Sehr verehrter Herr Harden!
Ihrer liebenswürdigen AufforderungMaximilian Harden hatte nach dem Stand der Verhandlungen mit Bruno Cassirer gefragt [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 24.4.1910]. entsprechend erlaube ich
mir Ihnen noch einige positive Daten über den augenblicklichen Stand meiner
AngelegenheitWedekinds Verlagsangelegenheiten, die Konflikte mit seinem Verleger Bruno Cassirer, die unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ auch in Wedekinds Notizbüchern dokumentiert sind [vgl. KSA 5/III, S. 126-141]. zu geben.
Ich muß vorausschicken, daß Herr Bruno Cassirer mit zwei
Unwahrheiten arbeitet. Erstens mit der Behauptung, ich hätte ihn zum Ankauf
meiner Werke verleitet, während er mir jahrelang die Propaganda die Albert
Langen für meine Bücher machte als unzulänglich hinstellte, was ich auch durch
Briefe beweisen kann. Zweitens mit der Behauptung, ich hätte mich ihm gegenüber
| vor dem Ankauf mündlich verpflichtet, ihm meine zukünftigen übrigen Werke in Verlag zu geben.
Die Unwahrheit dieser letzten Behauptung ist durch einen
Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 19.11.1909. Wedekind hat am 1.4.1910 im Tagebuch notiert: „Habe die ganze Correspondenz B. Cassirer durchgearbeitet.“ bewiesen, in dem mir Bruno Cassirer selber schreibt: „Sie wünschten
damals über diese Bücher keinen Vertrag abzuschließen, sagten mir aber, daß Sie
natürlich keine Veranlassung hätten, mir diese künftigen Bücher nicht zu geben.“
Diese Worte entsprechen genau der Thatsache. Wenn ich aber
Herrn Cassirer zum Ankauf meiner Werke verleitet hätte, dann müßte er ein Thor
sondergleichen gewesen sein, sich meine künftige Produktion nicht durch
schriftlichen Vertrag zu sichern. Das wäre doch sicherlich | die erste Antwort
auf meine Verleitungsversuche gewesen.
Seit unserer letzten Unterredungam 4.4.1910: „Nachmittag bei Harden“ [Tb]. hat Herr Cassirer seine
Verkaufsbedingungen um 8000 Mark erhöht. Angesichts dieser Thatsache schrieb
ich die Erklärungdie Beilage zum vorliegenden Brief. nieder die ich am Schluß beilege. Ich habe die Erklärung
sonst noch niemandem mitgetheilt. Herr Cassirer will für das Verdienst, daß er
mich nicht gänzlich ruinirt, einen glatten Gewinn Verdienst von 20,000 Mark einstreichen. Ich wäre heute
schon in Verlegeheit wenn mir die Einnahmen aus meinen Gastspielen nicht zugute
kämen. Dabei schreibt Cassirer an seinen RechtsanwaltDer Brief Bruno Cassirers an Oscar Meyer ist nicht ermittelt.:
„Ich bitte Sie jetzt, Herrn Justizrat Jonas den Text für
eine möglichst eingehende und umfassende Ehrenerklärung vorlegen zu wollen.“ |
Augenscheinlich erwartet Herr Cassirer, daß ich den
Fehlbetrag, den der Käufer nicht bezahlen will, aus eigenen Mitteln erlege.
Wenn ich das Geld dazu hätte, dann wäre ich also, abgesehen von dem Schaden,
den mir Herr Cassirer bis jetzt zugefügt hat, auch noch um zirka 20,000 Mark
geschädigt. DeDemgegenüber drängt sich
mir die Frage auf, ob es denn wirklich dem Berliner Großkapital, zu dem Herr
Cassirer doch ohne Zweifel gehört, da er sein Geld kaum geschäftlich engagiert,
weil er zu seinem Lebensunterhalt darauf angewiesen ist ‒ ob es dem Berliner Großkapital denn wirklich so
vollkommen gleichgültig bleiben kann, diese Rollen, erstens des Schädigers,
zweitens des Erpressers gegenüber | einem Schriftsteller zu spielen, dem das,
was er bisher erreicht hat, nicht gerade leicht ge wurde.
In welchem Maße ich durch Bruno Cassirer bis jetzt
geschädigt wurde ergiebt sich aus einer Zusammenstellung meiner Einnahmen aus
dem Bücherverkauf seit 1903, wobei ich die Honorare für Neuerscheinungen
abziehe, weil solche ja jeweilen mehr von meiner Thätigkeit als vom
Geschäftsbetrieb abhängen. Vor 1903 warfen meine Bücher keine Einnahmen ab.
Weil Bruno Cassirer meine Bücher am 18. Oktober 1908 übernahm, rechne ich je
vom 18. Oktober zu 18. Oktober:
18. Oktober 1903 – 1904 M. 2590
" " 1904
– 1905 " 2200 |
18 Oktober 1905 – 1906 M. 4600
" " 1906
– 1907 " 5200
" " 1907
– 1908 " 5900
" " 1908
– 1909 " 1650.
Wie dieser Rückgang des Absatzes zustande kam, ist sehr
einfach. Nach Erscheinen von „Oaha“ bot der Verlag Albert Langen Cassirer
selbst meine Werke zum Kauf an und Bruno Cassirer bezahlte 23,0,00Der auf den 24.10.1908 datierte Vertrag zwischen Albert Langen und Bruno Cassirer nennt einen Kaufpreis von exakt 23.500 Mark [vgl. KSA 5/III, S. 136]. Bruno Cassirer forderte dann nachträglich Unterlagen an, wie sein Brief vom 18.11.1909 an den Verlag Albert Langen dokumentiert: „Da aber, wie das ja vorauszusehen war, mit Herrn Wedekind nicht anders als durch Vermittlung der Gerichte auszukommen ist, so möchte ich für alle Fälle gerüstet sein und gern das gesamte Vertragsmaterial in Händen haben.“ [Koch 1969, S. 142]0 M.
dafür, fand aber sehr bald, daß er, wie er selber schreibtnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 20.2.1909., die Bücher viel zu
theuer gekauft habe und daß er von Albert Langen „hineingelegt“ worden sei. Derweil
hatte er, seiner eigenen Mittheilung nach, die | Exemplare aus dem Buchhandel
zurückgezogen, um seine Verlagsfirma darauf drucken la zu lassen. Nun
ließ er die neuen Titel aber nicht drucken und erhöhte dafür den Verkaufspreis
der mit den alten Titeln versehenen Bücher gegenüber dem Sortimentsbuchhändler.
An Propaganda that er gar nichts, während er mir jahrelang die Propaganda, die
der Verlag Langen mit HülfeWerbemaßnahmen; in der von Albert Langen verlegten Wochenschrift „Simplicissimus“ wurden Wedekinds Bücher annonciert, die im Albert Langen Verlag erschienen. des „Simplizissimus“ gemacht hatte, als eine für
meine Bücher gänzlich unzureichende hingestellt hatte. Cassirer hat bis zum
heutigen Tag nicht einmal einen Prospekt über meine Bücher drucken lassen. Er
verfolgte nur den einen Zweck, durch Verkaufen der Bestände, also gewissermaßen
des geschäftlichen | Handwerkszeugs, wieder zu seinen Auslagen zu kommen. Damit
war ein Ertrag für mich auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen.
Wie ich Ihnen, geehrter Herr Harden, schon mittheilteDie Mitteilung erfolgte vermutlich mündlich, dem Tagebuch zufolge entweder am 3.4.1910 („Besuch bei Harden“) oder am 4.4.1910 („Nachmittag bei Harden“)., spielte
sich, als ich am 1. Februar zu Herrn Cassirer ins BureauWedekind notierte am 1.2.1910 in Berlin: „Besuch bei Cassirer.“ [Tb] Er hat die im vorliegenden Brief in dramatischer Form geschilderte Begegnung mit seinem Verleger Bruno Cassirer in einem anderen Brief als tätliche Auseinandersetzung beschrieben [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.2.1910]. trat, um ihn zu Rede zu
stellen folgendes Gespräch zwischen uns ab:
Ich trat mit den Worten ein:
„Warum beantworten Sie meine Briefe nichts?“
Darauf Cassirer:
„Ich verbitte mir diesen Ton von Ihnen!“
Ich: „Ich kämpfe hier um meine gesellschaftliche Stellung!“ |
Er: „Verlassen Sie das Zimmer!“
Ich: „Fällt mir nicht ein, solange Sie mein Lebenswerk zugrunde richten!“
Er: „Machen Sie daß Sie hinauskommen!“
Ich: „Ich gehe nicht eher, als bis ich Antwort von Ihnen habe!“
Er: (drückt auf den elektrischen Knopf auf dem Schreibtisch) „Ich lasse
Sie durch meine Leute hinaus werfen!“
Darauf erfolgte die Beleidigung.
Verehrter Herr Harden, da es sich um meine Existenz und die
Existenz meines Werkes handelt, schäme ich mich nicht, Ihre Hülfe, die Sie | mir
so liebenswürdig anboten mit innigem Dank in Anspruch zu nehmen.
Seien Sie herzlich gegrüßt.
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München, Prinzregentenstraße 50
25.4.10Wedekind notierte am 25.4.1910: „12 seitiger Brief an Harden.“ [Tb].
[Beilage:]
Erklärung.
Herr Bruno Cassirer hat mich durch geschäftliche Unfähigkeit
und Untätigkeit um tausende von Mark geschädigt. Solange sich Herr Bruno
Cassirer Verleger nennt, ist diese Thatsache jedenfalls keine Ehre sondern
höchstens das Gegentheil für ihn. Jetzt geht er darauf aus mit Hülfe dieser
Thatsache sich kurzer Hand einen Gewinn von 20,000 Mark zu verschaffen. Für 23,0,000
Mark hat er meine Werke von Albert Langen gekauft und erklärt sich bereit, sie
für 2/4/3,000 an einen anderen Verleger abzugeben. Mit Hülfe des
Unglücks das er als mein Verleger für mich bedeutet, will er 20,000 Mark
verdienen; und da ich, wenn er mein | Verleger bleibt, die nächsten Jahre mit
den ärgsten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben werde, hofft er den
Preis auch zu bekommen. Herr Bruno Cassirer wünscht eine Ehrenerklärung von
mir. Ich glaube es ruhig dem allgemeinen Sittlichkeitsgefühl überlassen zu
können, die richtige Bezeichnung für diese Art von Charakter f/z/u finden.
Oder aber: Herr Bruno Cassirer hat gar nicht die Absicht,
den Verlag meiner Werke zu verkaufen und fordert den hohen Preis nur, um keinen
Käufer zu finden. In diesem Fall hat er mich dadurch, daß er den Verlag meiner
Werke in einem InseratBruno Cassirer hatte folgende Anzeige aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] im „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ öffentlich
zum Verkauf ausbot in meinem Ansehen als Schriftsteller mit vollem Bewußtsein
in so hohem Maße beleidigt und geschädigt, daß mir dadurch die Beleidigung die
ich ihm zufügte reichlich aufgewogen erscheint, und ich keinen Grund einsehe,
irgendwelche Erklärung abzugeben.
München April 1910
Frank Wedekind.