Liebe Mama!
Vor drei Tagen kam Woldemar WedekindFrank Wedekinds Cousin, Kaufmann in Hamburg, Sohn seines Onkels Erich Wedekind aus Hannover und dessen dritter Frau Marie Dufaye. hierher. Am selben TageDem Tagebuch zufolge am 20.9.1912: „Barnowsky telegraphiert Gastspiel ab“.
erhielt ich ein Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Victor Barnowsky an Wedekind, 20.9.1912. in/au/s Wien, das ein zehntägiges GastspielWedekind hatte sich dem Tagebuch zufolge am 10.8.1912 („Barnowsky kommt wir verabreden Wiener Gastspiel“) und 14.8.1912 („T. St. mit Barnowsky“) in München mit Victor Barnowsky, Direktor des Kleinen Theaters in Berlin, getroffen und ein Gastspiel in Wien verabredet. in
Frage stellte. Ich hatte Besprechungen mit meinem RechtsanwaltIm Tagebuch ist nur für den folgenden Tag ein Treffen Wedekinds mit seinem Rechtsanwalt Wilhelm Rosenthal (Leopoldstraße 34, Kanzlei: Sonnenstraße 3) [vgl. Adreßbuch für München und Umgebung 1913, Teil I, S. 540] verzeichnet: „Nachmittags bei Rosenthal wegen Wiener Gastspiel“ [Tb, 23.9.1912]., war zwei Tage
in Athem gehalten und kam darüber nicht dazu, dem Vetter auf seinen zweimaligen
Besuch hin, eine Antwort zukommen zu lassen. Hätte er sich die Mühe genommen,
mich vorher von seinem Eintreffen zu benachrichtigen, e/d/ann wäre es
mir ein Vergnügen gewesen, | ihn kennen zu lernen. So platzten zwei
Überraschungen aufeinander, von denen die eine mich vollkommen in Anspruch
nahm. Woldemar Wedekind ist abgereist ohne mir seine Adresse zu hinterlassen.
Das muß ich ertragen mit der Zuversicht, daß wir uns ja später einmal kennen
lernenDas erste Treffen mit Woldemar Wedekind ist für den 28.6.1916 in Berlin belegt: „Mit Woldemar Wedekind im Elite Hotel“ [Tb] können. Er hätte ja vielleicht auch früher Gelegenheit genug dazu
gehabt. Ich möchte nur nicht, daß Du etwa glaubst ich hätte Deine EmpfehlungWann Emilie Wedekind diese Empfehlung ausgesprochen hat, ist nicht belegt, möglicherweise in einem der nicht überlieferten Korrespondenzstücke aus dem Juni 1912.
nicht respektiert. Du
bist mir in diesem SommerTilly Wedekind und die Kinder waren vom 20.6.1912 bis 15.7.1912 in Lenzburg bei Emilie Wedekind [vgl. Tb] zu Besuch, ohne Frank Wedekind. eine so liebevolle Mutter gewesen, daß ich mich so
tief in Deiner Schuld fühle wie | vor dreißig Jahren. Tilly liebt Dich und
blickt an Dir empor. Das tun aber noch sehr viele Andere, von denen Du
vielleicht nichts weißt. Allgemein hat man eine schöne verehrungswürdige
Vorstellung von Dir, die überdies Deinem Wesen, Deiner Art und Persönlichkeit
vollkommen entspricht./,/ und zu der ich, ich muß es gestehen,
eigentlich niemandem verholfen habe.
Ich bitte Dich also, liebe Mama, falls Du Woldemar W. schreibst, mich bei
ihm zu entschuldigen. Den Kleinen geht es sehr gut, ebenso Tilly mit der ich
jetzt Franziska einstudiereWedekind begann mit dem Erlernen seines letzten Stücks „Franziska“ Ende Juli. Der erste Eintrag dazu im Tagebuch findet sich am 20.7.1912: „Franziska studiert.“ Es folgen ähnliche Einträge am 21., 22. („Mit Tilly Franziska studiert“) und 31.7.1912 sowie am 4., 10., 11., 15., 17.,18.,19., 22., 27. und 28.8.1912. Im September heißt es ebenfalls mehrfach: „Mit Tilly Franziska studiert“ (3. und 4.9.1912), „Tilly überhört mich Franziska-Rolle“ (19.9.1912) oder „Mit Tilly Franziska geübt“ (23., 25. und 26.9.1912). . Im Oktober soll die AufführungDie Uraufführung von Wedekinds 1911 entstandenem Schauspiel „Franziska. Ein modernes Mysterium“ verzögerte sich und fand unter der Regie von Eugen Robert erst am 30.11.1912 als geschlossene Veranstaltung in den Münchener Kammerspielen statt, die erste öffentliche Vorstellung folgte am 3.12.1912. Frank und Tilly Wedekind spielten die Hauptrollen. Im Vorfeld der Uraufführung war es zu einer von Wedekind öffentlich geführten Auseinandersetzung zwischen ihm und Robert wegen zensurbedingter Streichungen gekommen [vgl. Wedekind an Münchner Neueste Nachrichten, 8.8.1912], die Wedekind bewogen hatten, den Rückzug seines Stücks anzukündigen. Am 4.10.1912 notierte er im Tagebuch: „Besuch bei Rosenthal, erfahre daß Robert auf Franziska besteht.“ Und am 10.10.1912: „Franziska wird fallen gelassen.“ sein. Mit
Annapamela spreche ich täglich von der | Großmutter in Lenzburg. Wer hätte sich
im Jahr 1874Wedekinds Vater Friedrich Wilhelm Wedekind hatte das Haus Steinbrüchli am Fuße des Lenzburger Schlossberges laut Kaufvertrag [vgl. AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.1:316] im Jahr 1875, nicht 1874, erworben. Es diente Emilie Wedekind nach dem Verkauf des Schlosses seit 1893 als Wohnhaus. träumen lassen, daß daß/s/ Steinbrüchli einer ganzen
Generation von jungen Menschen zur schönsten Heimat werden würde. Diesen Segen
DankenSchreibversehen, statt: danken. wir nur Dir, liebe Mama.
Tilly ist zu Bett gegangen und die Kinder schlafen. Trotzdem
senden sie Dir alle ihre herzlichsten Grüße. Ich A/m/it ihnen.
Dein treuer dankbarer Sohn
Frank.
22.9.12.
[Kuvert:]
Frau
Dr. Emilie Wedekind
Lenzburg.
Ct. Aargau Schweiz.