Burgdorf 16/29/ Juni 1886
Werthester Herr Wedekind!
Entschuldigen Sie, daß ich erst heute Ihr freundschaftliches Briefchennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Ludwig Dürr-Heusler, 27.4.1886. beantworte.
Vorallem auch meinen verbindlichen Dank dafür; denn ich bin überzeugt, daß
Ihnen der so jähe Tod unseres Sohnes Moritz seligMoritz Dürr war am 18.4.1881 bei der Besteigung des Mythen (bei Schwyz) tödlich verunglückt und erst 6 Tage später aufgefunden worden [vgl. Ludwig Dürr-Heusler an Wedekind, 25.4.1886]
gewiß tief zu Herzen gegangen ist; wißend wie sehr auch er Ihnen zugethan war. Ich danke Ihnen
auch herzlichst für Ihre treue Freundschaft & Bemühungen um ihn; denn er
hat mir s. Z. erzählt wie freundschaftl.
Sie ihn s/b/ei seiner Ankunft
in MünchenNach einjährigem Aufenthalt aus Paris zurückgekehrt wurde Moritz Dürr am 24.11.1885 an der Akademie der Bildenden Künste München für das Fach Druckgraphik immatrikuliert [vgl. ADK München, Matrikelbuch 3 (1884-1920), Nr. 227]. aufgenommen & ihm zu allem behülflich gewesenFrank Wedekind berichtete seinem Vater über die eigene Unterstützung des Jugendfreundes seit dessen Ankunft in München [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 26.4.1886]. seien. Darum zürnte & | tadelte
ich es ihm auch sehr, daß er mich Ihnen nicht vorgestellt hat als wir Sie bei
meinem Besuch in München
auf der Straße begegneten. Erst nachher, als Sie fortgezogenweitergegangen. waremSchreibversehen, statt: waren., sagte er mir, wer es gewesen sei. Es hätte mich sehr
gefreut, damals Ihre persönliche Bekanntschaft zu
machen.
Nun ist er uns plötzlich entrißen worden, ohne
daß wir ihn wiedersehen & sprechen konnten. Tagsdaraufam 19.4.1886, dem Tag nach Moritz Dürrs Besteigung des Mythen, von der er nicht zurückkam. wollte er heim kommen & uns vieles
erzählen, was er nicht schreiben konnte & mochte.
Ach wir hätten noch so viel zu fragen gehabt,
denn mit Schreiben war er auch gar zu karg & wißen
wir über seinen Aufenthalt in München so wenig. Er hatte uns eben immer auf
baldigen mündlicheSchreibversehen, statt: mündlichen.
Bericht vertröstet. |
Nun ihm ist allerdings jeztältere Schreibweise für: jetzt. wohler Er ist manch Schwerem enthoben das
er ohne Zweifel durchzukämpfen gehabt hätte.
Sie sind so freundlich, uns auch jezt noch Ihre Freundschaft
für ihn zur Dispost/i/tion zu stellen.
Drum bin ich so frei, noch eine Frage an Sie zu
stellen, ob Sie mir da wohl auf die Spur verhelfen könnten.
Moritzen’s Effectenbeweglicher Besitz. sind uns durch das freundliche Entgegenkommen seiner Logisgebernicht eindeutig identifiziert. 1886 sind im Münchner Adressbuch 5 männliche Personen mit dem Nachnamen Knapp vertreten – 4 davon im Studentenviertel der Maxvorstadt [vgl. Adreßbuch für München, 1886, Teil I, S. 256]. In unmittelbarer Nähe zueinander wohnten 1. Schuhmachermeister Georg Knapp in der Gabelsbergerstraße 65 im 2. Stock, er war seit 1872 mit der Schmiedstochter Josefa Diepolder von Benningen verheiratet [Münchener Amtsblatt, Jg. 11, Nr. 19, 6.3.1872, S. 182]. 2. Simon Knapp in der Rottmannstraße 13 im 2. Stock (links) war bis 1883 noch als Weinhändler in der Amalienstraße 58 gemeldet [vgl. Adreßbuch für München, 1883, Teil II, S. 22] und war ebenfalls verheiratet, 1922 feierte er seine goldene Hochzeit mit Ehefrau Babette, beide starben noch im selben Jahr. 3. Bürstenbinder Mathias Knapp wohnte in der Sandstraße 30 im 1. Stock, eine Ehefrau ist nicht identifiziert. – Etwas weiter entfernt schließlich, direkt an der Akademie der Künste in der Rambergstraße 1 im 2. Stock wohnte Kunstmaler Gottlob Knapp, sein Sohn Gotthold wurde 1882 geboren, sein Familienstand im Frühjahr 1886 ist ungeklärt, im März 1887 verlobte er sich mit der Bauerstochter Theresia Ostler [vgl. Münchner Fremdenblatt, Jg. 10, Nr. 84, 1887, S. 16]. zu gekommen. Wir
vermißen aber noch dabei seine Violine samt Kasten, auf welche wir
hohen Werth legen, weil wir ihm mit großen Kosten ein sehr gutes Instrument
angeschafft haben & er damit unter Begleit(schweiz.) Begleitung. seiner Mutter
oder s. BrudersVermutlich ist hier nicht speziell an einen der beiden Brüder Ludwig oder Ernst gedacht; beide waren beide leidenschaftliche Sänger und Mitglieder im Gesangverein, ob bzw. welche Instrumente sie spielten, ist nicht bekannt [vgl. Burgdorfer Tagblatt, Jg. 99, Nr. 156, 9.7.1929, S. (3); Jg. 118, Nr. 242, 16.10.1948, S. (3)].
manchen Abends rechschönen Genuß geboten hat. |
Frau Knap schrieb uns, daß sie nachgesucht & gefragt
auch in Pfand & Leihanstalten weil wir ihr die Vermuthung ausgesprochen
haben, daß er sie vielleicht versetzt haben möchte. Denn finanziell war er eben
immer knapp dran indem ich ihn leider nicht nach Wunsch unterstützen konnte.
Frau Knapp meldet, daß er 2 Tage vor seiner Abreise mit der Violine
ausgegangen sei. Wohin wiße sie aber nicht. Da er viel Freunde unter den
Kunstschülern sowohl als auch bei den Studenten hatte, so glaube ich, könnte w/v/ielleicht
eine Anfrage in solchen Kreisen auf die Spur führen.
Was glauben Sie, dürfte man | wohl am so g. schwarzen
BrettAnschlagstafel für institutsinterne Nachrichten und für Inserate., wie es wohl an der Münchner Accademie & Universität wie anderswärts existiren
wird, einen Zettel, ungefähr solchen Inhalts wie bei liegenderDie Beilage ist nicht überliefert. anschlagen
laßen? * *oder vielleicht auch als Inserat in einer oder 2 der von den Studirenden am meisten
gelesensten Zeitungsblätter.
Wenn Sie glauben, daß man dadurch einen Erfolg erziehlenSchreibversehen, statt: erzielen. könnte, würden Sie
uns dies gefälligst wohl besorgen?
Nach den erhaltenen Berichten müßen wir annehmen,
er habe das Instrument bei einem Freunde deponirtWedekind erzählte 30 Jahre später über den Verbleib von Moritz Dürrs Effekten: „Er verkaufte zwischen Neujahr und Weihnachten 1885 seine Habseligkeiten in München, darunter eine sehr wertvolle Violine von Steiner in Bern [...].“ [Josef M. Jurinek: Frank Wedekinds literarische Anfänge. Unveröffentlichte Bekenntnisse des Dichters. Neues Wiener Journal, Jg. 24, Nr. 8215, 12.9.1916, S. 5]., der es allenfalls während
seiner Abwesenheit auch benutzen könnte, weil es eben ein sehr gutes war.
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie hiedurch noch
bemühe, & empfangen Sie meinen achtungsvollsten Gruß & Dank
L Dürr Heusler