Sehr geehrter Herr Sternheim!
Für Samstag Nachmittag haben
meine Frau und ich leider schon Karten für den ZirkusFür Samstag, den 7.5.1910 notierte Wedekind im Tagebuch: „Mit Tilly und Annapamela [Wedekind] im Zircus Sarasani.“. Außerdem habe ich auch
gerade augenblicklich unermeßlich viel Arbeit mit meinen Verlegerischen
KämpfenDer Verleger Bruno Cassirer (Berlin) hatte nach langwierigen Verhandlungen im Oktober 1908 von Albert Langen (München) den Verlag von Wedekinds Büchern erworben. Die persönlichen und geschäftlichen Beziehungen zwischen Autor und Verleger verschlechterten sich bereits im Laufe des Jahres 1909 zusehends. Zur Verschärfung des Konfliktes trug neben Wedekinds generellem Misstrauen und dem Streit um die Bühnenrechte – die Cassirer für sich beanspruchte, während sie nach Wedekinds Auffassung nach der Lösung des Vertrages mit Langen an ihn selbst zurückgefallen waren – auch die Tatsache bei, dass Wedekind den Verlag seines Einakters „Der Stein der Weisen“ (1909) nicht Cassirer, sondern dessen Vetter Paul Cassirer (Berlin) übertrug, der sich zu dieser Zeit vergeblich um den Gesamtverlag von Wedekinds Werk bemühte. Ab Frühjahr 1910 wurde der Streit öffentlich ausgetragen: Anfang März bot Cassirer die Rechte am Verlag Wedekinds sowie seine Lagervorräte per Annonce im „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ [Jg. 77 (1910), Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] zum Verkauf an. Wedekind reagierte am 21.3.1910 mit einer bissigen Erklärung an die Sortimentsbuchhändler im „Berliner Tageblatt“, in der er sich bereit erklärte, „der Verlagsbuchhandlung BRUNO CASSIRER für den Fall, daß sie den Verlag meiner Werke zu einem seinem Wert angemessenen Preis verkauft, ein angemessenes Schmerzensgeld auszuzahlen“ [KSA 5/II, S. 360]. In der Folge konnte ein Prozess nur mit Mühe und durch Vermittlung gemeinsamer Freunde, darunter Maximilian Harden, vermieden werden. Am 5.7.1910 trat Cassirer schließlich die Rechte an Wedekinds Werk für 30.000 Mark an den Münchner Verleger Georg Müller ab, mit dem Wedekind bereits im April und Mai 1910 Verträge über den Verlag der Einakter „In allen Wassern gewaschen“, „Mit allen Hunden gehetzt“ und „In allen Satteln gerecht“ (1910; später vereinigt zu „Schloß Wetterstein“, 1912) abgeschlossen hatte [vgl. Tb, 21.4.1910; zu Einzelheiten vgl. außerdem KSA 5/III, S. 126–130 und 750–752 sowie Kutscher 3, S. 80f.].. Trotzdem würde es mich sehr interessieren | wenn wir wieder einmal
über unsere gemeinsame SacheDer Hinweis bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Reihe von Zusammenkünften im März 1910, an denen neben Sternheim und Wedekind auch der Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer sowie die Schriftsteller Karl Vollmöller und Friedrich Freska teilgenommen hatten. Die Initiative dazu ging offenbar von Sternheim aus, der Wedekind während eines Besuchs in München am Nachmittag des 12.3.1910 „die Gründung einer Liga“ [Tb] vorschlug. Über das erste Treffen der Gruppe am 15.3.1910 im Hause Sternheim in Höllriegelskreuth notierte Thea Sternheim am folgenden Tag in ihrem Tagebuch: „Am 15ten Zusammenkunft zwischen Paul Cassirer, Wedekind, Vollmöller und Karl wegen eines zu gründenden demokratischen Vereins. Bis spät abends angeregte Unterhaltung, besonders über [Max] Reinhardtsche Theaterangelegenheiten. Wedekind ernst und überlegen, Karl diesmal zurückhaltender, Vollmöller schlau und lebhaft.“ [Tb Sternheim/CD]. Über ein weiteres Treffen am folgenden Tag, diesmal in der Wohnung der Wedekinds, schreibt Thea Sternheim: „Mittags zu Wedekinds, wo sich die Herrn wieder versammeln mit dem Hinzukommen des Schriftstellers Freksa.“ [ebd.; vgl. auch Wedekinds Tagebucheintrag vom 16.3.1910: „Um 4 Uhr Conferenz bei mir Sternheim Cassirer Freksa Vollmöller | Abendessen mit den Theilhabern im Hotel Marienbad.“] Ein weiteres „Gespräch mit Sternheim“ [Tb] hielt Wedekind für den 18.3.1911 fest. Zum Inhalt der Gespräche ist nichts überliefert. Sie dienten offenbar der Gründung eines Vereins bzw. einer festeren Gruppe zur gemeinsamen Wahrnehmung politischer Intreressen vor allem auf literarisch-kulturellem Gebiet. Das Unternehmen kam aber in dieser Form nicht zustande, möglicherweise weil der Anfang 1910 in Berlin gegründete Schutzverband Deutscher Schriftsteller diese Funktion bald übernahm. In diesem Zusammenhang gehört auch das von Sternheim, Wedekind sowie weiteren Mitunterzeichnern konzipierte Protestschreiben gegen polizeiliche Zensurverbote, das miteinem Brief von Sternheim und Wedekind an Arthur Schnitzler vom 22.12.1911 überliefert ist. sprechen könnten. Vielleicht kommen Sie in
nächster Zeit einmal in die StadtSternheim und Wedekind waren sich ausweislich Wedekinds Tagebuch zuletzt am 18.3.1910 begegnet. Für das gesamte weitere Jahr ist kein weiteres persönliches Treffen dokumentiert..
Mit besten Empfehlungen auch
an Ihre Frau Gemahlin
Ihr
FrWedekind.
5.5.10.