Liebe Mama,
das ist ja eine recht traurige Botschaftder Tod von Wedekinds Tante Auguste Bansen, der Schwester seines Vaters, aus Hannover am 15.12.1899. Zugleich Hinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 16.12.1899.. Mir bleibt nichts
anderes, als zu condolierenBeileid zu bekunden.. Meine Dienste kann ich Dir nun leider nicht
anbieten. Ich denke, es wäre wol Armins Sache nach Hannover zureisen,
vorausgesetzt daß du von Dresden momentan nicht abkommen kannst. Mir sind diese
Verhältnisse sämmtlich so vollkommen fremd, indem ich außer dir und meinen Geschwistern ja thatsächlich
nicht einen einzigen Verwandten | persönlich kenne, daß man mich nicht
vermissen wird.
Hier oben war es die letzten drei Tage empfindlichst kalt,
während man sich jetzt wieder vollkommen wol fühlt. Was du mir schriebst von dem Urlaubsgesuch wegen der
Aufführungdie Uraufführung von „Der Kammersänger“ (Regie: Martin Zickel) am Neuen Theater in Berlin (Direktion: Nuscha Butze-Beermann) am 10.12.1899. in Berlin muß sich einer von Miezes guten Freunden aus den Fingern
gesogen haben. Es ist nicht ein wahres Wort daran, indem ich im Traum nicht
daran dachte um Urlaub einzukommen sondern mich herzlich darüber freute, daß
ich weit vom Schuß
war. Dem Menschen war es offenbar nur darum zu thun ein | Dementi von mir zu
erhalten, damit er seinen LesernDie Zeitung, in der vom angeblichen Urlaubsgesuch Wedekinds berichtet wurde, ließ sich nicht identifizieren. noch mal unter die Nase reiben kann, daß ich
hier oben sitze. Ich habe deshalb natürlich auch gar nicht darauf reagirt.
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen fröhliche Feiertage.
Vielleicht schickst du Donald zu Weihnachten wieder eine Kleinigkeit,
vorausgesetzt natürlich, daß er sich in der Zwischenzeit anständig gegen dich
betragen hat. Auf diese Weise wird das a/A/ufkommen unheilvoller
Spannungen verhindert. Und er ist ja nun einmal im Pech; des wegenSchreibversehen, statt: deswegen. kann man
nicht von ihm erwarten, daß er das Gleiche thut. |
An Neuigkeiten habe ich natürlich nichts zu bieten. Wir sind
augenblicklich nur unserer ZweiWedekinds Mithäftling war ein nicht näher identifizierter „Agrarier“, wie er seinem Schwager schrieb [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 21.12.1899]. und leben wie in einem Trappistenklosterdas heißt, ohne miteinander zu sprechen; andere Ordensverpflichtungen der Trappisten, wie vielstündige Gebete und Feldarbeit, können hier kaum gemeint sein..
Die Pantoffeln und Strümpfe habe ich glücklich erhaltenDas Begleitschreiben zu der Sendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Walther Oschwald an Frank Wedekind, 11.12.1899. und
lasse Walther bestens dafür danken. Deine EinsamkeitEmilie Wedekinds Tochter Erika und ihr Schwiegersohn waren in die Schweiz gereist [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.12.1899], vermutlich zu den Eltern von Walther Oschwald in Basel. wird ja nun auch bald zu
Ende sein. Meine dauert nur noch anderthalb MonatWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Haft entlassen. und ich fürchte nur daß ich
das mir gesetzte Pensumdie Fertigstellung des „Marquis von Keith“. Tatsächlich zog sich die Arbeit an dem Stück bis in den Mai 1900 hin [vgl. KSA 4, S. 413]. nicht zu Ende bringe. Auf alle Fälle aber hoffe ich
dich auf der Durchreise in Dresden zu sehen.
Mit den herzlichsten Grüßen bin ich dein treuer Sohn
Frank
Festung Königstein, 17.12.99.
[Kuvert:]
Frau
Dr. Emilie Wedekind
Dresden-Strehlen
9. Julius-Otto-Strasse 9.