München 27. Juni 86.
Lieber Papa,
HerzlichenSchreibversehen, statt: herzlichen. Danh/k/ für Deinen lieben großen Briefvgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1886. und
für die 170 M. die
Du ihm beil/g/elegt hast. Ich erschrak nicht weniger als ihr bei der
Nachricht von Willys unglücklicher Überfahrt und Du wirst bis jetzt wol noch
kaum neue Nachrichten aus Amerika erhalten haben. Ich wünsche Willy von ganzem
Herzen, daß ihm der Sturz keine entstellenden Folgen zurückläßt. Seinem Gemüth
wird der HerbeSchreibversehen, statt: herbe. Zwischenfall jedenfalls Anlaß zu größerer Besonnenheit geben;
aber dieser Vortheil hätte sich doch wol auch auf billigerem Wege erringen
lassen – Es freute mich zu hören, daß Hammi | eine Assistentenstelle angenommen
hat. Das wird ihm nun auch noch mehr Mühen zu seinen theoretischen Studien geben.
Über das traurige Dramadie Entmündigung und Absetzung König Ludwig II. am 9. und 10.6.1886. Am 13.6.1886 ertranken Ludwig II. und der Psychiater Bernhard von Gudden im Starnberger See. Die näheren Umstände sind bis heute ungeklärt., das sich seit meinem letzten Briefvgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 28.5.1886.
hier bei uns abgespielt hat wirst du dich wol aus den Zeitungen ziemlich
orientirt haben. Wir
erwarteten alle schon seit Wochen, daß eine Veränderung in den Verhältnissen
eintreten werde, aber so kurz und gewaltsam hat es sich doch niemand
vorgestellt. Als am 10. Juni Morgens die Allg. Ztng. die Einsetzung einer RegentschaftDie Regentschaft übernahm als Prinzregent Luitpold von Bayern. In einem „Extra-Blatt“ proklamierte er: „Unser königliches Haus und Bayerns treubewährtes Volk ist nach Gottes unerforschlichem Rathschlusse von dem erschütternden Ereignisse betroffen worden, daß Unser vielgeliebter Neffe, der Allerdurchlauchtigste, Großmächtigste König und Herr, Seine Majestät König Ludwig II., an einem schweren Leiden erkrankt sind, welches Allerhöchstdieselben an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit [...] hindert. / Da seine Majestät der König für diesen Fall Allerhöchstselbst weder Vorsehung getroffen haben, noch dermalen treffen können, und da ferner über Unsern vielgeliebten Neffen, Seine Königliche Hoheit den Prinzen Otto von Bayern, ein schon länger andauerndes Leiden verhängt ist, welches Ihm die Uebernahme der Regentschaft unmöglich macht, so legen Uns die Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde als nächstberufenem Agnaten die traurige Pflicht auf, die Reichsverwesung zu übernehmen.“ [Allgemeine Zeitung, Nr. 160, 10.6.1886, Extra-Blatt, S. (1)]
proclamirte wußte kein Mensch was er sagen sollte. Das Publicum hatte so wenig
Anhaltspunkte, daß es nicht weit davon entfernt war über das Ereigniß zu
lächeln. Aber die Aufregung begann mit den Nachrichten von den Erlebnissen der
CommissionDie vom Kabinett eingesetzte Commission hatte nach der beschlossenen Entmündigung des Königs die Aufgabe, „dem erkrankten Monarchen von den nothwendig gewordenen Schritten förmlich Mittheilung zu machen und zugleich die ärztliche Behandlung eintreten zu lassen, welche der Krankheitszustand deselben erfordert.“ [Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 13.6.1886, Zweite Beilage, S. (1)] Dazu sollte Ludwig II. zunächst in Neuschwanstein aufgegriffen und in Hohenschwangau festgesetzt werden, um anschließend nach Schloss Berg am Würmsee (heute: Starnberger See) verlegt zu werden, was zunächst jedoch nicht gelang. Die Presse berichtete unter der Überschrift „Authentische Darlegung der Vorgänge in Hohenschwangau und Bericht über die Reise des Königs nach Schloss Berg“ ausführlich darüber [vgl. ebd.]. in Hohenschwangau und Schwan|stein. Man erwartete allgemein, der
König werde seinen Wächtern entfliehen und nach München kommen, wo er
jedenfalls mit lautem Jubel empfangen worden wäre, und als ich am Montagden 14.6.1886. Morgen
von Placaten an den Straßenecken hörte, glaubte ich nicht anders als, daß
dieser Fall nun eingetreten und der Kampf beginnen werde. Die Bestürzung über die
Todesnachricht war eine furchtbare, man glaubte nirgends mehr an die
Geistesstörung des Königs, man sprach von List, Gewalt und Mord. Man wähnte den
besten Beweis zu haben, daß der König bei gesundem Verstand gewesen sei indem
er eingesehen habe, daß gegen das diplomatische Gewebe ihm kein anderer
ehrenvoller Ausweg mehr offen bleibe. Aber trotz alledem blieb das Volk
vollständig passiv. Mehrere Personen, die auf der Straße den Mund zu weit
aufgethan wurden verhaftet und von der Gensdarmerie durch die dichten | Massen
geführt, ohne daß sich irgend jemand widersetzt hätte. Dabei schimpfte aber
alles darauf, daß so etwas nur in dem Bierstaate Bayern möglich sei, aber das
war auch alles. Freilich hatte man seit frühem Morgen Truppen mit
aufgepflanztem Seitengewehr durch die Straßen ziehen sehen. Gegen Mittag wurden
die Pauker und TrompeterIn der Königlichen Hof-Kapelle spielten Ludwig Mayer und Joseph Mühlbauer Pauke sowie August Gothe, Albert Meichelt, Johann Neupert und Karl Vollendorf Trompete [vgl. Almanach des Königl. Hof- und National-Theaters und des Königl. Residenz-Theaters zu München für das Jahr 1886. Hg. v. Anton Hagen. Jg. 16. München 1887, S. 18f.] Den Trompeter Johann Neupert hat Wedekind in der Namensliste seiner Bekannten im Münchner Tagebuch aufgeführt: „Neubert Trompeter“ [Tb München, S. 57]. der kgl. Hofk/c/apelle zur Proclamation des Königs Otto I.
costümirt und, da noch keiner von ihnen im Leben auf einem Gaul gesessen hatte,
so wurde in der ReitschuleDie Hofreitschule und der Marstallplatz befanden sich im Osten der Münchner Residenz. Probe gehalten. Am Nachmittag waren die Hauptstraßen
wiederum gedrängt voll von Publicum und alles erwarteteDie Presse berichtete: „Vor der kgl. Residenz standen den ganzen Tag Gruppen von Menschen, welche offenbar der Meinung waren, die Thronfolge S. K. H. des Prinzen Otto werde durch Herolde ausgerufen werden. Die Polizeiorgane schritten gegen die Ansammlungen erst gegen 6 Uhr Abends ein, nachdem die Proklamation mittelst öffentlichem Plakatanschlag erfolgt war und die Anhäufung der Neugierigen den allgemeinen Verkehr zu hemmen drohte. Die Räumung der Residenzstraße und der Residenz konnte Dank der entsprechenden Haltung des Publikums in aller Ruhe vollzogen werden.“ [Neueste Nachrichten und Münchner Anzeiger, Jg. 39, Nr. 166, 15.6.1886, S. (3)]. den feierlichen Aufzug.
Er wurde aber abgesagt aus Rücksicht auf die Persönlichkeit des neuen Königs, und die
Leute f gingen zwar unzufrieden aber doch ganz ruhig wieder nach Haus.
Ich hatte demnach auch nichts dabei verloren, daß ich mir dies | interessante
Schauspiel versagt hatte. Ich war nämlich gleich nach Tisch nach Starenberg
hinüber gefahren. Dort traf ich einen Professornicht identifiziert; in seiner Liste mit Bekannten im Münchner Tagebuch notierte Wedekind den Cellisten Friedrich Hilpert, Solist in der königlichen Hof-Kapelle und seit 1884 Lehrer an der königlichen Musikschule, den österreichischen Komponisten Ludwig Thuille, der seit 1883 an der Münchner Musikschule unterrichtete und den Pianisten Heinrich Schwartz, ebenfalls Professor am Konservatorium [vgl. Tb München, S. 56-58]. der hiesigen Musikschule, einen
hiesigen Kritikernicht identifiziert. und zwei Hofmusikernicht identifiziert; zu den Bekannten Wedekinds aus der Münchner Hof-Kapelle siehe die Namensliste in seinem Münchner Tagebuch [vgl. Tb, S. 56f.].. Mit ihnen fuhr ich in einem Boot nach
LeoniOrt am Ostufer des Starnberger Sees, an dem die Schiffe aus Starnberg anlegen. und dann von dort aus zurück nach Schloß Bergdie Sommerresidenz Ludwig II. in der Ortschaft Berg am Starnberger See. Von hier aus brach der König am 13.6.1886 zusammen mit dem Arzt Bernhard von Gudden zu dem Spaziergang auf, bei dem beide im See ertranken.. Ehe wir landeten
besichtigten wir die Stelle wo das Unglück geschehen war. Es r/s/taken
bunte Stangen im Wasser um den Ort zu bezeichnen. Im Grund sahen wir noch
deutlich die gewaltigen Spuren des KampfesDie Presse schrieb: „Etwa 10 bis 15 Schritte vom Ufer entfernt, läßt sich [...] im Lettenboden, und zwar in einer Tiefe von nicht ganz 4 Fuß, deutlich erkennen, daß die beiden Männer, deren Spuren bis zu diesem Punkte hingehen, Halt gemacht und eine Zeit lang gerungen haben müssen.“ [Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 39, Nr. 166, 15.6.1886, S. (1)]. Der See war ruhig und klar, so daß
wir die Schritte des Königs bis weit hinaus verfolgen konnten. Das Schloß Berg
ist nicht reich, nicht groß aber sehr geschmackvoll eingerichtet In einem der
unteren Gemächer lag der König aufgebaart. Den ganzen TagLudwig II. war am 14.6.1886 in Schloss Berg aufgebahrt, in der Nacht zum 15.6.1886 wurde der Leichnam nach München überführt. Die Öffentlichkeit hatte nur wenige Stunden am Nachmittag Zugang: „Schloß Berg, 14. Juni. [...] Von heute Mittags 3 Uhr war das Schloß [...] dem Zutritt geöffnet. In dichten Schaaren zogen von allen Seiten die Bewohner der benachbarten Orte herbei, um von dem geliebten Fürsten den letzten Abschied zu nehmen; auch zahlreiche Münchener, welche die Pfingstfeiertage nach Starnberg gelockt hatten, fanden sich ein. Gendarmerie und Feuerwehr waren im Vorhof aufgestellt und gestatteten dem Publikum, in Gruppen bis zu 30 Personen, das Schloß zu betreten.“ [Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 39, Nr. 166, 15.6.1886, S. (1)] über waren Landleute aus der Umgegend
herbeigeströmt, um ihn noch einmal zu sehen. Als wir eintraten standen Allen
die hellen Thränen in den Augen. Auch die wachthabende Gensdarmerie konnte sich
derselben kaum enthalten. | Das Antlitz des Königs war ruhig und zeigte nicht
die geringste Entstellung. Das wahrhaft königliche Aussehen, was man immer an
ihm gerühmt hatte, war freilich mit dem Blick verloren gegangen. Auf Im Zimmer nes/b/enan„In einem nebenan befindlichen Zimmer ruhte die Leiche des unglücklichen Obermedizinalrathes Dr. v. Gudden, der in seinem Berufe thätig den Tod in den Wellen fand, denen er seinen König entreißen wollte.“ [Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 39, Nr. 166, 15.6.1886, S. (1)] lag
Professor GuddenDer Obermedizinalrat Bernhard von Gudden war seit 1873 Universitätsprofessor für Psychiatrie und Direktor und erster Oberarzt der Kreisirrenanstalt München (Auerfeldstraße 6) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1886, Teil III, S. 18 u. 63]. Er verfasste auf der Grundlage von Aktenbefunden das Gutachten über den Geisteszustand Ludwigs II., das dessen Absetzung legitimierte [vgl. https://www.bavarikon.de/object/bav:GDA-OBJ-00000BAV80035140; Zugriff am 9.9.24] in nicht minder geschmackvoller Umgebung. Auch diesen Mann hab
ich letzten WinterWedekind besuchte im Januar 1886 gemeinsam mit Leopold Frölich die Irrenanstalt in München [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886] und dürfte dabei Bernhard von Gudden kennengelernt haben. in der Irrenklinik noch bei Lebzeiten gesehen. Er hat mir
damals einen sehr bedeutenden Eindruck hinterlassen und ich konnte in Folge
dessen durchaus nicht in die allgemeine Erbitterung einstimmen, die bei Hoch
und niedrig gegen ihn herrscht. Alles erlaubt sich kurzweg über sein Handeln
abzuurtheilen und dennoch bin ich der festen Überzeugung, daß gerade ein weniger
geistvoller Mann wol kaum seinen Fehler begangen haben würde. Allerdings läßt es das Volk
ihn jetzt auch noch entgelten, daß er der erste wah/r/, der die
Geisteszerrüttung des Königs zu constatiren wagte. Auf dem Heimwege fielen
natürlich allerlei ConjecturenVermutungen. über den eigent|lichen Hergang der Sache. Nach
dem was ich in Berg gesehen und später noch gehört habe muß derselbe Vorgan folgender gewesen sein: Nachdem der König,
der den Park genau kannte, den Arzt veranlaßt hatte, die Wächter
fortzuschicken, ist er unter dem Vorwand eines Bedürfnisses auf die Seite
gegangen, drang durch das dichte Gebüsch durch an den See, und als ihn der Arzt
hineinspringen hörte, ging er ihm gleich von seinem Platz aus nach. Im Wasser
trafen sie sich. Der König hat den Arzt untergetaucht, bis er sich seiner
entledigt hatte, und ist dann weiter hinaus gegangen. In München angelangt
fanden wir an den Straßenecken die gedruckte p/P/roclamation Ottos I.
nebst mehreren Befehlen des Prinzregenten; in der Nacht auf den Dienstagden 15.6.1886.
langten die beiden Leichen hier an. Der Zudrang des Publicums zum Paradebette„ein mit schwarzem Stoff behängtes Gerüst, auf dem der Sarg mit der Leiche eines Vornehmen öffentlich zur Schau ausgestellt wird.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. Bd. 12. Leipzig 1888, S. 697] des Königs war kolossal und dabei
die polizeiliche Anordnung an den Thoren der Residenz so schlecht, daß
allerhand Unglücksfälle nicht zu vermeiden waren. Am ersten TageLudwig II. war seit Mittwoch, den 16.6.1886 in der alten Hofkapelle der Münchner Residenz für die Öffentlichkeit aufgebahrt [vgl. Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 39, Nr. 166, 15.6.1886, S. 2]. | sollen acht
Kinder besinnungslos vom Platze getragen worden sein. Am zweiten Tageam 17.6.1886. war auch
die neunzehnjährige hübsche Tochter meiner Wirthinnicht identifiziert; Wedekind wohnte im 3. Stock der Schellingstraße 27, vermutlich bei der Privatierswitwe Maria Fischer [vgl. Adreßbuch von München 1885, Teil II, S. 407 und 1886, Teil II, S. 416]. dort. Als die Thür sich
öffnete, stolperte sie im Gedräng und fiel mit der Brust auf einen Prellstein.
Die hinter ihr stehenden Leute wurden von der Masse über sie hinweggeschoben.
Der Polizist, den sie in ihrer Verzweiflung anrief, konnte ihr nur mit dem
einen Arm zu Hülfe kommen, da er im andern schon eine ohnmächtig gewordene Dame
hielt. Endlich war es ihr möglich, sich zu erhebendSchreibversehen, statt: zu erheben. und nun wollte sie das alles
auch nicht umsonst ausgestanden haben und ließ sich also dadurch den Anblick
des Königs nicht rauben. Glücklicherweise ist sie mit einigen blauen Flecken
davongekommen. – Am Samstagden 19.6.1886. war der Leichenzug. Am Abend vorherden 18.6.1886. hatte das
Hoforchester die Erlaubniß erhalten, in aller Ruhe den König noch einmal sehen
zu dürfen, während das große Publicum schon | seit Mittag keinen Zutritt mehr
hatte. Einige Herren, die ich auf der Straße antraf, luden mich ein, sie zu
begleiten, und ich folgte gerne, da ich mich in dem/as/ Gedränge der
übrigen Leute nicht hineingewagt hatte. Als wir an den hohen Thoren der
Residenz vorbeikamen standen die L/M/enschen noch immer in dichten
Massen davor und erwarteten daß ihnen geöffnet werde. Auf der Bühne des
Hoftheaters
versammelten wir uns; es war indessen bereits halbzehn geworden. Viele der
Musiker hatten auch ihre Frauen und Töchter mitgebracht, so daß wir in dem
großen dunkeln Raum eine recht ansehnliche Gesellschaft bildeten. Darauf führte
man unr/s/ durch dunkle Gänge, weite Sääle, Treppe auf Treppe ab durch
die ganze Residenz bis wir endlich auf diesem langen Umweg zur Hofcapelle
gelangten. Ich hatte indessen unter den Anwesenden eine mir bekannte junge Dame getroffen,
Amerikanerin aus Bostonmöglicherweise die 20jährige Edla Isabel Coeurn, die Wedekind in einem späteren Brief mit dieser Herkunftsbezeichnung erwähnte [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1891]., 17 Jahr alt, die hier bei einem Concertmeisternicht identifiziert. in
Pension ist und sich trotz der vielen Menschen in den großen ungewohnten |
Räumen eines leisen Schauers nicht erwehren konnte. Trotz der vielen Kerzen war
die weite Capelle nur matt erleuchtet. Zu beiden Seiten des S/B/ettes,
das unter hohem schwarzem Baldachin stand n/h/ielten kgl. Leibgardisten und
Ritter vom hlg.
GeorgTräger des Ritterordens vom Heiligen Georg, dem Hausorden der bayerischen Kurfürsten, deren Großmeister Ludwig II. war. Wache. Der König, bei dem indessen die SectionLeichenschau, Obduktion (von lat. sectio = Schnitt). stattgefunden hatte trug
über dem Gesicht einen leichten Wachsüberzug und sah infolge dessen sehr jung
aus; doch vermißte man alle charakteristischen Züge, was sich auch auf dem von
Coppayder seit 1884 in München tätige österreichische Maler Josef Arpád Koppay; die Presse berichtete: „Herr Maler Koppay hat vorgestern Nacht zwischen 10 und 4 Uhr, autorisirt vom Oberhofmeisteramt, den König auf dem Paradebett in Pastell gemalt; ausgestellt ist das treffliche Bildniß in der Kunsthandlung von Neumann in der Maximilianstraße; später wird es auch in anderen Städten ausgestellt. Das Antlitz des Königs, in sprechender Aehnlichkeit, erscheint verklärt. Namentlich bei abendlicher Beleuchtung ist der Eindruck ein ergreifender. Herr Koppay hat sich übrigens bei der anstrengenden nächtlichen Arbeit eine Augenentzündung zugezogen.“ [Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 39, Nr. 169, 18.6.1886, S. (1)] in einer Nacht für 5000 M gezeichneten Pastellbild zeigt. Wir gingen unten und auf der
Emporkirche„galerieartiges, zum innenraum hin offenes obergeschoß in kirchen.“ [DWB 8, Sp. 1283], die ganz im Dunkel lag, rings um die Leiche herum und durften und/s/
eine volle halbe Stunde an dem/s/ feierlichen Eindruckes
erfreuen. Als wir aus der Residenz traten sahen wir den ganzen Flügel, den/r/
gegen den Hofgarten liegt erleuchtet. Dort liegen die Gemächer die einst für
den König eingerichtet worden waren, als er mit der jetzigen Herzogin von
AlançonLudwig II. verlobte sich am 22.1.1867 mit der Herzogin Sophie Charlotte in Bayern, einer Schwester von Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die Verlobung wurde am 7.10.1867 wieder gelöst. Am 28.9.1868 heiratete sie Herzog Ferdinand von Alençon. verlobt war. Jetzt aber bewohnte sie der deutsche KronprinzFriedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen, seit 1861 preußischer und seit 1871 deutscher Kronprinz, der am 9.3.1888 zum preußischen König und deutschen Kaiser Friedrich III. wurde. | der am
gleichen Abend zur Leichenfeierlichkeit hier eingetroffen war. Am Tag darauf
sah ich ihn im Zuge vom Dach eines Fiakers aus. Alle Straßen waren wiederum
gedrängt voll Menschen. Der Zug war sehr lang und langweilig. Nur die Gruppen
um den Wagen, worauf die Bischöfe des LandesVon den bayerischen Bischöfen nahmen an der Beisetzung teil der Bischof aus Regensburg Ignatius von Senestrey, der Bamberger Erzbischof Friedrich von Schreiber, der Bischof von Eichstätt Franz Leopold Freiherr von Leonrod, der Bischof von Speyer Joseph Georg Ehler sowie der Erzbischof von München und Freising Anton Steichele. Die Bischöfe von Augsburg, Würzburg und Passau hatten ihre Teilnahme abgesagt., hinterher die hohen Gäste, der
PrinzregentLuitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern, der Onkel von Ludwig II., übernahm bis zu seinem Tod am 12.12.1912 die Prinzregentschaft nach dessen Absetzung und Tod stellvertretend für den regierungsunfähigen Thronfolger Otto I. von Bayern. und die PrinzenDa Ludwig II. und Otto I. von Bayern kinderlos waren, sind hier wohl die drei Söhne des Prinzregenten Luitpold und deren männliche Nachkommen gemeint. hatten einiges Interesse. Seit mehreren Tagen ist
nun schon die KammerVon den beiden Kammern des bayerischen Landtags ist hier die Kammer der Abgeordneten gemeint; die Presse berichtete: „München, 17. Juni. 192. Sitzung der Abgeordnetenkammer. Anwesend sind die sämmtlichen kgl. Minister und 156 Abgeordnete. Die Tribünen sind dicht besetzt.“ [Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 18.6.1886, S. 2447]
eröffnet. Das alte Ministeriumdas Kabinett der bayerischen Regierung mit den vom König berufenen Ministern unter dem Ministerratsvorsitzenden Johann Freiherr von Lutz, das die Absetzung Ludwigs II. veranlasst hatte. hat einen harten Kampf gegen die AnfeinddungenSchreibversehen, statt: Anfeindungen.
der Ultramontanendie konservative katholische Opposition. In der bayerischen Abgeordnetenkammer, in der sie die Mehrheit innehatte, war sie vertreten durch die Bayerische Patriotenpartei. Über „das Gebahren der bayerischen Ultramontanen“ berichtete die Presse. „Es ist ein erstaunliches Schauspiel, welches dem deutschen Volke seit der Unglückskatastrophe vom 13. Juni durch die ultramontane Presse geboten wird. In den ersten Tagen nach der betäubenden Nachricht stellt sich diese Presse ungläubig, als wolle sie bewirken, daß die Beweise vom Wahnsinn des tief bemitleidenswerthen Königs in vollem Maße an das Licht gebracht werden. Seitdem diese Beweise in nur allzu reichlichem Umfang vorliegen, stürmt die ultramontane Presse plötzlich mit Anklagen gegen das Ministerium Lutz hervor. [...] Das unsinnige Gebäude der ultramontanen Anklage legt indeß Allen, die in Deutschland offene Augen haben, eine Thatsache vor die Sinne: die Thatsache, daß der Ultramontanismus den alleräußersten Werth auf den sofortigen Gewinn der Regierung in Bayern legt.“ [Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 24.6.1886, Beilage, S. 2533]. Doch steht zu hoffen, daß es sich halten kann. Unter dem
Volk in Stadt und Land glaubt noch immer niemand an die Geistesstörung des
Königs und dieser Fall hat zu alledem noch sehr viel alten Schlamm von neuem
aufgewirbelt. Man erinnert sich daran, daß der König Max an einem NadelstichKönig Maximilian II. Joseph von Bayern starb am 10.3.1864 an den Folgen einer Rotlauferkrankung, die durch eine Verletzung und Infektion der oberen Hautschichten entsteht.
gestorben ist und daß schon damals alles behauptete, die Nadel sei vergiftet
gewesen. Andere sagen er sei überhaupt nicht gestorben und seine Gruft in der
St. CajetanskircheDie Theatinerkirche (eigentlich: St. Kajetan und Adelheid) am Odeonsplatz. sei leer. Man ha Ihn aber habe man nach Italien
transportirt, wo er elend verhungert sei. Sogar | die Verrücktheit des neuen
KönigstSchreibversehen, statt: König. stellt man ernstlich in Abrede. Wenn es aber wahr sei so hätte ihn nur
seine Umgebung und seine lange Gefangenschaft dazu gemacht. Am schlechtesten
bei alledem kommt Richard Wagner weg. Ihm wird jetzt alles in die Schuhe
geschobenDie großzügige Unterstützung Richard Wagners durch den jungen Ludwig II. hatte 1865 bereits zu Protesten geführt, die Wagner zwangen, München zu verlassen. und die Wagnerianer wissen sich kaum mehr zu wehren. „Wagner ist
nicht daran schuld!“ behaupten sie „die Musik RichhardSchreibversehen, statt: Richard. Wagners führt zum
Guten!“ – „Allerdings führt sie zum Gudden“ entgegnen die Andern „Das hat man
an unserm König gesehen!“ ––
Nun, lieber Papa, hab ich
dir, glaub ich, alles erzählt, was ich hier erlebt und wovon ich voraussetzen
kann, das/ß/ es nicht in den Zeitungen steht. Meine herzlichsten Grüße
an euch Alle, zumal auch an Hermann, dem ich von Herzen gute Unterhaltung und
wackere GenesungHermann Plümacher, der Sohn von Wedekinds ‚philosophischer Tante‘ Olga Plümacher, litt an einer Lungenkrankheit und hielt sich zur Erholung längere Zeit in Gersau auf. wünsche. Es freute mich auch sehr, zu vernehmen, daß Du selber
Dich von Deinem Unwohlsein wieder erholt hast. Indessen bin ich Dein DankbarerSchreibversehen, statt. dankbarer. Sohn
Franklin.