VERLAG „DIE
FACKEL“
HERAUSGEBER KARL KRAUS
WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.
Wien, 19. Mai 1906
Mein lieber und verehrter Fr. W.!
In aller Hast – 25. MaiDer Prozess „in der Nachtlicht-Affaire“ [Nottscheid 2008, S. 175] fand am 25.5.1906 in Wien am Bezirksgericht Josefstadt für Strafsachen statt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 25.5.1906]. ist die Verhandlung gegen das
PärchenMarc Henry und seine Lebensgefährtin Marya Delvard, die beiden leitenden Personen des Künstlerkabaretts Nachtlicht in Wien (und vormals der Elf Scharfrichter in München). – schreibe ich Ihnen diesen Brief. Also: Nr 203 der ‚Fackel‘Das Heft enthält die „Nachtlicht“ betitelte ausführliche Stellungnahme von Karl Kraus zur Nachtlicht-Affäre und Wedekinds gegen Marc Henry und Marya Delvard gerichteten offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906], der Karl Kraus unterstützte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1905, S. 17-24]. hat St. Francisco-mäßigmit Blick auf die Wirkung des „Fackel“-Heftes Nr. 103 (siehe oben) rhetorisch kalkulierte Anspielung auf eine unlängst geschehene Naturkatastrophe, auf das verheerende Erdbeben vom 18.4.1906 in San Francisco.
gewirkt. Das Frühlingswetter allein kann’s nicht verschuldet haben, daß sich
die Besucherzahl des „Nachtlicht“ plötzlich zwischen 19 und 35 bewegte. Das
Cabaret, das erst am letzten Maitag seine Pforten schließen
wollte, hat bereits vorgestern, am 17. Mai geschlossen. Ich erfuhr das
folgende: Die Delvard zuckte bloß und sagte (wie zu erwarten
war): „Das ist der Dank!“ Dies
erklärte sie des Näheren mit der Versicherung, daß Frank Wedekind ihr seinen
ganzen Ruhm in Deutschland zu danken habe!! „Was wäre er ohne mich!“ Stieg
auf’s Podium und sangMarya Delvard hatte im Wiener Künstlerkabarett Nachtlicht ungeachtet der Streitigkeiten nochmals Wedekinds Lied „Die Hunde“ gesungen, das zu ihrem Repertoire gehörte. – die „Hunde“ ohne Nennung Ihres Namens,
an zwei Abenden, – dann nichts mehr.
Herr Henry und die Delvard erklärten allen,
die’s hören wollten, nie sei die Delvard verurtheilt worden. Bei aller
Anerkennung der Lügenfähigkeit, | die das Paar auszeichnet, konnte ich’s nicht
glauben, dass in diesem Fall Ableugnungsversuche gemacht werden. Margarethe Beutler,
die kürzlich in Wien war, und sich angesichts der Ereignisse und nach der Lektüre
Ihres BriefsWedekinds offener Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906], abgedruckt in der „Fackel“ (siehe oben). weigerte im Cabaret aufzutretenMargarete Beutler war für das „Mai-Programm“ des „Cabaret ‚Nachtlicht‘“ angekündigt: „Margarethe Beutler, Dichterin.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4508, 12.5.1906, S. 15] Sie sollte zuerst am 14.5.1906 auftreten: „Montag den 14. d. werden sich [...] neue Kunstkräfte dem Wiener Publikum vorstellen: Frau Margarete Beutler, die hervorragende Schriftstellerin, wird eine Serie ihrer eigenen Dichtungen zum Vortrage bringen“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8440, 11.5.1906, S. 2]., sagte mir, daß in München jedes
Kind von der Verurtheilung der D.Wedekind hatte in seinem offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] auf den von Olly Bernhardy angestrengten Verleumdungsprozess am 19.6.1902 in München angespielt, in dessen Folge Marya Delvard 50 Mark zu entrichten und laut Gerichtsbeschluss auch für weitere Kosten aufzukommen hatte [vgl. Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4]. wisse. Heute erscheint nun im größten
Saublatt Wiens die beiliegende Erklärungdie Beilage zum vorliegenden Brief, ein Zeitungsausschnitt aus dem „Neuen Wiener Journal“ [vgl. Mr. Henry und Frank Wedekind. Eine Zuschrift. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4515, 19.5.1906, S. 4]. des Vaucheret.
Es ist unglaublich, wie der Mensch für den Augenblickseffekt arbeitet. In einer
Zuschrift an ein anderes BlattMarc Henrys Zuschrift an die Redaktion der „Wiener Allgemeinen Zeitung“, in der er über das Geschehen in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 äußerte: „Es war niemand mehr im Casino de Paris außer meiner Tischgesellschaft und den Herren Kraus, Mühsam und Dr. Friedell, als der Vorfall sich ereignete und niemand von meinem Tisch hat heute in der Erinnerung, daß ich antisemitische Beschimpfungen ausgestoßen hätte. [...] Unwahr ist, daß Marya Delvard Herrn Kraus, als er angeblich ohnmächtig auf dem Boden lag, geschlagen hätte. Marya Delvard wollte in größter Aufregung mich zurückreißen und hat dabei, als sie abgehalten wurde, [...] meinen Gegner, Herrn Kraus, unwillkürlich gestreift.“ [Die Prügelszene im Casino de Paris. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8434, 4.5.1906, S. 2] Karl Kraus erwiderte daraufhin ironisch in einer eigenen Zuschrift: „Dagegen weiß ich jetzt, daß Herr Henry keine antisemitischen Beschimpfungen gegen mich [...] ausgestoßen haben will, und daß Frau Delvard einen halb ohnmächtig auf dem Boden Liegenden nicht ins Gesicht geschlagen haben will. Sie habe, als sie Herrn Henry ‚zurückreißen wollte‘, mich [...] bloß ‚unwillkürlich gestreift‘. Ob sich der Ausruf der Dame: ‚Ich muß ihn töten! Wien wird aufatmen, wenn ich es von dieser Pest befreie. Man wird Messen lesen!‘ auf [...] auf mich bezogen hat, muß demnach vorläufig unentschieden bleiben, bis Personen, deren Gedächtnis so stark ist wie anderer Menschen Fäuste, vor berufenem Forum sich darüber ausgesprochen haben.“ [Die Prügelszene im „Casino de Paris“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8437, 8.5.1906, S. 2] hat er erklärt, daß er mich nicht beschimpft und
die Delvard mich nicht ins Gesicht geschlagen hat. Daß es die Leute einen
Tag lang glauben, genügt ihm. Jetzt stellt er glatt die Delvard-Strafe in
Abrede. Mein AnwaltKarl Kraus dürfte den Wiener Rechtsanwalt beauftragt haben, der ihn im Prozess am 25.5.1906 (siehe oben) vertrat: Dr. Wilhelm Rosenberg. hat sofort an einen Münchener Collegennicht identifiziert. wegen Erhebung der
Sache geschrieben, ich habe an die Beutler depeschiertHinweis auf ein Telegramm von Karl Kraus an Margarete Beutler, das nicht überliefert ist., sie möge mir eine
Nummer der „Neuesten Nachrichten“ beschaffen, in der seinerzeit der
VerhandlungsberichtDie „Münchner Neuesten Nachrichten“ berichteten über den von Olly Bernhardy gegen Marya Delvard und Marc Henry angestrengten und am 19.6.1902 in München verhandelten Verleumdungsprozess [vgl. Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] und druckten dazu eine vom Gericht auferlegte eine „Bekanntmachung“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 294, 28.6.1902, Vorabendblatt, S. 7 oder 8 (die Seiten fehlen im eingesehenen Exemplar)], die Karl Kraus kommentiert nachdruckte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 27f.]. stand. Daß der Herr Vaucheret Sie oder mich geklagtmöglicherweise Schreibversehen, statt: verklagt. hat, ist
gewiß unwahr. Das Gericht Die Justiz
arbeitet dem Herrn zu | „langsamZitat aus der Beilage.“!! In der Verhandlung wird, wenn wir nicht bis
dahin eine Abschrift des Urtheils od. dgl. in Händen haben, die Marie Biller-DelvardMarya Delvard, eigentlich Maria Joséphine Billère (Biller). sehr eindringlich befragt
werden, wie’s mit der Münchner Geschichte steht. Wollen Sie gegen den
beiliegenden Wisch etwas thun? Ich stehe Ihnen natürlich vollständig zur
Verfügung./,/ mit
jedem Raum, den Sie wünschen, und mit allen Informationen, die Sie für
eventuelle Klage gegen das Blatt brauchen. Das Wirksamste wäre, wenn ich in der nächsten ‚Fackel‘
eine Copie des Urtheiles oder einen Zeitungsbericht über die damalige
Verhandlung hätte. Wenn Sie sonst etwas erwidern wollen, bitte ich Sie, mir zu
depeschieren, wann ich das Manuscript erhalte; die ‚Fackel‘ würde Mittwochder 23.5.1906; die nächste Nummer der „Fackel“ erschien am 31.5.1906 und enthielt keinen Beitrag von Wedekind, dafür aber von Karl Kraus kommentiertes dokumentarisches Material im Zusammenhang der Nachtlicht-Affäre [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 26-28]. erscheinen, und ich müßte bis Montag Abend –
womöglich express (Eilbote) – den Brief haben. Es
thut mir furchtbar leid, daß Sie durch die Hilfe, für die ich Ihnen so sehr
dankbar bin, sich Unannehmlichkeiten zuziehen. Aber ich glaube, daß Sie mit
einem Satz – wenn Sie’s überhaupt für nöthig halten – dem Herrn Achille die
Illusion des Ehrenmannes und Vermittlers zwischen „zwei großen NationenZitat aus der Beilage („beider großen Nationen“).“
zerstören werden. Sollte nicht auch Achille
| Vaucheret ein PseudonymMarc Henry war das Pseudonym von Achille Georges d’Ailly Vaucheret (geboren: Achille Georges Thuret), der es als Bühnenname für die Elf Scharfrichter und nun für das Nachtlicht benutzte. Karl Kraus „bezieht sich auf Marc Henrys Angaben zu seiner Herkunft“ [Nottscheid 2008, S. 176] in der Beilage, die er anzweifelte, die aber zutreffend waren. sein? Es geht das Gerücht, daß der „deutsch-französischeZitatversatzstück aus der Beilage, die auf die zweisprachige Zeitschrift „La Revue franco-allemande / Deutsch-französische Rundschau“ verweist, die Marc Henry 1899 bis 1901 mitherausgegeben hat.“
Schriftsteller als FlaschenzieherFlaschenöffner, hier: jemand, der Flaschen öffnet. eines Hotels und in Algier anders
geheißen hat. Was den Proceß betrifft, so hat der Herr eine doppelte Taktik.
Den Preßleuten – d.h. den vom „N. W. Journal“ – gegenüber renommiert er damit, daß er mich
„gezüchtigtZitat aus Titelformulierungen in Veröffentlichungen des „Neuen Wiener Journals“ über die Nachtlicht-Affäre [vgl. Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3; Karl Kraus von Mr. Henry – gezüchtigt. Die Darstellung des Geohrfeigten. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4510, 14.5.1906, S. 2].“ hat. Bei Gericht ist er der arme Waisenknabe, der von nichts weiß.
Er war „ganz betrunkenZitat nicht nachgewiesen. Marc Henry war nach eigener Aussage in jener Nacht im Casino de Paris „in Champagnerlaune“ [Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3]. Franz Thurner, der Besitzer des Casino de Paris, sagte dann am 25.5.1906 im Prozess aus, „daß Henry infolge Champagnergenusses etwas angetrunken“ war, während Erich Mühsam in seiner Zeugenaussage erklärte, „daß seiner Ansicht nach Henry nicht betrunken war“ [Beilage zu Karl Kraus an Wedekind, 27.5.1906] war.“, habe/t/ nicht das Geringste gegen mich; er weiß
nicht mehr, wie das alles gekommen ist. Wahrscheinlich habe ich ihn zuerst geschlagen, und Delvard hat mir überhaupt
nichts gethan!!! Kurzum: er hat nichts gethan und auch das im
Zustand der Volltrunkenheit. Die Wiener Presse ist dem Herrn jetzt sehr
aufsässig: er hat es als der erste nach 7 Jahrenzurückgerechnet 1899, das Gründungsjahr der „Fackel“, deren erstes Heft Anfang April 1899 erschien. bewirkt, daß die
Presse in einer Sache für mich sein muß. Natürlich mit Ausnahme des
allgemein verachteten N. W. Journals.
Bezüglich des „Totentanz“ erwarte ich stündlich die Censur-Entscheidung„Totentanz“ wurde von der Wiener Zensur nicht freigegeben, worauf Karl Kraus aber stark gehofft hatte. Erich Mühsam rechnete fest damit, wie er Karl Kraus am 13.5.1906 schrieb: „Lassen Sie mich bitte zur Aufführung des ‚Totentanz‘ schon in Wien sein.“ [Jungblut 1984, S. 63] In der Presse war gemeldet: „Die Direktion des Bürgertheaters hat Frank Wedekinds drei Szenen ‚Totentanz‘ der Zensurbehörde überreicht. Eine öffentliche Aufführung des interessanten Werkes wird Ende Mai, eventuell anfangs Juni im Bürgertheater stattfinden. Die vom Dichter selbst vorgeschlagene Besetzung ist folgende: Don Marquis Casti Piani – Frank Wedekind, Fräulein Elfriede v. Malchus – Adele Sandrock, Herr König – Karl Kraus, Lisiska – Tilly Wedekind.“ [Illustrierte Kronen-Zeitung, Jg. 7, Nr. 2281, 8.5.1906, S. 11]. Jedenfalls – in irgendeiner Form – hoffe
ich’s herauszubringen. Wäre die Sandrock bereit, nach Wien zu kommen? Gleich
nach dem Proceß gehe ich an die Arbeit.
Wie geht es Ihnen und Ihrer lieben Frau?
Mit allerherzlichsten Grüßen
Ihr treuerg.
Kraus
Verzeihen Sie die Hast, aber meine Nerven sind caput!
[Seite 4 oben rechts,
um 90 Grad gedreht:]
Beutler schreibt mirHinweis auf einen Brief Margarete Beutlers an Karl Kraus, der nicht überliefert ist., daß alle Münchner
Leute empört sind. Ludwig Scharf schriebHinweis auf einen Brief Ludwig Scharfs an Karl Kraus, der nicht überliefert ist. in diesem Sinne.
[Beilage:]
Mr. Henry und Frank Wedekind.
Eine Zuschrift.
Sehr geehrte Redaktiondes „Neuen Wiener Journals“, dem der Zeitungsausschnitt entstammt [vgl. Mr. Henry und Frank Wedekind. Eine Zuschrift. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4515, 19.5.1906, S. 4].! In dem Skandalblättchen des Herrn Kraus ist letztens ein offener Brief erschienenWedekinds offener Brief vom 9.5.1906 an Karl Kraus, erschienen in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23f.]., der
geeignet ist, den Ruf und die Ehre zweier Künstler umsomehr zu schädigen, als
dessen Absender Frank Wedekind
in Wien lediglich als namhafter Schriftsteller,
aber nicht als Mensch bekannt ist. Ich habe sofort die nötigen gerichtlichen
Schritte gegen den Verfasser des Briefes und seinen Mithelfer unternommen, die Justiz
ist aber langsamvon Karl Kraus unterstrichen und am Rand mit einem Ausrufungszeichen („!“) versehen. und als in der Oeffentlichkeit stehende Personen können
wir solche Verdächtigungen nicht lange auf uns ruhen lassen.
Ich sehe mich daher veranlaßt, schon jetzt folgendes zu
erklären:
1. Unwahr und verleumderisch ist, daß ich mit meinem Namen
„auf gespanntem FußeZitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „auf so gespanntem Fuß steht“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906].“ lebe. Als HerausgeberMarc Henry war von 1899 bis 1901 Mitherausgeber der zweisprachigen Zeitschrift „La Revue franco-allemande / Deutsch-französische Rundschau“ (München und Paris), die sich dem deutsch-französischen Kulturaustausch verpflichtet sah. der „Deutsch-französischen
Rundschau“, einer Zeitschrift, die die geistige„geistige“ bis „verfolgte“ von Karl Kraus unterstrichen. und politische Annäherung
beider großen Nationen mit Unterstützung der höchsten Gesellschaftskreise
verfolgte sowie als Gründer und LeiterIn den Anzeigen des „Cabaret ‚Nachtlicht‘“ ist in dieser Form auf Marc Henry verwiesen: „Künstlerische Leitung: Mr. Henry, Gründer und Leiter der Eilf Scharfrichter.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4506, 10.5.1906, S. 13] der „Elf Scharfrichter“ habe ich
kein Hehl daraus gemacht, daß ich mich eines Pseudonyms bediene, und dies
lediglich, weil mein Familienname für die Oeffentlichkeit in Deutschland zu
fremdartig und schwer auszusprechen ist. Für die Neugierigen, die sich vonungefähr von „die sich von der Wahrheit“ bis „überzeugen wollen“ von Karl Kraus am Rand doppelt angestrichen. der
Wahrheit meiner Behauptung und der Makellosigkeit meines Lebens überzeugen
wollen, gebe ich hiemit meine GeneralienPersonalien. kund: Achille Georges d’Ailly-Vaucheret, in Parisvon Karl Kraus unterstrichen. 1873
geboren, katholisch, Schriftsteller von Beruf, Chansonnier aus Zufall,
Conferencier aus Notwendigkeit.
2. Unwahr istungefähr von „Unwahr ist“ bis „verurteilt worden“ von Karl Kraus am Rand doppelt angestrichen., daß Marya Delvard in irgend einer Weise von irgend einem Gericht wegen irgend einer Verleumdung
verurteilt worden ist. Wahr ist dagegen, daß Frank Wedekind durch unerhörte
Indiskretion versucht hat, uns beide in einen Prozeß zu verwickeln, was ihm
aber nicht gelang.
Meinen „unqualifizierbaren“ CharakterZitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „seinen unqualifizierbaren Charakter“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906]., den Frank Wedekind
für unerträglich hält, hat er drei, respektive acht Jahre lang stillschweigend
und freundlich ertragen. Der liebe Freund sandte uns noch vor einigen Wochen
die herzlichsten Grüße auf offener Postkartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Marc Henry und Marya Delvard, 6.1.1906. – Die Postkarte dürfte mit Blick auf das am 5.1.1906 in Wien eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht geschrieben worden sein, das Marc Henry leitete und dessen Star seine Lebensgefährtin Marya Delvard war.. Heute beschimpft er uns. Keiner
kann etwas anderes von einem Menschen erwarten, der unzähligemale vertrags- und
wortbrüchig war und sich fast alle seine Münchener Freunde zu Feinden gemacht
hat.
Die zwischen uns vorhandenen „geschäftlichen Beziehungenfreies Zitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „geschäftlichen Verkehr“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906].“
die Herr Wedekind mit Recht nur flüchtig erwähnt, bestehen lediglich
aus 100 Mark und zwei Ohrfeigen, die ich ihmgegeben, und die er
mir nie zurückgegeben hat.
Dieses Geständnis muß nicht zu der Annahme führen, ich wäre
ein geborener Raufbold. In meinem ganzen Leben (die Gymnasialjahre zähle ich
nicht) habe ich nur zwei Menschen ins Gesicht geschlagen: Frank Wedekind und
Karl Kraus. Darum sind Sie wahrscheinlich heute „Mitarbeiter“ geworden.
Wer weiß, ob Frank Wedekind, wenn wir uns demnächst in
München oder Berlin treffen, mich nicht bescheiden und verlegen fragen wird,
wie er einst einen von ihm schwer beleidigten Freund fragte: „Bist du mir
böse?“ Ich werde ihm dann, wie damals jener antworten: „Böse? Warum? Dir kann
man nicht böse sein; du hast viel zu viel Talent; du bist ein rassiger Hund,
man muß dir nur nicht zu nahe kommen, nicht weil du beißen
könntest, sondern weil du Flöhe hast!“
Mit bestem Danke für die Veröffentlichung
hochachtungsvollst
Mr. Henry.