Grunewald, 14/3 06
Sehr geehrter Herr Wedekind,
ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre Liebenswürdigkeitvgl. Wedekind an Maximilian Harden, 12.3.1906.; und
verwünsche mein Mißgeschick. Seit Wochen trachte ich, von den russischen
Spielerndie Schauspieler und Schauspielerinnen des Moskauer Künstlertheaters, das unter der Leitung von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski und Wladimir Iwanowitsch Nemirowitsch-Dantschenko ein vom Berliner Publikum und von der Kritik begeistert aufgenommenes Gastspiel am Berliner Theater hatte; es wurde am 23.2.1906 mit Alexei Tolstois Tragödie „Zar Fedor Iwanowitsch“ eröffnet, dem zweiten Teil der Trilogie über den russischen Großfürsten Boris Godunow zur Zeit des Zaren Fjodor I, und dauerte bis zum 24.3.1906., wie die Pflicht gebietet, das Zarendrama zu sehen. Immer trafs meine
Arbeitstage. Nun habe ich endlich für Sonnabend vorgemerktfür den 17.3.1906 (Samstag), an dem die Vorstellung des Moskauer Künstlertheaters (siehe oben), die Maximilian Harden besuchte und in der „Zukunft“ besprach, um 19.30 Uhr begann: „Gastspiel des Moskauer Künstlerischen Theaters [...] Zar Feodor Joannowitsch“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 139, 17.3.1906, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)]. Maximilian Harden schrieb am 15.3.1906 an Walther Rathenau über den kommenden Samstag: „Zu Wedekind werde ich nicht kommen. Wenn ich wohl genug bin, werde ich an diesem Abend endlich das Zarenstück bei den Russen sehen.“ [Hellige 1983, S. 466]. Jammervoll. Wenn
ich in meinem morschen Leib noch ein Bischen Kraft behalte, komme ich nachher
noch auf ein Stündchen (Essen bekommt mir ohnehin so schlecht); es wäre mir
wirklich eine Freude, Sie endlich ohne Schwarmnicht in größerer Runde. wiederzusehen. Und gehts diesmal
nicht, so müssen Sie mir in der nächsten Woche, mittags, nachmittags, abends,
eine Stunde schenken.
Herzlich grüßt
Ihr
Harden