Schloß
Lenzburg 6 Februar 1890
Lieber
Bebi!
Deinen
K/B/riefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 1.2.1890. erhielt ich gestern Abend. Er hat mich sehr beruhigt. Noch
bevor ich dein Schreiben empfangen hatte, hatte ich meine Zeugnisse nach
SolothurnDonald Wedekind bewarb sich zur Fortsetzung seiner Anfang 1889 abgebrochenen Schullaufbahn am Gymnasium in Solothurn und trat dort im Frühjahr 1890 in die 5. Klasse ein. geschickt, wohin ich heute behufs Examens reiste. Das Resultat ist
noch nicht sicher, aber doch sehr wahrscheinlich. Ich werde jedenfalls nicht
höher als 2.te Klasse GymnasiumDonald Wedekind folgt hier der Zählweise der Gymnasialklassen in seiner vorherigen Schule, der Kantonsschule Aarau, in der auf zwei Jahre Progymnasium, vier Gymnasialklassen folgten. In Solothurn entsprach dies der 5. Klasse. kommen. Mama wäre damit zufrieden, doch scheinten
mir 2 ¼ in dem traurigen Orte zuzubringende Jahre furchtbar unerträglich.
Von der FremdenmaturitätZulassungsprüfung an der Universität Zürich für Nichtschweizer und Schweizer ohne schweizerische Matura. will Mama durchaus nichs/t/s wissen. Allerdings
könnte ich dieselbe des angestrichenen Paragraphen wegenHinweis auf eine nicht überlieferte Beilage mit Regelungen zur Fremdenmaturität, auf die sich Frank Wedekind auch gegenüber seiner Mutter bezog, die wegen Donalds Schulabbrüchen eine Anmeldung für unmöglich erklärt hatte, während Frank Wedekind schrieb, dass er „aus dem gedruckten Reglemente ersehe daß er dessen unbeschadet im Frühling 91 zugelassen wird“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.2.1890]. Analog zu den Minimalaltersgrenzen an den regulären Schulen, die je nach Kanton zwischen 18 ½ und 20 Jahren lagen [vgl. G. Finsler: Die Lehrpläne und Maturitätsprüfungen der Gymnasien der Schweiz. Materialien und Vorschläge. In: Zeitschrift für Schweizerische Statistik, Jg. 29, 2. Quartalsheft, 1893, S. 174], dürfte auch für die Fremdenmaturität eine solche Altersgrenze bestanden haben, die Frank Wedekinds Angaben zufolge bei 19 ½ Jahren lag. nicht vor Frühling über ein Jahr
machen. Doch wäre ich immerhin ein volles Jahr gewonnen im Vergleiche zu
SoloturnSchreibversehen, statt: Solothurn. und die Wahrscheinlichkeit des Aushaltens des kürzeren Termines, wie
des Bestehens | der Prüfung ist im Falle der Fremdenmaturität die größere. Die
in Solothurn bestandene Prüfung könnte kaum schlimmen Einfluß haben. In d
Deutsch, Französisch, Englisch genügten die Leistungen zur Aufnahme in die dritte
Klasse. In Physik, Mathematik und Latein ich hinten nach bin.
Ich
würde es vorziehen die Fremdenmaturität zu machen, erstens der Zeitersparniß,
zweitens der größeren Annehmlichkeit wegen. Da aber Mama durchaus nichts von
der Sache wissen will, was ich in/au/s einem elenden Wortstreit, über
den ich mich jetzt noch ärgere, ersehen habe, di so werde ich zuerst
eine Antwort von dir abwarten, was ich sehr gut tuhn kann, da ich mir noch ein
paar freie Tage ausbedungen habe. Schreibe mir ganz wie du über die Sache denkst, und zwar sofort, da
ich so wenig wie möglich Zeit verlieren will.
Im
Übrigen kann ich dir d nicht sagen, wie sehr es mich | gefreut hat, daß
ich wenigstens an dir noch eine Stütze gefunden habe, so daß ich also doch
nicht ganz verlassen und rechtlos in der Welt stehe. Der Verlust der Uhrangesprochen in der vorangegangenen Korrespondenz [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 31.1.1890]. ärgert
mich nicht, aber der Gedanke an die Tat.
Ich
habe wieder eine Geschichtenicht ermittelt; von der Anlage her ähnlich zu seiner ersten Geschichte ist die Erzählung „Der Kandidat am goldenen Thore“, die in Donald Wedekinds Novellenband „Das rote Röckchen“ (1895) erschienen ist. geschrieben. Sie ist nicht das geworden, was sie
hätte werden sollen, sie ähnelt zu sehr der erstenDonald Wedekinds erste Publikation, die Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“, war im Vorjahr in der Berner Tageszeitung „Der Bund“ erschienen [vgl. Der Bund, Jg. 40, Nr. 148, 28.5.1889, S. (1-3) und Nr. 149, 29.5.1889, S. (1)].. Eigentlich wollte ich die
Romantik ganz weglassen, aber sie kam doch hinein. Ich werde sie noch einige
Male zu meinem Vergnügen durchlesen, und sie dir dann schicken.
Ich
wollte ich hätte Thomar hier.
Dein
treuer Bruder
Donald
Prof.
BlümerSchreibversehen, statt: Blümner; bei Prof. Hugo Blümner, dem Rektor der Universität Zürich, hatte sich Donald Wedekind zuletzt wegen der Fremdenmaturität erkundigt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 31.1.1890]. sagte weiter nichts.