Sehr verehrter Herr Kraus!
empfangen Sie meinen besten Dank für das schöne HonorarWedekind notierte am 12.6.1907 das Honorar für seine in der „Fackel“ veröffentlichten lyrischen Texte „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3] und „Der Dampfhammer“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]: „Von Kraus für 7. Worte und Dampfhammer M. 120.“ [Tb], das
Sie mir heute schickenHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Honorarsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 11.6.1907.. Auch für den Bacchantinnen Kopfim Erstdruck: Bacchantinnenkopf. Irma Karczewska dürfte auf der erbetenen Fotografie [vgl. Frank und Tilly Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1907], die nun vorlag, „mit Weinblättern und Trauben in den Haaren abgebildet“ [Nottscheid 2018, S. 203] gewesen sein – wie eine der Bacchantinnen (nach: Bacchus, dem römischen Gott des Weines, gleichgesetzt mit Dionysos, dem griechischen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit), die auf den antiken Kultfeiern zu Ehren des Dionysos, den Bacchanalien, „mit Efeu und Wein geschmückt“ ekstatisch sangen und tanzten und sich „wüsten Ausschweifungen hingegeben haben“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 79]. Fritz Wittels erinnerte sich, dass Karl Kraus ihm Fotografien gezeigt hatte, auf denen sie Weinblätter und Trauben im Haar trug: „Irma was a dream of beauty. He showed me photographs of her with grape leaves and clusters in her black hair and a radiant smile on her parted lips. [...] She was [...] a miracle of a Dionysian girl born several thousand years too late.“ [Wittels 1995, S. 58] von Irma Karschewskaim Erstdruck: J. K. („J“ für „I“; gemeint ist Irma Karczewska)..
Auch meine Frau läßt Ihnen herzlichst dafür danken und bittet sie das Original
von uns zu grüßen. Ich schrieb Ihnen solange nicht, weil ich überhaupt nicht
schrieb. |
Der Dampfhammer ist im November 1886 geschriebenWedekinds Gedicht „Im Dampfhammer“ ist im Winter 1886/87 geschrieben [vgl. KSA 1/II, S. 1701f.], was insofern auch für das fast gleichlautende Lied „Der Dampfhammer“ gelten darf, das Karl Kraus ohne Noten veröffentlichte [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.] und im Erstdruck mit der Anmerkung versah: „Das Gedicht ist im Jahre 1886 entstanden.“ [Kraus 1920, S. 19], in Zürich,
als ich bei MaggiWedekind arbeitete von Mitte November 1886 bis Mitte Juli 1887 als Reklametexter im Reklame- und Pressebüros der Firma Julius Maggi und Co. in Kemptthal bei Zürich [vgl. Vinçon 1992, S. 254]. war. Ich hätte aber gerne noch einige kleine ÄnderungenIm Erstdruck sind die „nicht verworfenen Korrekturen“ aus dem vorliegenden Brief, aus der korrigierten Korrekturfahne [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907] und aus einem weiteren Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 27.6.1907] alle „übernommen.“ [KSA 1/III, S. 611]
gemacht. Jetzt wird es wohl zu spät sein. Ich werde sie hier aufzählen.
Vielleicht können Sie S/s/ie noch anbringen.
Wie das schlankste BambusrohrIn der Korrekturfahne ist der Vers in der dritten Strophe im Wortlaut „Wie ein Riesenbambusrohr“ gesetzt, von Wedekind mit der Korrektur „das schlankste Bambusrohr“ („schlankste“ dann gestrichen und durch „dünnste“ ersetzt) versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907].
weil sonst Riese zweimalMotiv für die Korrekturen waren „störende Wortwiederholungen“ wie hier; es sollte „die Wiederholung ‚Riese‘ in Strophe 3 und 6 vermieden werden.“ [KSA 1/III, S. 612]. vorkommt.
Keines hört es, wie der langeIn der Korrekturfahne ist der Vers in der vierten Strophe bereits entsprechend korrigiert gesetzt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907].
Mädchen lacht erIn der Korrekturfahne ist der erste der beiden Verse („Mädchen lacht er“ bis „Jugendstreiche nicht!“) in der sechsten Strophe im Wortlaut „Mädchen, lacht er, läßt du diese“ gesetzt, von Wedekind mit der Korrektur „treib doch“ versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907], die er im vorliegenden Brief bereits vorschlägt., treib doch diese
Faden Jugendstreiche nicht!
und in der letzten Strophe
Schäme michIn der Korrekturfahne sind die beiden Verse („Schäme mich“ bis „Schmerz durchdrungen“) in der letzten Strophe im Wortlaut „Zürne mir und weine und / Bin von tiefster Scham durchdrungen“ gesetzt, von Wedekind vor allem mit der Korrektur „Schmerz“ (statt „Scham“) versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907], die er im vorliegenden Brief bereits vorschlägt. und weine und
Bin von tiefstem Schmerz durchdrungen |
Ich bin hier derweil mit Kammersänger durchgefallenWedekind notierte am 10.6.1907 seine Gastspielpremiere in der nun ungekürzten Hauptrolle des Gerardo in seinem Einakter „Der Kammersänger“ (gespielt wurde er zusammen mit „Rabbi Esra“) am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin: „Kammersängeraufführung im Kleinen Theater.“ [Tb] Wedekind, verstimmt über die „Änderungen Reinhardts“ in früheren Berliner Inszenierungen, spielte die Hauptrolle des Gerardo unter „dem ausdrücklichen Vorsatz, das Berliner Publikum vom Wert eines ungestrichenen [...] ‚Kammersängers‘ zu überzeugen“ [KSA 4, S. 393]; er überzeugte zumindest die Theaterkritiker Julius Hart und Siegfried Jacobsohn [vgl. KSA 4, S. 402-404] sowie in der Einschätzung des Stücks auch Monty Jacobs [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 11.6.1907], der allerdings von Wedekinds „unzulänglicher Verkörperung“ der Hauptrolle sprach und meinte: „Frank Wedekinds schauspielerische Zurückhaltung erscheint leider nicht wie ein freiwilliger Entschluß, sondern wie das Resultat technischer Hilflosigkeit. Eine ängstliche Starrheit des Mienenspiels und ein ruckweis herausgestoßenes Sprechen machen den Zuschauer nervös. Nüancen fehlen völlig, es sei denn, daß man den Wechsel von Weste und Hose in den Entkleidungsszenen dafür ansieht.“ [M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. Das
schmerzt mich nicht sehr, da es mir thatsächlich nur darum zu thun war, das
Stück in natürlicher Formin ungekürzter Form (siehe oben zur Aufführung „Der Kammersänger“). auf die Bühne zu bringen.
Wenn die Spielereidie Schauspielerei. Wedekind stand seinerzeit fast ununterbrochen in Gastspielen auf der Bühne. ein Ende hat, fahren wir voraussichtlich
direkt nach Kannstatt bei Stuttgart, wo ich gerne acht Tage kohlensauer badentherapeutische Kohlensäurebäder nehmen. Wedekind war gesundheitlich angeschlagen. „Nie ging es ihm gesundheitlich so schlecht, wie im Frühjahr 07. Jetzt mußte er [...] kohlensaure, elektrische und Dampfbäder gebrauchen.“ [Kutscher 2, S. 210f.] Er nahm diese Bäder allerdings nicht in Cannstatt (seit 1905 Stadtbezirk von Stuttgart), sondern dem Tagebuch zufolge am 13.7.1907 in Leipzig („Kohlensaures Bad“) sowie in Frankfurt am Main am 16.7.1907 („Kohlensaures Bad“) und 17.7.1907 („Dampfbad“); er brach von Frankfurt am Main am 18.7.1907 nach Stuttgart auf, sah dort im Hotel allerdings Berthe Marie Denk und reiste daraufhin wieder ab, nach München [vgl. Tb].
möchte. Wann reisen Sie nach dem Norden?
Nochmals mit herzlichstem Gruß und Dank
Ihr
Frank Wedekind.
12.6.7.