[1. Briefentwurf:]
Geehrter Herrnicht identifiziert. Artur Kutscher zufolge handelte es sich um einen deutschen Kaufmann in London, auf den Wedekind Hoffnungen setzte, die enttäuscht wurden, was er in der Erzählung „Flirt“ (1894) verarbeitet habe: „Mit einem deutschen Kaufmann, dessen Familie und großes Haus er anfangs öfter besuchte, überwarf er sich binnen kurzer Zeit und benutzte die grotesken Realitäten dieser Beziehungen in einer gleichzeitigen Erzählung. [...] Den genannten Kaufmann hatte er vergeblich um Anstellung im Büro gebeten.“ [Kutscher 1, S. 277] Die erste Fassung von „Flirt“ ist in dem Notizbuch [Nb 1, Blatt 25v-49r] überliefert [vgl. KSA 5/I, S. 622f.], in dem sich der vorliegende Briefentwurf befindet. Der nicht identifizierte Kaufmann dürfte in London wie der Kaufmann Charles Adolph Heimann in der Firma Linck, Moeller & Co. (siehe unten) tätig gewesen sein.
nachdem ich von H gesternam 10.4.1894. von He H erfahren, daß
sammtliche Herren die ich bei IhnenWedekind dürfte am 25.2.1894 erstmals an einem der sonntäglichen Treffen (siehe unten) im Haus des Kaufmanns zu Gast gewesen sein, ein Salon, der vermutlich ein Künstlertreff war. kennen gelernt Sonntag vor acht Tagenam 1.4.1894. die
E von
Ihnen empfangen wurden schicke ich Ihnen Ihren Briefein Billet (siehe unten). zurück mit der Bitte, es
sich doch erst ein wenig überlegen zu wollen bevor sie einen Menschen, der
Ihnen nicht das geringste zuleide gethan, beleidigen und beschimpfen. Die
Anfragenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Unbekannt (Herr), 29.3.1894. Wedekind dürfte den Kaufmann um eine Anstellung in dessen Büro gebeten haben (siehe oben)., die ich an Sie richtete führte mich dazu Ihnen aus meiner Lage anzuvertrauen kein Geheimniß zu
machen. Ihr Brief Billetnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Unbekannt (Herr) an Wedekind, 9.4.1894. Wedekind verarbeitete die Erfahrungen mit dem Herrn in seiner Erzählung „Flirt“ (siehe oben). Das „kurze Billet“ hat in der Erzählung folgenden Wortlaut: „Sehr geehrter Herr, ich bedauere unendlich Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können. Ich bin Ihrer Mitarbeiterschaft in keiner Weise bedürftig. Gleichzeitig beehre ich mich, Ihnen mitzutheilen, daß ich, da meine Frau nach Karlsbad reist, die Empfangstage am Sonntag eingestellt habe. Mit verbindlichstem Gruß Ihr sehr ergebener etc.“ [KSA 5/I, S. 110] als Antwort darauf mit
seiner höhnischen Höflichkeit und seinem brutalen Sinn wirft ein so bedenkliches eigenthümliches Licht auf Ihre
Denkungsart, daß ich mich zwölf StundenWedekind dürfte das Billet (siehe oben) spätestens am 10.4.1894 erhalten, eine Nacht darüber geschlafen und am 11.4.1894 mit dem vorliegenden Brief darauf geantwortet haben. besann bevor ich mich entschloß Ihnen
zu schreibenden vorliegenden Brief.. Ich kann mich indessen | irren.
Es bleibt Ihnen nun nur zweierlei. Entweder ist es liegt in Ihren Augen kein nichts Schimpfliches darin, hinausgeworfen zu
werden; entweder sehen Sie nichts Beleidigendes darin, hinausgeworfen zu
werden; dann verzichte ich auf Ihre Antwort. Oder Sie sind ein Mann von
Ehre, dann werden Sie mir antworten.
Ergebenst
Wedekind.
Eine genaue Copie Ihres Billetes und dieser meiner
Antwort habe ich Herrn Heimannder Kaufmann Charles Adolph Heimann in London, der bei der Firma Linck, Moeller & Co. (Leadenhall Street 144) tätig war [vgl. London Metropolitan Archives. London City Directories. London 1895, S. 1089, 1190], außerdem Mitglied der Royal Geographical Society. Seine Privatadresse ist nicht verzeichnet; unter der von Wedekind genannten Adresse im Londoner Stadtteil Paddington (Claredon Gardens 28) ist eine „Miss Ely“ [London Metropolitan Archives. London City Directories. London 1895, S. 281] verzeichnet; bei der Charles Adolph Heimann vermutlich wohnte. (28 Claredon
Gardens) zugeschickt.
[2. Briefentwurf:]
London.
13. Air StreetWedekinds Wohnung (Air Street 13) etwa seit dem 17.3.1894 [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.4.1894]..
Pic. Cir.
Geehrter Herr,
ich höre soeben von Herrn HallreinJules Hallrein, Komponist; er verkehrte wie zuvor auch Wedekind im Salon des Kaufmanns., daß Sonntag vor acht
Tagen alle diejenigen sämmtliche
Herren, die ich bei in Ihrem Salon kennen gelernt, die Ehre hatten, von
Ihnen empfangen zu werden. Es bleibt mir daher für Ihre Zeilen vom X X. keine
andere Auffassung mehr als daß Sie mir die Thüre weisen. Ich ersuche Sie mir
das Buchvermutlich die 2. Auflage von „Frühlings Erwachen“ (1894 bei Caesar Schmidt in Zürich), die gerade erschienen war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663]. das Sie von mir in Besitz haben und in das ich, ich weiß nicht mehr recht was, hineingeschriebenHinweis auf eine nicht überlieferte Widmung; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Unbekannt (Herr), 18.3.1894. Wedekind dürfte das mit einer Widmung versehene druckfrische Exemplar von „Frühlings Erwachen“ (siehe oben) dem Herrn an einem Sonntag mitgebracht haben (in dessen Salon)., mir
zurückschicken zu wollen. Überdies werde ich mir nun | doch nächster Tage
gelegentlich erlauben, Sie in Ihrem Office(engl.) Büro; im Büro des Herrn bei der Firma Linck, Moeller & Co. in London (siehe oben). aufzusuchen. Ich zerbreche mir
umsonst den Kopf darüber, was in aller Welt
ich Ihnen geschrieben haben kann, um zu verdienen, in den Augen aller
derjenigen die mich bei Ihnen gesehen, beschimpft zu werden. Ich gestehe Ihnen
daß mir der herzliche EmpfangWedekind dürfte am 25.2.1894 (Sonntag) erstmals bei den sonntäglichen Empfängen des Herrn in dessen Salon dabei gewesen sein, ein Kontakt, den er nach dem empfangenen Billet (siehe oben) mit dem vorliegenden Brief aufkündigte.,
den ich als
Fremder bei Ihnen
fand, mir eine große Überraschung war. Ich versichere Sie aber, daß mir
die seltsame Art und Weise, wie Sie sich sechs Wochen späterseit etwa Ende Februar gerechnet am 10.4.1894 mit dem Empfang des genannten Billet (siehe oben). meiner entledigen,
mir auch einezunächst umgestellt („eine auch“), durch die Streichung („auch“) aber erledigt. unvergleichlich größere Überraschung ist.
Ergebenst
Wedekind.