Sehr geehrte gnädige FrauErnestine Münchheim in Dresden (George Bähr-Straße 8) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1910, Teil I, S. 627] war Schauspielerin am Dresdner Residenztheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 393] und eine profilierte Rezitatorin (siehe unten).!
Leider erhalte ich heute erst Ihren Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Ernestine Münchheim an Wedekind, 17.2.1910. – Der Brief dürfte Wedekind dazu eingeladen haben, an einer für den 10.3.1910 in Dresden, dem letzten Wohnort des verstorbenen Schriftstellers Otto Julius Bierbaum, geplanten Gedächtnisfeier teilzunehmen. der mir nach
DüsseldorfWedekind war am 6.2.1910 zu einem Gastspiel nach Düsseldorf abgereist und fuhr von dort am 18.2.1910 abends zurück nach München: „Abendessen auf dem Bahnhof. Fahrt in der Dämmerung nach Köln und von dort per Schlafwagen nach München.“ [Tb] nachgeschickt worden war und nun von dort wieder zurückkommt. Zu
meinem Bedauern muß ich Ihnen mittheilen, daß ich am 10 MärzWedekind reiste am 10.3.1910 von Dresden, wo er am Vorabend eine Lesung gehalten hatte, zurück „nach München“ [Tb]; der im vorliegenden Brief genannte Vortrag in Hannover war nicht zustande gekommen. in Hannover einen
Vortrag zu halten habe. Ich halte auch die Zeit für eine GedächtnisfeierDie von Ernestine Münchheim für den 10.3.1910 geplante Gedächtnisfeier für Otto Julius Bierbaum fand erst Wochen später statt, ein von ihr durchgeführter Rezitationsabend, wie die Presse notierte: „Eine Bierbaum-Gedächtnisfeier hat Fräulein Ernestine Münchheim – Dresden in Plauen veranstaltet. [...] Mit gespannter Aufmerksamkeit und sichtlicher Ergriffenheit lauschten die zahlreich erschienenen Hörer der beliebten Vortragsmeisterin, die mit gleich großer Virtuosität den heiteren und ernsten Ton traf. Ihren Vorträgen schickte Frl. Münchheim eine kurze treffende Charakteristik des so früh dahingeschiedenen Poeten voraus. Vortrag und Rezitation wurden mit reichem Beifall bedacht.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 54, Nr. 136, 19.5.1910, S. (4)] für
Bierbaum noch für viel zu frühOtto Julius Bierbaum war erst am 1.2.1910 verstorben, wie Wedekind nachträglich notierte und am 2.2.1902 festhielt: „Lese die Nachricht von Bierbaums Tod, telegraphiere an Gemma.“ [Tb]. Dagegeg/n/ habe ich hier zu meiner
großen Freude gehört, daß die Aktion | für Frau B.Wedekind dürfte an Otto Julius Bierbaums Witwe Gemma Bierbaum (geb. Pruneti-Lotti) gedacht haben; bei der drei Monate später in der Presse publik gemachten Aktion wurde aber gleichermaßen die Mutter des verstorbenen Schriftstellers bedacht, Auguste Henriette Bierbaum (geb. Siegert). Die Münchner Presse berichtete darüber: „Eine Spende für Otto Julius Bierbaums Hinterbliebene soll gesammelt werden. In einem Aufruf, der von einer großen Reihe der besten Namen des künstlerischen und literarischen Deutschlands unterzeichnet ist, heißt es: ‚... Der Dichtet hat es bei all seinem Fleiße nicht vermocht die Zukunft dieser beiden nächsten Hinterbliebenen irgendwie zu sichern. In seinen letzten Tagen hat die Sorge um Frau und Mutter schwerer auf ihm gelastet, als Krankheit und der Gedanke an nahende Auflösung. Die Hoffnung, daß seine Freunde dort helfen würden, wo er es nicht mehr vermochte, soll, so hoffen wir, nicht trügerisch gewesen sein. Die Hunderte, die Otto Julius Bierbaum, den Dichter und den Menschen, näher kannten, die ungezählten Tausende die sich an seinem Werk erfreuten und noch freuen, bitten wir, nach Kräften beizusteuern zu der Sammlung, deren Ertrag für die Witwe und die Mutter Bierbaums sichergestellt werden soll. – Zur Annahme von Geldbeträgen hat sich die Deutsche Bank in Berlin mit ihren sämtlichen Filialen in Deutschland gütigst bereit erklärt. Mögen die Spenden reichlich fließen und schnell, damit es uns gelingt, das Gespenst der Sorge zu verscheuchen aus dem Hause, in dem tiefgebeugte Frauen den Verlust des Gatten und des Sohnes betrauern.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 239, 25.5.1910, Vorabendblatt, S. 2] Das war ein Auszug aus einem größeren Aufruf, der vollständig in der Dresdner Presse erschien, unter den 40 Unterzeichnern genannt: „Frank Wedekind, München.“ [Aufruf! In: Dresdner Neueste Nachrichten, Jg. 18, Nr. 140, 27.5.1910, S. 15] schon in großem Maßstab betrieben wird. Ich
habe auch in BerlinWedekind war vom 1. bis 6.2.1910 in Berlin, hat dort am 2.2.1910 vom Tod seines alten Freundes und Kollegen Otto Julius Bierbaum erfahren (siehe oben), nahm Termine bei zwei Zeitungsredaktionen wahr – am 3.2.1910 „Besuch auf Lokalanzeiger“ [Tb], am 5.2.1910 beim „Berliner Tageblatt. Theodor Wolff empfängt mich sehr liebenswürdig. Unterredung mit Fritz Engel“ [Tb] – und es dürfte kein Zufall sein, dass Hugo von Kupffer, Chefredakteur des „Berliner Lokal-Anzeiger“, und Fritz Engel, Feuilletonredakteur des „Berliner Tageblatt“, wie Wedekind selbst zu den Unterzeichnern der Aktion für die Hinterbliebenen Bierbaums (siehe oben) zählten. Anregung dazu gegeben und werde mein möglichstes thun um
diese Sache zu fördern.
Hochachtungsvoll ergebenst
Frank Wedekind.
München 22.2.10.