Kennung: 5233

München, 30. Juli 1905 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

Geliebte Mama!

Tausend tausend Dank für das schöne Bildnicht überliefert; das selbstgemalte Bild (ein Geburtstaggeschenk zum 24.7.1905) lag einem ebenfalls verschollenen Brief Emilie Wedekinds bei (s. u.). Artur Kutscher zufolge ließ Emilie Wedekind zum „Geburtstag 05 […] durch eine befreundete Malerin das kleine Häuslein malen, in dem er seine Hidalla verfaßte“ [Kutscher 3, S. 232], als er im Sommer 1903 in Lenzburg war., bis jetzt eine der schönsten Erinnerungen, die ich der Hidalla zu danken habe. Ich brauchte solang um zu antworten, da ich in den letzten Tagen eine InfluenzaIm Tagebuch notierte Wedekind seit dem 25.7.1905 bis zum 30.7.1905 täglich „Influenza“, er trat jedoch weiterhin im Künstlerkabarett Intimes Theater (Direktion: Mary Irber) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 506f.) im Kaimsaal auf. hatte, daß ich die Hand nicht vor den Augen sah. Wer hat denn das Bild gemalt? Ich werde es sofort einramenSchreibversehen, statt: einrahmen. lassen und | am schönsten Platz unter meinen Kriegstrophäen aufhängen. Ich habe mich sehr darüber gefreute, daß Ihr Euch in Lenzburg so schön zusammen getroffen habt. Es muß DortSchreibversehen, statt: dort. jetzt herrlich sein. Hier scherrschtSchreibversehen, statt: herrscht. eine Hitze daß man den ganzen Tag im Wasser liegen möchte. Leider geht das bei Influenza nicht. Ich werde wol den ganzen Sommer hierbleibenWedekind verließ München am Abend des 5.9.1905, um über Dresden nach Berlin zu reisen, wo er bis zum 25.6.1906 blieb. Zuvor unternahm er lediglich eine kurze Reise nach Franzensbad und Eger (s. u.)., denn ich muß mir für den Winter noch einige Rollen einpauken lassenWedekind nahm spätestens seit April 1904 regelmäßig Schauspielunterricht bei dem Hofschauspieler Fritz Basil, wie zahlreiche Einträge im Tagebuch belegen, insbesondere auch zur Vorbereitung auf die Rolle des Karl Hetmann in „Hidalla“, für deren Erfolg er Fritz Basil sogar Geschenke macht: „Ich schenke Basil einen goldenen Becher für Hidalla.“ [Tb 26.6.1905] Im August notierte Wedekind mehrfach: „Schwiegerling gelernt.“ [Tb 9., 10., 11. und 13.8.1905] sowie „Rollen gelernt.“ [Tb 14., 15. und 16.8.1905] . Im Monat Juni habe ich zweimal prachtvolle | TageWedekind war vom 27.5.1905 bis 30.5.1905 und vom 14.6.1905 bis 16.6.1905 in Wien gewesen und verbrachte seine Zeit dort vor allem mit Karl Kraus und Berthe Marie Denk [vgl. Tb]. in Wien verlebt gelegentlich der Aufführungen der Büchse der PandoraWedekind war vom 27.5.1905 bis 30.5.1905 und vom 14.6.1905 bis 16.6.1905 in Wien gewesen und verbrachte seine Zeit dort vor allem mit Karl Kraus und Berthe Marie Denk [vgl. Tb]. , mit allen Herrlichkeiten die Wien zu bieten hat. Im Oktober spiele ich Hidalla in Berlin am Kleinen Theater.

Donald wird Dir wol von sich das Wichtigste selber erzähltDonald Wedekind war nach seinem Besuch bei Frank Wedekind in München vom 13. bis 21.7.1905 nach Lenzburg weitergereist: „Donald reist in die Schweiz.“ [Tb 21.7.1905] haben. Er scheint hier ganz gute Geschäfte gemacht zu haben. Vor zwei Tagen traf ich Abends mit einem Herrn HollFritz Holl, Schauspieler am Stadt- und Casinotheater Baden (Direktion: Heinrich Hagin) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266], war 1904 mit Emilie (Mati) Wedekind zusammen aufgetreten. zusammen, der mit Mati | am Sommertheater in Baden engagiert war und mir von ihrem Spiel erzählte, das sehr gut gewesen sei. Du mußt ihn gleichfalls kennen, da er bei Euch in Lenzburg war. Wir schrieben dann zusammen mit dem Hofschauspieler KainzJosef Kainz, Hofschauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 574]; die Presse notierte: „Hier angekommen und in den nachfolgenden Hotels abgestiegen sind: […] Hofschauspieler Kainz, Wien (Continental).“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 58, Nr. 339, 22.7.1905, Morgenblatt, S. 3] eine Karte an Matinicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 28.7.1905. die derweil hoffentlich angekommen.

Wenn Mati übrigens meinen alten Freund Hermann Huber sieht, dann würde | es mich sehr freuen wenn sie ihm meine Grüße ausrichtenEmilie (Mati) Wedekind vertrat im Sommer 1905 „vorübergehend eine vakante Lehrerstelle im 20 km von Lenzburg entfernten Dorf Besenbüren“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 220], dem Heimatort Hermann Hubers [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 30.7.1905]. wollte.

Vor kurzem habe ich wieder ein neues Stück„Totentanz“; Wedekind hatte mit dem Entwurf des Stücks am 28.3.1905 begonnen und die Arbeit daran am 20.6.1905 mit der Absendung einer Reinschrift an Karl Kraus beendet [vgl. KSA 6, S. 613]. Der Erstdruck erfolgte in der „Fackel“ [Jg. 7, 4.7.1905, Nr. 183/184, S. 1-33], die Buchfassung erschien (datiert auf 1906) im Oktober 1905 bei Albert Langen [vgl. KSA 6, S. 623]. vollendet, einen Einakter. Wenn er gedruckt ist, dann werde ich ihn dir zuschicken. Ich fürchte nur, daß ihn außer mirWedekind begann nach der Publikation mit dem Auswendiglernen des Stücks: „Casti Piani gelernt.“ [Tb 10.7.1905] Kurz darauf notierte er: „Casti Piani fertig gelernt.“ [Tb 18.7.1905] In der Uraufführung am Intimen Theater in Nürnberg (Regie: Emil Meßthaler) am 2.5.1906 spielte Wedekind die Hauptrolle. kein Schauspieler auf dieser Welt jemals spielen wird.

Nächste Woche gehe ich | nach IschlTatsächlich reiste Wedekind vom 4.8.1905 bis zum 7.8.1905 nach Eger und Franzensbad, um sich mit Berthe Marie Denk zu treffen [vgl. Tb]. Ein Vortrag Wedekinds ist in dieser Zeit nicht belegt., dem elegantesten österreichischen Badeort um einen literarischen Vortrag zu halten. Später gastiere ich dann wahrscheinlich wieder in Reichenhall und Marienbad Gastspiele Wedekinds in den beiden Orten ließen sich für 1905 nicht belegen (zu Bad Reichenhall vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 17.8.1905). Im Jahr zuvor war Wedekind in seinem Einakter „Der Kammersänger“ am Kurtheater von Bad Reichenhall (1./3.9.1904) zu Gast gewesen. Die Presse kündigte seit August eine gemeinsame „Gastspieltournee durch Deutschland und eventuell auch Österreich“ [Die Zeit, Jg. 4, Nr. 1103, 11.8.1905, Morgenblatt, S. 4] mit Hedwig Lange an, „erste Kraft des Frankfurter Schauspielhauses“ [ebd.], deren Namen Wedekind am Tag des vorliegenden Briefes im Tagebuch notierte. Sie „wird die weibliche Hauptrolle des neuen Wedekindschen Stückes, dessen Titel noch nicht feststeht, in Berlin kreieren, während Wedekind selbst die männliche Hauptrolle seines neuen Stückes übernimmt. Wedekind-Lange beabsichtigen außer der Aufführung des neuen Stückes auch noch mustergültige Vorstellungen des ‚Erdgeist‘ und der ‚Büchse der Pandora‘ in den verschiedenen Städten ihres Auftretens.“ [Ebd.] Die Tournee fand nicht statt.wie schon im vorigen Sommer. Bei schönem Wetter sind solche Reisen höchst amüsant da man immer eine Reihe angenehmer Bekanntschaften dabei macht. | Nach Lenzburg zu kommen ist mein sehnlichster Wunsch aber ob sich die Zeit findet? Sobald ich einmal zu einem Gastspiel oder Vortrag in der Schweiz aufgefordert würde wäre ja die Sache sehr einfach. Aber die Schweizer scheinen nicht viel Zutrauen zu meinen Künsten zu haben. Du würdest mir einen großen Gefallen thun liebe Mamma | wenn Du mir den Brief von WillyDer Brief von William Wedekind an seine Mutter ist nicht überliefert. schicken wolltest von dem Du mir im Mai schriebstHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 9.5.1905.. Du erhälst ihn sofort wieder zurück.

Und nun sei noch einmal herzlich bedankt liebe Mama, für das schöne Bild und den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 25.7.1905. und grüße bitte Mati wenn SieSchreibversehen, statt: wenn sie. noch bei Dir ist.

Mit den herzlichsten Wünschen und besten Grüßen
Dein treuer BruderSchreibversehen, statt: Sohn.
Frank


30.7.5.


[Kuvert:]


Frau Dr. Emilie Wedekind.
Lenzburg
Schweiz Ct. Aargau

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 9 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. 8 Seiten beschrieben. Gelocht. Kuvert 13 x 10,5 cm. 1 Seite beschrieben. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit zwei, um 90 Grad gedreht aufgeklebten Briefmarken zu 10 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel München: „7–8 N.“ (= 19 bis 20 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Lenzburg: „XI“ (= 11 Uhr).

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
146-148
Briefnummer:
250
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 345-346 (Nr. 174).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 30.7.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

18.06.2024 16:31