Zürich, Festgasse 21.I. – 4 II.96.
Liebe Mama,
erlaube mir, daß ich Dir noch einmal wegen Donald schreibe,
nicht daß er mir geschrieben hätte. Ich habe seit langer Zeit keine Nachricht
mehr von ihm. Ich weiß nur daß er wieder angefangen hat, Artikel für die
Zürcher Post1894 war von Donald Wedekind in der Beilage der „Züricher Post“ [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894] der Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“ erschienen. zu schreiben. Aber ich möchte dir etwas vorschlagen, oder besser
dich um etwas bitten, was soweit mein Ermessen reicht, das vortheilhafteste für
ihn wäre, nämlich wenn du mit Mati und ihm zusammen nach Dresden gingest. Von
dem was Donald jetzt verdient und bei aller Arbeit verdienen kann, kann er
unmöglich schon leben. Wenn er, darauf angewiesen, hierher käme, wäre die
Folge, daß er äußerlich und vielleicht auch gesundheitlich herunter käme. Ich
bin jetzt soweit, daß ich ihm monatlich | dreißig Franken geben könnte aber
nicht mehr. Es ist das das Geld welches mir Jemandnicht identifiziert, vermutlich einer der Verlagsmitarbeiter oder Albert Langen selbst., der bei unserer Zeitung
die in München im Albert Langen Verlag ab April 1896 erscheinende illustrierte Wochenschrift „Simplicissimus“, deren erste Nummer mit Wedekinds Erzählung „Die Fürstin Russalka“ eröffnete [vgl. Simplicissimus, Jg. 1, Nr. 1, 4.4.1896, S. 1-3]. Wedekind war von Anfang an stark mit Beiträgen – vor allem mit Gedichten – im „Simplicissimus“ vertreten.interessirt ist ausgesetzt hatte, damit ich bis die Sache im Gang ist,
ungehinderter arbeiten konnte. Ich bin jetzt soweit, daß ich das Geld zur Noth
entbehren könnte, indem ich um vieles rascher arbeiten gelernt, aber es wäre
für Donald nur eine geringe Hülfe.
Ich glaube nicht, daß Mieze, wenn Du ihr davon schreibst,
Donald mitzubringen, damit einverstanden wäre. Wenn du sie indessen mit ihm
überraschst, dann wird sie zuerst einen schiefen Mund ziehen, wird aber, sobald
sie sieht, wie Donald in der Gesellschaft aufgenommen wird, ihn gerne überall
mithinnehmen. Sie wird, sowieSchreibversehen, statt: so wie. ich sie kenne, sehr überrascht darüber sein, daß
man ihn um das zehnfache höher schätzt, als sie bei ihrer Art die Menschen zu
beurtheilen, erwartet hätte. Das „Rote Röckchen“Donald Wedekinds erste Novellensammlung, die 1895 bei Steinitz in Berlin erschienen ist. | sowie unser Blatt, das in München erscheint und
in jeder Nummer Artikel von mir bringen wird und über ganz Deutschland
verbreitet sein wird, wird ihn überall, wo es etwas zu verdienen giebt aufs
beste empfehlenDonald Wedekind publizierte in den ersten beiden Jahrgängen des „Simplicissmus“ sieben Erzählungen, zum ersten Mal Ende Mai die Titelgeschichte „Bébé Rose oder Der verirrte Freier“ [vgl. Simplicissimus, Jg. 1, Nr. 9, 30.5.1896, S. 1-3].. Diesen Vortheil hat er jetzt in Rom nicht und würde ihn hier
in Zürich nur in geringerem Maße haben. Es wird dann mit ihm gehen wie es mit
mir gegangen, er wird sich zuerst sein Taschengeld verdienen, wie ich letzten
Sommer in LenzburgIm Sommer hatte Wedekind „um ein sehr geringes Honorar“ [Wedekind an Hans Kaeslin, 6.8.1895] sein neues Stück „Der Erdgeist“ an Albert Langen verkauft [vgl. Wedekind an Albert Langen und Albert Langen Verlag, 10.7.1895]. und unter so günstigen Verhältnissen, vielleicht
rascher als man denkt auf eigenen Füßen stehen. Mieze wird ihn durch die
persönliche Nähe, und vor allem dadurch, daß sie sieht, wie ihn fremde Menschen
beurtheilen, wieder liebgewinnen wovon jetzt, seiner Abenteuer wegen e. ct. wol wenig die Rede
ist, und wird nichts zu bereuen haben. Donald wird davor bewahrt bleiben,
äußerlich herunterzukommen, was später immer zu einem der schwersten
Hindernisse wird. Ich weiß nicht wie er sich gegenwärtig fühlt und be|nimmt und
wie es überhaupt mit ihm steht. Vielleicht bist du so freundlich mir etwas
darüber zu schreiben. Ich habe seit Wochen keinen Brief mehr von ihm. Er
schreibt mir nicht, da er weiß daß ich selber nichts übrig habe an Zeit und
Geld. Ich habe wie gesagt nur für von einem Artikelnicht ermittelt (die „Züricher Post“ ist archivalisch in Deutschland nicht verfügbar). gehört den er an die
Z. Post
geschickt.
Aus dem beigelegten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Albert Langen Verlag an Wedekind, 1.2.1896. wird Mati ersehen, daß ich ein Verlagsanerbieten
auf den „HänsekenArmin und Frank Wedekind hatten zu Weihnachten 1879 ihrer dreijährigen Schwester Emilie (Mati) ein Bilderbuch mit Illustrationen von Armin und Text von Frank Wedekind geschenkt, das der Autor nun Albert Langen zur Publikation anbot. Die Buchfassung erschien unter dem Titel „Der Hänseken. Ein Kinderepos“ im Dezember 1896 im Verlag Albert Langen [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 284, 7.12.1896, S. 8347]. Die Illustrationen besorgte Josef Benedikt Engl unter Rückgriff auf die existierenden Vorlagen Armin Wedekinds, die sich für die Reproduktion nicht eigneten [vgl. KSA 1/II, S. 1237].“ habe. Ich zweifle noch sehr daran, daß Langen, wenn er das
Buch gelesen, es wirklich nimmt. Immerhin laß ich Mati bitten, mir das Buch,
wenn sie es bei sich hat hierherzuschicken, oder direct an den Verlag Langen,
mich dann aber wissen zu lassen, ob sie es gethan oder nicht. Dem Buche kann
nichts dabei passiren, wenn sie es recommandirtper Einschreiben. schickt. Es ist vollkommen
sicher. Das neue ExemplarEine Kopie des Bilderbuches hatte Armin Wedekind bereits 1880 angelegt [vgl. KSA 1/II, S. 1236]. was Hami hergestellt, schicke ich nicht an Langen,
weil ihm die Vor|züge des alten ursprünglichen fehlen. Jedenfalls würde ich
darauf drängen, daß das Buch sogar im gleichen Format veröffentlicht würde. Den
Brief hast du vielleicht die Güte mir zurückzuschicken.
Das Stückunklar; Wedekind erwog zuletzt, sich um die Aufführung von „Der Schnellmaler“ und „Der Liebestrank“ zu bemühen [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 29.12.1895]., das ich hier zur Aufführung bringen wollte ist
leider, da ich wochenlang nicht wol war und auch aus Mangel an Geld ins Wasser
gefallen, wenigstenSchreibversehen, statt: wenigstens vor der Hand. Viel ist nicht dabei verloren, wenn auch viel
zu profitiren gewesen wäre. Vor acht TagenDie Lesung fand am 24.1.1896 statt (siehe den beigelegten Programmzettel). recitirte ich im Vereinshaus
kaufmännischen Vereinshaus mein Fr. Erw.
mit leidlichem pecuniärem Erfolg. Die Kritik der N. Z. ZeitungDer beigelegte Zeitungsausschnitt ist nicht überliefert. Die Rezension erschien mit dem Kürzel „-b.“ unter der Rubrik „Lokales“: „Vor einem mit gespannter Aufmerksamkeit folgenden Publikum las gestern abend Herr Frank Wedekind sein großes, erschütterndes Drama ‚Frühlings Erwachen‘. Es ist doch ein eigenes Gefühl, das Geistesprodukt eines Dichters aus dem Munde des Verfassers selbst zu hören. Die Dinge wirken mit unmittelbarer Gewalt und viel überzeugender, als wenn sie erst in der Reflexion der Schauspieler oder eines Berufs-Rezitators erscheinen. Diesem Eindruck unterlag man beim Anhören von Wedekinds Dichtung, wenn schon ein gesundes Gefühl sich gegen manche allzu drastischen Einzelheiten sträuben wollte. ‚Frühlings Erwachen‘ ist eine Kindertragödie, welche pädagogische Zwecke verfolgt. Sie enthält große und unleugbare Wahrheiten, Wahrheiten, die jeder Vater, jede Mutter beherzigen sollte. Ob es aber richtig ist, diese Wahrheiten dramatisch zu verarbeiten, ist eine andere Frage. Bewundernswert ist jedenfalls der Mut und die logische Schärfe, mit welcher Wedekind die unerbittlichsten Folgerungen aus seinen Voraussetzungen zieht.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 117, Nr. 26, 26.1.1896, S. (2)]. lege ich bei. Ich habe in dem Stück
nicht ein einziges Wort ausgelassen und hatte vorwiegend Damen als Publicum
Und wie geht es dir, liebe Mama. Der Winter ist bis jetzt,
wenigstens für uns sehr gnädig gewesen. Ich habe die feste Überzeugung, daß dir
der Aufenthalt in jeder | Beziehung und vor allen dingenSchreibversehen, statt: Dingen. durch seine Schönheit,
gut thut. Meine besten Wünsche sind bei dir und mein herzlicher Dank für alles
was du an mir gethan und an Donald thust. Grüße Mati und Donald aufs beste von
mir. Donald darf nicht denken, ich wolle ihn hier nicht aufnehmen und alles für
ihn thun. Was ich dir schreibe ist nur das, was ich für viel vortheilhafter für
ihn halte. Er selber wird es nicht wagen Dich darum zu bitten, aber wenn du ihm
den Vorschlag machst, wird er die Gründe einsehen. Und nun leb wohl, liebe
Mama. Mit den herzlichsten Grüßen und besten Wünschen dein dankbarer Sohn
Frank.
Hammi kam vor einigen Wochen mit einer sehr schmutzigen
Geschichtenicht ermittelt. zu mir. Ich habe mich dagegen verantwortet vor dem Tribunal des Dr FreyArmin Wedekinds Schwiegervater, der Bezirksarzt Dr. Gottlieb Frey. wohin er mich citirt. Beide können dir die
Versicherung geben, daß ich nichts mit der Sache zu thun habe. Wenn mich Mieze
vor der ganzen Welt bloßstellt und blamirt, kann sie nicht erwarten, daß ich
auch noch in ihrem Interesse und zu meinem Schaden den Mund halte. Übrigens
habe ich von keiner anderen Seite etwas gehört und gelesen. Ich bin ziemlich
sicher, daß nicht ein Funken Wahrheit an der Sache ist.
Bitte Mati, mir sobald als möglich zu antworten.
[Beilage:]
Freitag, den 24.
Januar
im Saale des kaufmännischen Vereinshauses,
Sihlstrasse (Seidenhof):
Frühlings Erwachen
Eine Kinder-Tragödie.
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Dramatische Dichtung
von Frank Wedekind.
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Vorgetragen vom
Autor.
Entrée: Fr. 1.– Beginn 8¼ Uhr.
Das Programm dient
als Eintrittskarte.
J. SCHABELITZ,
ZÜRICH.
[Kuvert:]
Madame
Emilia Wedekind
5. Piazza
di Spagna
Roma.