Ischl, Sonntagder 22.9.1907..
Lieber Herr Wedekind,
ich bin nach achttägigem AufenthaltKarl Kraus ist am 12.9.1907 „nach Venedig gereist, wo er mit Fritz Wittels und Irma Karczewska zusammentraf“ [Nottscheid 2008, S. 206]. in Venedig wieder nach Ischl zurückgekehrt, um hier eine
Arbeit zu beendenArbeiten an dem Sammelband „Sittlichkeit und Kriminalität“, die Karl Kraus im Juli „während seines Sommeraufenthaltes in Norderney“ [Sophie Schick: Die Vorarbeiten zu „Kultur und Presse“. In: Kraus Hefte, Heft 2, April 1977, S. 12-16, hier S. 13] begonnen hatte, das Buch aber erst zu Beginn des nächsten Jahres im Verlag der Buchhandlung L. Rosner (Inhaber: Carl Wilhelm Stern) erschien [vgl. Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. Wien und Leipzig 1908 (= Ausgewählte Schriften. Band 1)].. Der Zweck meines heutigen Schreibens ist aber nicht diese,
sondern eine Mittheilung, die Sie mehr interessieren dürfte. Ich habe für die
„Büchse der Pandora“ nicht nur in WienKarl Kraus hatte die Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 in Wien veranstaltet und setzte sich nun für eine Aufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg (Direktion: Alfred von Berger) ein, die nicht zustande kam [vgl. Nottscheid 2008, S. 275-280]., sondern auch in Hamburg gewirkt. Von befreundeter Seitevon Fritz Schik, Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397], der seinerzeit mit Alfred von Berger nach Hamburg gegangen ist (das Deutsche Schauspielhaus wurde am 15.9.1900 eröffnet) und Karl Kraus über das Befinden von Annie Kalmar unterrichtete, war lebenslang mit Karl Kraus eng befreundet. Fritz Schik hatte Karl Kraus am 3.9.1907 geschrieben: „Vielleicht führen wir doch im Winter einen Wedekind auf; ich habe es angeregt.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv],
die auch dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg
nahesteht und der ich in diesem Sommer wiederholt die Aufführung eines Ihrer
Werke auf der Bühne des Baron BergerAlfred von Berger, ebenfalls seit vielen Jahren mit Karl Kraus befreundet, war Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397]. Er hatte allerdings Vorbehalte gegen Wedekinds Tragödie, wie Briefe von ihm an Ernst Koehne, den stellvertretenden Direktor des Deutschen Schauspielhauses [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397], zeigen, dem er am 3.9.1907 über eine Kontaktaufnahme mit dem für Zensur zuständigen Hamburger Polizeidirektor Gustav Roscher schrieb: „Was ‚Die Büchse der Pandora‘ betrifft, so ist es möglich, daß sie auch für das Mittwoch-Publikum zu stark ist. Jedenfalls muß ich den Brief an Hrn. Roscher erst erwägen; denn, wie Du meintest, aussprechen, daß mir an der Aufführung des Stückes gelegen ist, mich dafür sozusagen exponieren, das kann ich nicht, das würde mir, wenn es ausgebeutet wird, schaden.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Theatersammlung, Universität Hamburg] Alfred von Berger schrieb dann am 13.9.1907 an Ernst Koehne: „Beiligend ein Brief an Hrn. Polizeidirektor Roscher wegen der ‚Büchse der Pandora‘. Vielleicht übergibst Du ihn oder sendest Hrn. Schik. [...] Ich bin in der Sache nicht ohne Skrupel. Wenn das Stück nicht allzu viel Geld einbringt oder allzu argen Skandal erregt, so werden vielleicht manche, die mich jetzt zur Aufführung antreiben, mir Vorwürfe machen, gegen die ich nicht einmal immun bin, da ich das Stück für nicht so genial halte, um die Frechheit des Stoffes zu rechtfertigen. Es erregt mir im Grunde nur Langweile und Ekel.“ [Ebd.] ans Herz gelegt habe, ergeht das
telegraphische ErsuchenDas Telegramm von Fritz Schik an Karl Kraus, aufgegeben am 20.9.1907 in Hamburg, lautet: „bitte sofort wedekind veranlaszen dem deutschen schauspielhaus vertrag über büchse der pandora einzusenden.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv] an mich, Sie zur Einsendung eines Vertrags
über die Büchse der Pandora an die Direktion des D.
Sch. in Hamburg
aufzufordern. Am
Ende Vielleicht
spiele ich also noch den Kungu PotiKarl Kraus hatte in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 (und in der Wiederholungsvorstellung am 15.6.1905) die Rolle des Kungu Poti, „kaiserlicher Prinz von Uahube“ [KSA 3/I, S. 478], gespielt. in Hamburg!
Herzlichste Grüße an Sie und
Ihre liebe Frau
von Ihrem
Karl Kraus
(IschlIm Hotel zur Post war gemeldet: „Karl Kraus, Schriftsteller, Wien.“ [Fremden-Liste Bad Ischl, Nr. 75, 24.9.1907, S. (1)] Gleichzeitig logierte auch Fritz Wittels, Arzt aus Wien und Beiträger der „Fackel“, mit dem Karl Kraus in Venedig war (siehe oben), in diesem Hotel [vgl. Kur-Liste Bad Ischl, Nr. 61, 1.10.1907, S. (1)]., postlagernd)