Lenzburg 7. Sept. 95.
Lieber Herr EisenschitzDer Name ist an dieser Stelle weggekratzt (siehe den Hinweis zur Materialität), aber noch lesbar. Otto Eisenschitz lebte als Publizist, Schriftsteller und Übersetzer von Schauspielen aus dem Italienischen in Wien [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1896, Teil II, Sp. 276].
mein BruderDonald Wedekind, über den Otto Eisenschitz mitgeteilt hat: „Frank Wedekind [...] hatte ich durch seinen mir befreundeten Bruder Donald [...] kennengelernt.“ [Otto Eisenschitz: Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen. In: Neues Wiener Journal, Jg. 26, Nr. 8749, 12.3.1918, S. 3] ist noch nicht angekommen. Er muß
noch in BerlinWedekind hatte Wochen zuvor auch Franz Blei mitgeteilt, dass sein „Bruder Donald [...] noch in Berlin ist“ [Wedekind an Franz Blei, 16.7.1895]. sein. Seit mehreren Wochen habe ich keine NachrichtHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1895. mehr von
ihm. Ihre AdresseOtto Eisenschitz, der in Wien IX (Liechtensteinstraße 17) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Teil II, Sp. 273] gewohnt hatte, wohnte ab dem Spätsommer 1895 nach einem Sommeraufenthalt in Luzern in Wien I (Opernring 13): „Sept. b. April Wien I, Opernring 13; Mai b. Aug. Luzern, Villa Bienz.“ [Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1896, Teil II, Sp. 276] die Sie so freundlich waren herzuschickenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Otto Eisenschitz an Wedekind, 1.9.1895. Otto Eisenschitz hat nach Lenzburg adressiert wohl seine aktuelle Adresse (Wien I, Opernring 13) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Teil II, Sp. 276] ab dem 1.9.1895 mitgeteilt (siehe oben). habe ich nach
Berlin gesandtHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.9.1895. Frank Wedekind hat seinem Bruder in Berlin die aktuelle Adresse von Otto Eisenschitz mitgeteilt (siehe oben).. Erlauben Sie mir jetzt vielleicht, Sie um einige Auskunft und
um zwei Adressen zu bitten. Sie können es mir sehr wol auf einer Carte
mittheilen. Ich habe ein Stück liegen | ‒ um es kurz zu
charakterisieren ‒ in der Art von
Kean von Dumasdas Lustspiel „Kean, oder Genie und Leidenschaft“ („Kean, ou Désordre et Génie“, 1836) von Alexandre Dumas (dem Älteren), dessen Titelfigur Edmund Kean, berühmter englischer Hamlet-Darsteller mit abenteuerlichem Werdegang, als Vorbild hatte. Wedekinds noch ungedruckter Schwank „Der Liebestrank“ (1899) mit dem Arbeitstitel „Fritz Schwigerling“ hatte mehrere Quellen; seine „nachträgliche Behauptung, er habe das Stück in der Art von Alexandre Dumas’ ‚Kean, oder Genie und Leidenschaft‘ (1836) geschrieben“, ist mehr als nur ein „Hinweis auf eine Motivparallele [...]. Dumas nahm das Leben von Edmund Kean (1811-1868), Schauspieler und Lebemann in London, zur Vorlage für sein Stück. Dessen Held geht ebenfalls wie Fritz Schwigerling aus einer Seiltänzergruppe hervor und flieht zum Schluß mit einer jungen Dame, die Schauspielerin werden will, nach New York.“ [KSA 2, S. 1017], die Abentheuer eines
Kunstreiters in Rußland. Ich hatte gedacht es entweder dem Raimundtheaterdas Raimund-Theater (Direktion: Adam Müller-Guttenbrunn) in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1896, S. 533]. oder dem Volkstheaterdas Deutsche Volkstheater (Direktion: Emmerich Bukovics) in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1896, S. 532]. in Wien einzureichen, weiß
aber von beiden nicht ob sie noch existirenBeide Wiener Bühnen, das 1893 eröffnete Raimund-Theater und das 1889 eröffnete Deutsche Volkstheater, existierten noch viele Jahre., und wie und was sie
spielenAuf beiden Bühnen mit ihrem oft wechselnden Programm wurden überwiegend Schwänke und Possen mit Gesang gespielt, etwa den 7.9.1895 als Stichtag genommen war im Raimund-Theater „Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Romantisch-komisches Märchen“ von Ferdinand Raimund (Musik von Wenzel Müller) und im Deutschen Volkstheater die Premiere „Alte Wiener. Volksstück mit Gesang“ von Ludwig Anzengruber (Musik von Franz Roth) zu sehen., wer maßgebende Persönlichkeitdie Direktoren der genannten Wiener Theater (siehe oben), dabei wohl insbesondere Emmerich von Bukovics, an den Otto Eisenschitz sich im Zusammenhang mit dem noch nicht aufgeführten „Erdgeist“ erinnerte: „Erst später übergab ich sein [...] Werk ‚Der Erdgeist‘, das mir Wedekind anvertraut hatte, der Direktion des Deutschen Volkstheaters (Direktor Emmerich v. Bukovics). Aber mein Versuch mißglückte gründlich. Als ich mir Bescheid holen kam, ob die Annahme erfolgen würde, sah mich der Direktor so eigentümlich an, wie wenn er erforschen wollte, ob ich mir mit ihm etwa einen schlechten Scherz hätte erlauben wollen. Dann sagte er – ich erinnere mich noch ganz genau seiner Worte: ‚Ja, haben Sie denn im Ernst gemeint, daß man so etwas aufführen könne?!‘ – ‚Gewiß,‘ war meine entschiedene Antwort. – ‚Dann weiß ich nicht, haben Sie uns für verrückt gehalten oder sollen wir Sie für verrückt halten!‘ – Ich aber lächelte bloß und meinte, der Name Wedekind werde den Herren wohl noch sehr geläufig werden...“ [Otto Eisenschitz: Briefe von Frank Wedekind. Aus seinen Anfängen. In: Neues Wiener Journal, Jg. 26, Nr. 8749, 12.3.1918, S. 3] ist e.ct.
Würden Sie, Herr Eisenschitz, vielleicht die Liebenswürdigkeit haben mich
darüber zu unterrichten, nur einige kurze Angaben, damit ich das Manuscript
nicht ins Blaue hinausschicke.
Sollte ich mit dem Stück Glück haben, so
sollte es mir eine Ehre und ein Vergnügen sein, | eventuell von Ihnen übersetzt zu werden. Aber nur dann. Das
Risico bleibt auch im besten Fall immer noch groß genug für Sie. Das Stück ist
nicht für Berliner Verhältnisse geschrieben. Dagegen meint auch mein Bruder daß
es in Italien eventuell Glück haben könnte. Ich selber habe von vornherein an Wien
gedacht und es daraufhin gearbeitet. Ich werde es übrigens auch am
Gärtnertheaterdas Theater am Gärtnerplatz (Direktion: Georg Lang) in München [vgl. Neuer Theater-Almanach 1896, S. 438]. Wedekind hatte dem Theater am Gärtnerplatz vor Jahren bereits seine Posse „Der Schnellmaler“ angeboten [vgl. Georg Lang an Wedekind, 28.5.1886] – ohne Erfolg [vgl. KSA 2, S. 618-620]. in München einreichenWedekind bot seinen Schwank „Fritz Schwigerling“ (siehe oben) erst drei Jahre später dem Theater am Gärtnerplatz an [vgl. Wedekind an Beate Heine, 14.8.1898]..
Und nun leben Sie wohl, Herr Eisenschitz.Der Name mit dem Punkt danach ist an dieser Stelle weggekratzt (siehe den Hinweis zur Materialität), aber noch lesbar. Auf
baldiges Wiedersehen. Mit bestem Dank im Voraus und ergebenstem Gruß Ihr
Frank Wedekind.
[Druck:]
Lenzburg, 7. Sept. 95.
Lieber Herr Eisenschitz,
ich habe ein Stück liegen ‒ um es kurz zu charakterisieren ‒ in der Art des Kean von Dumas, die Abenteuer eines Kunstreiters von Rußland.
Ich habe gedacht, es entweder dem Raimund-Theater oder dem Volkstheater in Wien
einzureichen, weiß aber von beiden nicht, ob sie noch existieren, wie und was
sie spielen, wer maßgebende Persönlichkeit ist ec.
Würden Sie, Herr Eisenschitz, die Liebenswürdigkeit haben, mich darüber zu
unterrichten, nur einige kurze Angaben, damit ich das Manuskript nicht ins
Blaue hinausschicke.
Das Stück ist nicht für
Berliner Verhältnisse geschrieben. Ich habe von vornherein an Wien gedacht und
es daraufhin gearbeitet. Ich werde es übrigens auch dem Gärtner-Theater in
München einreichen.
Und nun leben Sie wohl,
Herr Eisenschitz. Auf baldiges Wiedersehen. Mit bestem Dank im Voraus und
ergebenstem Gruß Ihr Frank Wedekind.