Paris
20.8.94.
45 rue Monsieur le Prince
Liebe Mama,
ich danke dir aufs herzlichste für das GeschenkOb es sich dabei um das zuletzt von Frank Wedekind erbetene Geld handelt, ist unklar. aber noch
viel mehr für den lieben freundlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 18.8.1894.. Er war mir eine wahre Stärkung.
Das wirkt nachhaltiger als irgend eine Ermahnung deren ich übrigens auch nicht
bedarf, indem ich in jeder Beziehung nur mein bestes thue. Was nun Mietze
betrifft, so scheint mir die Sache nicht so verzweifelt. Daß die Affaire W. OschwaldDie Beziehung zwischen Wedekinds ehemaligem Mitschüler Walther Oschwald und seiner Schwester Erika war nur vorübergehend unterbrochen, sie heirateten am 15.10.1898 in Baden (Kanton Aargau). zum Abschluß
gekommen, freut mich in jeder Beziehung. | Ich werde ihr in den nächsten Tagen
einen Brief schreibenKorrespondenz mit Erika Wedekind aus dieser Zeit ist nicht überliefert., ohne die Geschichte mit einem Wort zu berühren, und um
sie zu ermuthigen. Ich glaube, daß/s/ ist auch das einzige was du thun
kannst. Ich würde es mir auch noch überlegen an deiner Stelle, ob es nicht doch
für dich wie für sie und vor allem auch für Mati besser ist, wenn du den Winter
nach Dresdenum Erika Wedekind zu besuchen, die dort seit Frühjahr 1894 an der Hofoper als Sängerin engagiert war. gehst. Jedenfalls mußt du dich jetzt vor Einsamkeit und vor Mangel
an Bewegung sehr in Acht nehmen. In Dresden bist du allerhand Erkältungen
ausgesetzt aber das gesteigerte Lebensinteresse wird einen Rückfall nicht
aufkommen lassen. Du wirst gut essen und trinken und dir viel Bewegung machen,
ohne es selber zu merken. | Ich glaube auch daß an deiner Erkrankung vor allem
der Luftwechsel schuld war, der plötzliche ÜbergangNach dem Verkauf von Schloss Lenzburg im März 1893 war Emilie Wedekind in das Haus Steinbrüchli am Fuße des Schlossbergs gezogen. nach ununterbrochenem
zwanzigjährigen Aufenthalt in/au/f dem Schloß in die dumpfe Athmosphäre
des Steinbrüchli. Nimm dich deshalb vor dem Steinbrüchli in Acht. Je mehr du
gegenwärtig deinen Aufenthalt wechselst, um so weniger wird der Wechsel in die
WagschaleSchreibversehen, statt: Waagschale. fallen.
Wenn Miezte über dem Bruch mit W. Oschwald leidet so ist das
eine gewisse Garantie dagegen, daß sie sich morgen oder übermorgen wieder in
irgend einer unsinnigen Weise verlobt. Vielleicht lernt sie dabei auch, ihre
Kunst um ihrer selbst willen und nicht um W. O’s willen lieben. Wenn es mir irgendwie
möglich wird, so werde ich sie besuchen. | Ich glaube, daß ich eventuell
ermutigend und beruhigend auf sie wirken kann und ihr ein wenig Fassung geben.
Dazu muß ich aber natürlich selber die Ellbogen frei haben. Ich erwarte hier in
den nächsten Tagen meinen VerlegerBereits seit Januar stand Wedekind in Paris in Kontakt mit Albert Langen wegen einer Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ ins Französische, zu der es allerdings nicht kam: „Stehe sehr spät auf und fahre, ohne dejeunirt zu haben zum Buchhändler Langen, 112 Boulevard Malsherbes. Ich gebe ihm mein Buch.“ [Tb 18.1.1894]. Daneben beabsichtigte er „Die Büchse der Pandora“ bei Langen erscheinen zu lassen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.4.1894], die er in London fertiggestellt hatte. Die Verhandlungen mit Langen führten zu einer Umarbeitung der Monstretragödie zu dem vieraktigen Stück „Der Erdgeist“ (die beiden letzten Akte wurden zum zweiten Teil der Doppeltragödie, dem dreiaktigen Stück „Die Büchse der Pandora“) [vgl. KSA 3/II, S. 833f.]., dann wird sich das weitere zeigen.
Und nun leb wol liebe Mama. Nochmals besten Dank und die
herzlichsten Wünsche für dein Wohlergehen. Grüße Mati aufs beste wenn sie
zurück kommt. Meiner neuen NichteAm 4.8.1894 war Charlotte Luise Wedekind als viertes Kind von Armin und Emma Wedekind geboren. wünsche ich alles Gute fürs Leben. Vielleicht
erfahre ich auch noch gelegentlich wie sie heißt.
Mit herzlichem Gruß dein treuer Sohn
Frank.
[Kuvert:]
Suisse
Madame Emilie Wedekind
Lenzburg
(Aargau)