Tit. DirectionDas Irving Place Theater in New York (Irving Place, Ecke 15th Street) [vgl. Neuer Theater Almanach 1907, S. 523] hatte einen weiteren Namen – Deutsches Theater [vgl. Neuer Theater Almanach 1908, S. 499] – und eine neue Direktion (nach Heinrich Conried, der seit 1892 Direktor des Theaters war), wie die Presse nach der Saisoneröffnung am 1.10.1907 berichtete: „Das deutsche Theater in New-York offiziell als das Irving Place Theater bekannt, hat seine Pforten für die neue Saison geöffnet – in gänzlich neuem Gewande, mit einem neuen Herrn in der Person des Direktors Dr. Maurice Baumfeld“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 485, 16.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 12]; bereits im Frühjahr 1907 war klar: „Das neue deutsche Theater für New-York, das der neue Direktor des Irving Place Theaters in New-York, Dr. Moritz BaumfeId, der deutschen Kunst in der amerikanischen Hauptstadt widmen will, ist, wie uns aus New-York gemeldet wird, nunmehr so gut wie gesichert.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 127, 8.5.1907, Abend-Ausgabe, S. (2)]. „Die Leitung von Conrieds Deutschem Theater in Newyork übernimmt Moritz Baumfeld.“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 37, Nr. 82, 11.4.1907, S. 7] des
Irving Place Theaters
New York U.St.A.
Sehr geehrter Herr DirektorDr. jur. Moritz BaumfeId, ein aus Wien stammender Kulturjournalist, der seit Jahren in New York lebte. Er war im Sommer 1907 in Österreich und hat in Bad Ischl – „Maurice Baumfeld, Theater-Direktor, New-York“ [Fremden-Liste Bad Ischl, Nr. 25, 15.7.1907, S. (1)] – sowie im Seebadeort Mattsee – „Maurice Baumfeld, Direktor des Deutschen Theaters, New-York“ [Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4954, 8.8.1907, S. 7] – Urlaub gemacht, außerdem Wien besucht: „Seit einigen Tagen weilt der Direktor des Deutschen Theaters in New-York Moritz Baumfeld in Wien, um sein Ensemble zu vervollständigen.“ [Deutsches Theater in New-York. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1706, 25.6.1907, Morgenblatt, S. 4] Ein Aufenthalt in Berlin ist nicht belegt. Der neue Direktor „Maurice (sprich Moritz) Baumfeld“ suchte Neuerungen einzuführen, aber das „New-Yorker deutsche Publikum ist [...] sehr konservativ, fast bis zur Spießbürgerei [...]. Es bekreuzigt sich vor ‚Simplizissimus‘, vor Wedekind und aller Dekadentenkunst gleichermaßen, genau so wie das konservative reichsdeutsche Bürgertum.“ [Henry F. Urban: New-Yorks Deutsches Theater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 162, 28.3.1908, Abend-Ausgabe, S. (1)]!
Mein Verleger Herr Albert Langen schreibt mir ebenvgl. Albert Langen an Wedekind, 21.10.1907. ‒ Die Postkarte ist im Notizbuch zwischen zwei Seiten des vorliegenden Briefentwurfs eingeklebt., daß Sie
sich bei ihm nach den Strichen erkundigt haben, die ich in meiner
Kammersängeraufführung in BerlinWedekinds Gastspiel in der Titelrolle des Gerardo in seinem Einakter „Der Kammersänger“ am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) vom 10. bis 26.6.1907 in Berlin [vgl. Tb]. vorgenommen hätte. Nun habe ich das Stück aber
gerade mit dem einzigen Grund letzten Sommer in Berlin gespielt, um den
StreichungenMax Reinhardt hatte bei seiner „Kammersänger“-Inszenierung (siehe unten) Streichungen vorgenommen, „die in der Folge von vielen anderen Bühnen adaptiert werden“ [KSA 4, S. 393]., die seit Jahren darin vorgenommen wurden, entgegenzutreten. Wenn
Sie den Einakter von mir dargestellt gesehen
haben, dann sahen Sie ihn ohne irgend einen Strich auch in den übrigen
Rollen. Seit Jahren wurde in den Aufführungen des Kammersängers alles | das, um
dessentwillen ich das Stück geschrieben habe, herausgestrichen und es blieb
eine HanswurstiadeWedekind nahm den Begriff in der „Vorrede“ zu „Oaha“ (1909) wieder auf, als er über die Aufführungen seines Einakters „Der Kammersänger“ in der Nachfolge von Max Reinhardts Inszenierung am Neuen Theater (siehe unten) schrieb: „Jedes Wort, um dessentwillen ich den Einakter geschrieben hatte, war gewissenhaft ausgemerzt worden. Während der Aufführung fragte ich mich ununterbrochen vergeblich, aus welchem Beweggrund ich denn eigentlich eine solche Hanswurstiade zu Papier gebracht haben könnte.“ [KSA 5/II, S. 307] übrig, bei deren Anblick ich mich vergeblich fragte, aus
welchen Gründen ich sie zu Papier gebracht haben sollte. Vor allen Dingen aber war
in dieser Hanswurstiade der Tod der verliebten FrauHelene Marowa, die weibliche Hauptfigur in Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ (1899), bringt sich am Ende um [vgl. KSA 4, S. 44f.]. gänzlich unverständlich, so
daß sich eine TheaterdirektionAnspielung auf Max Reinhardt als Direktor des Neuen Theaters in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245], der Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ dort erfolgreich inszenierte (Premiere: 30.9.1903), was zwar den „Durchbruch“ für das Stück auf den Bühnen bedeutete, er nach wenigen Vorstellungen „jedoch einschneidende Texteingriffe [...] am Drama vornahm“, so „daß das Stück im einheitlichen Stil der Komödie gespielt werden konnte [...]. Dem entsprach auch Reinhardts Variante des Dramenschlusses, der von 1904 an als ‚Berliner Schluß‘ bekannt wurde. In dieser Fassung täuscht Helene ihren Selbstmord nur vor, um den Abgang Gerardos mit den Worten zu kommentieren: ‚Nicht einmal darauf reagiert dieser Dummkopf!‘“ [KSA 4, S. 393] bei ihrer Darstellung des Stückes einmal den
Scherz geleistetWedekind äußerte sich in der „Vorrede“ zu „Oaha“ (1909) zum geänderten Schluss seines Einakter „Der Kammersänger“ durch Max Reinhardt (siehe oben): „Ein Selbstmord wurde in einen Witz umgeändert. Der Revolver knallt, die Heldin stürzt zu Boden, erhebt sich aber sofort wieder mit den Worten: Nicht einmal darauf reagiert dieser Dummkopf!“ [KSA 5/II, S. 306] hat, die Frau nach ihrem Selbstmord wieder aufstehn zu lassen.
So aufrichtig ich Ihnen nun für das Vertrauen und
wohlwollende Interesse, das Sie geehrter Herr Direktor, meinen Arbeiten
entgegenbringen, danke, so kann ich doch zu meinem Bedauern nicht die | Hand
dazu bieten, mein Stück jenseits des OzeansWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ wurde gleichwohl knapp anderthalb Jahre später in New York in deutscher Sprache aufgeführt, am 10.3.1909 am Neuen Deutschen Theater [vgl. Seehaus 1973, S. 234] – unter der Direktion von Maurice Baumfeld und Eugen Burg, eröffnet am 1.10.1908 [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 550]. in ähnlicher Weise verstehen zu
lassen, wie es in Deutschland Jahre hindurch verballhornisiert worden ist.
Ich ersuche Sie, geehrter Herr Direktor, den Ausdruck meiner
allervorzüglichsten Hochschätzung entgegen zu nehmen.
Berlin 24.10.7. Frank
Wedekind.