München
13.9.91.
Liebe Mama,
ich werde Mittwoch den 16. in Zürich eintreffen, werde aber nothgedrungen zwei
Tage dort bleiben müssen in Folge eines Auftrages, den ich nun einmal
übernommen und dessen ich mich nicht gut mehr entledigen kann. Es handelt sich
um eine junge Amerikanerin, Miss
Edla Isabel KoerneEdla Isabel Coeurn (auch: Corn, Corne, Coerne) – 25 Jahre, ledig, geboren in New York, gemeldet in Cambridge bei Boston (Massachusetts), aus wohlhabendem Haus – dürfte ihren jüngeren Bruder Louis Adolf Coerne, der im Sommer 1890 ein dreijähriges Studium an der Königlichen Musikschule München aufnahm, begleitet haben – einen Reisepass beantragte sie Ende Mai [vgl. Passport Applications, 1795-1905, 1890-1892, Roll 351 - 24 May 1890-31 May 1890, Nr. 16.369]. – Ihren Namen adaptiert Wedekind in mehreren seiner Werke, so in der Erzählung „Jetzt ist es aber die höchste Zeit“ (1896) als Mrs. Edla Isabel Cœrne [vgl. KSA 5/I, S. 355], in Entwürfen zur Zirkuspantomime „Bethel“ als Agniella Coeürne [KSA3/II, S. 814, 817], im Einakter „Der Kammersänger“ (1899) als Miss Coeurne [KSA 4, S. 351]. aus Boston | die mit einer mir befreundeten Familiedas Ehepaar Wilhelm Carl und Therese Becker sowie deren erwachsene Kinder Edwarda und William John; wie Wedekind aß die Familie Becker mittags in der Pension Sußner: „Herr Becker mit Frau und Tochter, Pension Sussner, aus Milwaukee / Willy Becker, Polytechniker. [aus Milwaukee] Pens. Sußner“ [Tb nach dem 7.2.1890] und am Ende des Tagebuchs „1890 [...] Becker. Melchers.“ [Tb S. 115]). Willy Becker, der – wie Melchers – am Polytechnikum in München immatrikuliert war und in der Schnorrstraße 9 (2. Stock) wohnte, beendete im Sommer 1891 nach 6 Semestern sein Studium [vgl. Personalstand der Königlich Bayerischen Technischen Hochschule zu München im Winter-Semester 1888/89. München 1888, S. 16; zuletzt ebd. Sommer-Semester 1891, S. 15]. namens Becker aus Milwaukee
nach Amerika zurückkehren will. Beckers halten sich gegenwärtig in Montreux auf und werden am 18. circa Zürich passiren. Miss Koerne hat nachdem ich Ihr versprochen,
ihr die zwei Tage in Zürich Gesellschaft zu leisten, eine Reise nach Wiesbaden aufgegeben und
so kann ich jetzt mit dem besten Willen nicht mehr zurücktreten. Sobald ich
mich meines Auftrages entledigt stehe ich vollkommen zu deiner Verfügung. Ich
bitte dich mir diesen Einwand nicht übel nehmen zu wollen und bitte dich meines letzten Briefesvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.8.1891. wegen
um Verzeihung. | Doda
hatte mir geschriebenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.8.1891.,
daß er nichts zu essen habe.
Mit den besten Grüßen an dich und Mati in der frohen Erwartung eines baldigen Wiedersehends
Dein treuer Sohn
Franklin.