An die RedaktionChefredakteur des „Berliner Tageblatt“ war Theodor Wolff, verantwortlicher Redakteur für das Feuilleton war Hans Fischer (Kurt Aram). Wedekind notierte am 14.1.1910: „Ich konzipiere einen Brief an das BT Umfrage betreffend.“ [Tb] Der am 16.1.1910 abgesandte Brief (ihm liegt ein anderer Entwurf zugrunde) hat einen von diesem Konzept deutlich abweichenden Wortlaut [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 16.1.1910]. des Berliner Tageblattes
Berlin
Sehr geehrter Herr
Wollen Sie mir freundlichst gestatten, Ihnen eine Bitte
vorzutragen:
Seit Jahren bemühe ich mich, diejenigen meiner
dramatischen Arbeiten, die von Seiten der Schauspieler gar keine oder nur die allergeringsteoberflächlichste Beachtung finden
Seit dem Jahre 1898seit der Uraufführung des „Erdgeist“ durch Carl Heines Ibsen-Theater am 25.2.1898 im Kristallpalast in Leipzig, in der Wedekind die Rolle des Dr. Schön spielte [vgl. KSA 3/II, S. 1215-1218]. trete ich in denjenigen meiner
dramatischen Arbeiten, die von Seiten der Schauspieler gar keine oder nur die
alleroberflächlichste Beachtung fanden, als Darsteller auf, um dadurch das Publikum von der/ie/
Darstellungsmöglichkeit und Bühnenwirksamkeit dieser Arbeiten zu überzeugen
zu beerweisen und den Vorwurf der
Unbeholfenheit und Geschmacklosigkeit zu entkräften, der immer | und immer wieder gegen
meine schriftstellerische Produktion erhoben wird. Obschon ich mich hierbei nun
in einer augenfälligen Zwangslage befinde und einzig und allein unter dem
Antrieb meiner literarischen Bestrebungen Ziele handle muß ich mir seit Jahren bei jedem auch dem erfolgreichsten öffentlichen Auftreten und regelmäßig immer wieder den Vorwurf des eitler selbstgefälliger Aufdringlichkeit und des blutigsten unmöglichsten Dilettantismus machen
lassen. Ich sage mir nun daß der einzige der über diese Fragen ein richtig
begründetes Urtheil hat wol der Schauspieler selbst ist./,/ da er allein außer der
Qualität des Gebotenen auch die Schwierigkeit der Aufgabe kennt. Aus diesem Grunde wäre ich
Ihnen zu großem und aufrichtigem Dank verpflichtet, wenn Sie an diejenigen deutschen
Schauspieler, die Ihrem/r/ geschätzten Urtheil Ansicht nach am höchsten in ihrem
Beruf stehen, die FrageDie dann folgende Frage „Wie denken Sie über Frank Wedekind als Schauspieler?“ hat Wedekind so formuliert in den abgesandten Brief aufgenommen [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 16.1.1910] und in dieser Formulierung als Vorschlag für eine Umfrage unter Schauspielern dann auch dem „Berliner Lokal-Anzeiger“ unterbreitet [vgl. Wedekind an Alfred Holzbock, 21.1.1910]. Weder im „Berliner Tageblatt“ noch im „Berliner Lokal-Anzeiger“ ist eine solche Umfrage „Wie denken Sie über Frank Wedekind als Schauspieler?“ bisher nachgewiesen. richten wollten: |
Was halten Sie von
Wie denken Sie über Frank Wedekind als Schauspieler?
Wenn Sie meinem künstlerischen, in erster Linie letzten Grunde durchaus stets nur literarischen schriftstellerischen Bestrebungen diese wie
ich mir wohl bewußt bin außerordentliche Förderung zutheil werden lassen
wollten, dann würde möchte ich es durchauszuerst gestrichen, durch Unterpunktung wiederhergestellt. aus
in Ihrem Gutdünken Fürgutfinden
anheimstellen, ob Sie das aus die Stellung der Frage eventuel
durch Mittheilung dieser (an Sie gerichteten) Zeilen zu motivieren. Aus der unzähligen Menge
von Beweisen für das oben Gesagte lege ich hier nur ein einziges durchaus
charakteristisches BeispielWedekind legte dem dann abgesandten Brief einen nicht ermittelten Zeitungsausschnitt bei, eine ihn als Schauspieler beurteilende „Besprechung“ oder „Notiz“ [Wedekind an Berliner Tageblatt, 16.1.1910]. Da Wedekind in seinen Stücken als Schauspieler agierte, hat die Theaterkritik das entsprechend thematisiert und oft bekrittelt, was wiederum Wedekind dazu veranlasste, die Umfrage „Wie denken Sie über Frank Wedekind als Schauspieler?“ vorzuschlagen und damit publizistisch auf die Urteile der Theaterkritik zu reagieren. Im „Berliner Tageblatt“ hatte zuletzt dessen Wiener Korrespondent Stefan Großmann in einer Besprechung von Wedekinds Gastspiel am Lustspieltheater in Wien (15. bis 19.12.1909) Wedekind als Schauspieler kommentiert: „Wedekind interessierte in Wien, weil er auch Schauspieler ist. Eine Stadt, in der sich die künstlerischen Interessen nie um ein Werk, stets nur um einen Darsteller drehen, ist der richtige Boden für einen Dichter, der auch als Schriftsteller stets ein vermummter Herr ist. Um hier populär zu werden, müßte Wedekind freilich unabhängiger von seinem Text, ein bißchen mehr Stegreifdichter werden.“ [St. Gr.: Wiener Theater. (Von unserem Korrespondenten.) In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 657, 28.12.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2)] bei.
Indem ich Sie bitte ersuche den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochschätzung entgegenzunehmen
ergebenst
FrW.