Postkarte
An
Herrn Karl Kraus
Herausgeber der „Fackel“
in Wien IV
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |
Lieber Herr Kraus, ich habe es verpudelthier: versäumt., Ihnen
telegraphisch zu antworten. Wir sitzen hier bei SteinertFrank und Tilly Wedekind saßen am 26.5.1907 im Weinlokal Eugen Steinert (Kurfürstendamm 22), wo sie die vorliegende Postkarte schrieben: „Abends mit Tilly bei Steinert.“ [Tb] zusammen und deshalb
beantworte ich Ihren liebenswürdiges Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 24.5.1907. Das verschollene Telegramm dürfte unmittelbar auf das am 23.5.1907 abgesandte Gedichtmanuskript „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.5.1907] reagiert haben. Wedekind nimmt in der vorliegenden Postkarte Stellung zu den von Karl Kraus telegrafisch übermittelten Vorschlägen zur Drucklegung des Gedichts. von hier aus. Künstlerisch
haben Sie selbstverständlich recht. Trotzdem möchte ich auf den ersten TitelKarl Kraus hat in seinem Telegramm (siehe oben) vermutlich vorgeschlagen, den Titel des Gedichts „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ um den ersten Teil des Titels zu kürzen und auf den zweiten Teil des Titels zu reduzieren. Das Gedicht wurde mit dem vollständigen Titel gedruckt [vgl. Frank Wedekind: Die sieben Zeilen oder Die sieben Worte. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3].
nicht gerne verzichten, eben weil er überflüssig ist und weil 60 eine
heilige Zahl ist. Der Leser wird Ihren Einwand machen und diesen Einwand möchte
ich nicht entbehren. Ich freue mich sehr, daß Ihnen die Verse nicht mißfallenKarl Kraus, der „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ in seinem Telegramm (siehe oben) zurückhaltend bewertet haben dürfte, äußerte in einem Brief an Karl Hauer vom 14.6.1907 Kritik an Wedekind Gedicht: „Wedekinds ‚7 Worte‘ scheinen mir ungleichwertig. Manche Zeilen sind großartig, manche aber fast banal und manche wieder schwulstig. Auch paßt der ironisch-nüchterne Titel nicht zur Pathetik der Sprüche: (Auch Weitläufigkeiten wie ‚Ich, der ich Ich bin‘ stören mich einigermaßen!)“ [Nottscheid 2008, S. 201; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv].
Wann sehen wir uns in Berlin. Herzliche Grüße
Ihr FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..
Lieber
Herr Kraus, die Bilder der KleinenFotografien von der 1907 siebzehnjährigen Irma Karczewska, die offenbar ‚die Kleine‘ genannt wurde – so sprach Erich Mühsam beispielsweise in seinem Brief an Karl Kraus vom 28.11.1906 von „der Kleinen“ [Jungblut 1984, S. 87]. Karl Kraus dürfte Frank und Tilly Wedekind diese Fotografien am 21.5.1907 vor ihrer Abreise von Wien abends im Dominikaner-Keller gezeigt haben [vgl. Tb]. Sie kannten Irma Karczewska seit der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905, in der sie die Rolle des Bob spielte (mit ihr auf der Bühne standen Wedekind als Jack und Tilly Newes als Lulu), wie der Theaterzettel ausweist [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.19056, S. 15]. Die junge Schauspielerin war in Begleitung von Karl Kraus im Vorjahr zu Besuch in Berlin, wie Wedekinds Tagebuch am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska. Abend mit ihnen im Zoologischen Garten, dann bei Steinert“), 16.6.1906 („Am Nachmittag sind Kraus und Irma Karschewska bei uns“), 18.6.1906 („Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska“), und 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus und Irma Karschefska bei Barnowski“) dokumentiert. haben mir so gut gefallen, dass ich Sie
bitte, mir von ihr eines zu erbitten. Herzl. Gruß Ihnen Beiden Tilly W.