| selber umgehend ein Exemplar zu schicken und hätte mich
bei Ihnen nur noch der langen Verzögerung wegen zu entschuldigen.
Mit der herzlichen Bitte, mir diese Zeilen, im Fall sie sich
als nicht angebracht erweisen, nicht übel nehmen zu wollen, und mit der
Versicherung meiner vorzüglichsten Hochschätzung
Ihr ergebenster
Fr. Wedekind.
4. rue
Crébillon 4.
Paris.
[Hinweis, Zitat und
Referat in Bassenge: Auktion 61 (1993), Nr. 3073:]
Wedekind, Frank [...]. Paris 16.VI.1892. [...]
(An Dr. Walter Paetow, Schriftleiter der Vossischen Zeitung
in Berlin).„Vor etwa 3 Monaten schrieb mir Herr Dr. WidmannHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Joseph Victor Widmann an Wedekind, 16.3.1892. – Joseph Victor Widmann, Feuilletonredakteur der Berner Tageszeitung „Der Bund“, der dort am 22.11.1891 „Frühlings Erwachen“ rezensiert hatte [vgl. KSA 2, S. 861f.], war mit Dr. phil. Walter Paetow bekannt, der nach seinem Studium in Berlin in der Schweiz an der Universität Bern promoviert hatte [seine Dissertation ist 1892 erschienen] und „mehrere Jahre Redakteur am ‚Bund‘ in Bern“ [Das literarische Echo, Jg. 16, Heft 13, 1.4.1914, Sp. 944] war., daß mein Frühlings Erwachen das Glück gehabt, Ihr
Interesse für sich zu gewinnen. Da ich nun leider nicht in der Lage bin, mich
auf meinen VerlegerJean Groß in Zürich (Stadelhoferstraße 3) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1892, Teil I, S. 124], der dort gut 5 Jahre zuvor einen Verlag gegründet hatte, wie er am 1.11.1887 aus Zürich publik machte: „Hiermit beehre ich mich Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß ich am hiesigen Platze unter der Firma Jean Groß eine Kolportage- u. Reisebuchhandlung eröffnet habe. Meine Kommission hatte die Güte Herr Otto Klemm in Leipzig zu übernehmen. Hochachtungsvoll Jean Groß.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 255, 4.11.1887, S. 5576]. Bei „Jean Groß in Zürich“ ist im Herbst 1891 die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 271, 23.11.1891, S. 7009] erschienen [vgl. KSA 2, S. 771f.], die Wedekind zufolge „schon im Oktober 1891 gedruckt vorlag“ [KSA 2, S. 769], wobei er selbst „die gesamten Herstellungskosten“ [KSA 2, S. 764] übernommen hatte. In den Verlag von Jean Groß trat am 16.5.1892 „Alphons Wacker als Theilhaber ein“ [Gesammt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels und des mit ihm im direkten Verkehr stehenden Auslandes. Bd. 16. Ergänzungsband. Leipzig (1894), Sp. 4015f.], was neue Verhältnisse ergab, die möglicherweise mit dazu geführt haben, dass Wedekind wenig Vertrauen in seinen Verleger hatte und er schließlich für die Zweitausgabe des Stücks 1894 zu dem ebenfalls in Zürich ansässigen Verlag Caesar Schmidt wechselte. in Zürich unbedingt verlassen zu können, beauftragte ich
einen hiesigen kleinen Buchhändlernicht ermittelt., bei dem ich einige Exemplare stehen hatte,
Ihnen das Buch zu übermitteln ...“ Da er aber seitdem nichts mehr in der Sache
gehört habe, vermute er, daß das Exemplar nicht angekommen sei. „... Es wäre
mir, wie Sie mir nicht verdenken werden, höchst schmerzlich, wenn ich Ihrer
hochgeschätzten BeurtheilungWalter Paetow rezensierte die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (die Besprechung erschien in der „Vossischen Zeitung“ unter der Rubrik „Bücherschau“) und schrieb unter anderem über Wedekinds Stück: „Wie sich im Frühling schüchtern neues Leben regt, so sprießen zu der Zeit, da das Kind reift, verstohlenen Blüthen gleich, Gedanken und Wünsche, verlangende Sehnsucht und heimliches Begehren auf, durch die das Mädchen zur Jungfrau und der Knabe zum Jüngling wird. [...] Die ersten großen Kämpfe ficht das junge Menschenkind aus; es quillt und stürmt in seiner Brust, wie draußen in der Natur zur Frühlingszeit, und es spielen sich im Kreise der Jugend Dramen ab, die des bunten Wechselspiels alles Lebens: Sollen und Wollen, nur zu viel enthalten. Eine Reihe von Szenen aus diesen Dramen hat Wedekind in seinem ‚Frühlings Erwachen‘ uns geboten, nicht etwa eine fest geschlossene Tragödie, wie man vielleicht aus dem Titelzusatz schließen möchte; er giebt lauter einzelne Stimmungsbilder, die nur durch die gemeinsame Grundidee zusammengehalten werden [...]. Von der Treue und Feinheit, mit der Wedekind die Gedanken der reifenden jungen Menschenkinder wiedergespiegelt hat, von der zarten Poesie, die er aus dem Kindesleben geschöpft und über das Leben seiner Kindertragödiengestalten verbreitet hat, kann man sich nur durch das sorgsamste Lesen dieses Buches selbst ein Bild machen. Verschiedene Reden werden freilich in ihrer Ungeschminktheit manchen nicht ganz recht sein, einzelne sehr ernst gemeinte, aber kraß wirkende Abschnitte werden der Mehrzahl der Leser ‚bedenklich‘ erscheinen [...], aber wer das in vielen Szenen von unmittelbarster, gleichsam traumhafter Poesie durchzogene Büchlein nachfühlend sich zu eigen macht, wird doch die Kunst des Verfassers immer wieder bewundern müssen und die Unerschrockenheit anerkennen, mit der hier einschneidende Fragen des Kinderlebens behandelt sind.“ [W.P.: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. Von Frank Wedekind. Zürich, Jean Groß. In: Vossische Zeitung, Nr. 341, 24.7.1892, Morgen-Ausgabe, Sonntagsbeilage Nr. 30, S. (4)] durch eine nebensächliche Vernachlässigung
verlustig gehen müßte ...“.