[1. Typoskript:]
Sehr geehrte RedaktionChefredakteur des „Neuen Wiener Journal“ (begründet und herausgegeben von Jakob Lippowitz) war seinerzeit Willibald Riedl (so auf der Titelseite angegeben)..
Gestatten Sie mir
Ihnen mitzuteilen, daß ich das Problem weiblichen Uebermenschentumszeitgenössisch populäres Schlagwort nach Friedrich Nietzsches „Übermensch“-Begriff., das ich in
meinem Drama „Erdgeist“ in Angriff genommen, mit
teilweiser Benutzung dieses Stückes in einem fünfaktigen DramaDas der Neuen Wiener Bühne am 2.3.1910 von Wedekind persönlich eingereichte Typoskript „Lulu. Tragödie in fünf Aufzügen von Frank Wedekind“ ist erhalten und hat der Wiener Zensurbehörde vorgelegen, wie das Umschlagblatt dokumentiert [vgl. KSA 3/II, S. 866]. „Lulu“ zum Abschluss geführt und psychologisch zu vertiefen
gesucht habe. Die „Neue Wiener Bühne“, der ich diese Arbeit bei meinem
gegenwärtigen Aufenthalt in WienWedekind hielt sich vom 27.2.1910 bis 3.3.1910 im Zuge einer Vortragsreise in Wien auf [vgl. Tb]. einreichte, hat sie zur AufführungDie Wiener Zensurbehörde verbot am 13.7.1910 [vgl. KSA 3/II, S. 866] eine Aufführung von „Lulu“ [vgl. KSA 3/II, S. 1278f.] – das „Neue Wiener Journal“ nahm dazu Stellung: „Die Wiener Theaterzensur chikaniert seit einiger Zeit die Autoren und Direktoren mit auffallendem Eifer. Es sich eine Neigung zur Silbenstecherei, die schon nachgerade lächerlich wirkt. Der sogenannte Zensurbeirat, auf den man eine Zeit lang Hoffnungen setzte, scheint überhaupt nur noch die Aufgabe zu haben, zu den Verfügungen der Beamtenschaft Ja und Amen zu sagen. Soeben ist ein literarisches Werk: Wedekinds ‚Lulu‘, aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit der Direktion der Neuen Wiener Bühne zur Aufführung verboten worden. ‚Lulu‘ stellt sich als eine Zusammenziehung zweier älterer Stücke Wedekinds dar, des ‚Erdgeist‘ und der ‚Büchse der Pandora‘. Bekanntlich ist der ‚Erdgeist‘ bereits vor Jahren in Wien öffentlich aufgeführt worden, und es scheint, daß sich die sittliche Entrüstung der Zensoren gegen die Akte wendet, die der ‚Büchse der Pandora‘ entnommen sind. Das künstlerische Moment fällt offenbar bei der Zensurbehörde nicht in die Wagschale, denn das endgültige Verbot ist von dem sogenannten literarischen Zensurbeirat ausgegangen.“ [Wieder ein Zensurverbot. Wedekinds „Lulu“. (Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.) In: Neues Wiener Journal, Jg. 18, Nr. 6114, 30.10.1910, S. 15]. für die
kommende Spielzeit angenommen
in vorzüglicher Hochachtung
Frank Wedekind.
Wien, am 2. März 1910Wedekind notierte am 2.3.1910 in Wien: „Besuch in der Neuen W. Bühne.“ [Tb] Die Neue Wiener Bühne unter der künstlerischen Leitung von Adolf Steinert und Gustav Charlé [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 672] hat das „Lulu“-Typoskript bei diesem Besuch entgegengenommen..
[2. Druck:]
Sehr geehrte
Redaktion! Gestatten Sie mir Ihnen mitzuteilen, daß ich das Problem weiblichen Uebermenschentums, das ich in meinem Drama „Erdgeist“ in Angriff genommen, mit
teilweiser Benutzung dieses Stückes in einem fünfaktigen Drama „Lulu“ zum Abschluß geführt und psychologisch zu vertiefen
gesucht habe. Die Neue Wiener Bühne, der ich diese Arbeit bei meinem
gegenwärtigen Aufenthalt in Wien einreichte, hat sie zur Aufführung für die
kommende Spielzeit angenommen. In vorzüglicher Hochachtung Frank Wedekind.