Langen gezahlten Preis zu nehmen
u.sw.
Regen Sie sich, verehrter Herr Wedekind, so wenig wie
möglich auf und versuchen Sie, die Sache ganz leidenschaftlos zu nehmen, wie
ein Kaufmann. (Was ja nicht ganz leicht ist.) Jeder falsche Schritt kann
schaden, jetzt gerade. Cassirers Brief an mich zeigt, trotz Allem, den starken
Willen, entgegenzukommen. Vielleicht läßt sich auch durch LiebermannMax Liebermann war über den Konflikt Wedekinds mit Bruno Cassirer informiert. Wedekind traf den Maler dem Tagebuch zufolge am 4.4.1910 bei Paul Cassirer („bei Cassirer, wo ich Liebermann, Tuaillon und Slevogt treffe“), wo sicher davon die Rede war. noch auf
ihn wirken.
Landsberger schrieb mirArtur Landsberger schrieb am 26.4.1910 an Maximilian Harden: „Ich möchte nun Wedekind, der seit dieser Affaire in seinem Schaffen lahm gelegt ist, gern, so weit oder so wenig ich dazu imstande bin, in jeder Weise unterstützen. Darf ich Ihnen, hochverehrter Herr Harden, über den Fall Jonas sprechen? Es ist doch nun einmal so, daß in allen Dingen des Verstandes Maximilian Harden die letzte Instanz ist; daß daher Ihre Güte, von der Niemand besser Zeugnis geben kann, als ich, so übermäßig in Anspruch genommen wird. Darf ich kommen? Und wann?“ [Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Maximilian Harden, Nr. 63] u will mich besuchen, um über die
Sache zu sprechen.
Ich glaube, Sie wissen, daß ich thue, was ich irgend vermag,
um Ihnen diese leidige Sache vom Halse zu schaffen.
Mit herzlichen Wünschen
Ihr
Harden