Kennung: 4374

Paris, 31. Mai 1893 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Armin (Hami)

Inhalt

Paris, 4. rue Crébillon, 31.V.1893.


Lieber Bruder,

ich habe mir noch einen neuen Anzug machen lassen und was dazu gehört und möchte Dich bitten, mir doch noch Frs. 300 schickenSeit dem Verkauf von Schloss Lenzburg im März 1893 war Armin Wedekind erneut Ansprechpartner für die Auszahlung von Frank Wedekinds Erbteil. Den Rest seines Anteils aus dem Geldvermögen des Vaters hatte er zu Beginn des Paris-Aufenthalts erhalten. zu wollen.

Ich hatte sehr gehofft, Dich in diesen letzten Tagen noch hier zuhabenrecte: zu haben., indem Dir jetzt doch wol nichts im Wege steht, Dich auch einmal auszuspannen. Nun freue ich mich um so mehr, Dich zu Hause wieder zu sehenWedekind plante für Ende Juni einen Besuch in Lenzburg und Zürich [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.5.1893].. Eventuell kommst du dann auf der RückreiseWedekind reiste am 4.9.1893 zurück nach Paris [vgl. Tb]. mit.

Vor einigen Tagen lernte ich hier meine UebersetzerinDie Schriftstellerin und Übersetzerin Emmy de Némethy (Pseudonym; Jean de Néthy) hatte mit der Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ ins Französische begonnen – ein Projekt, das Otto Julius Bierbaum angeregt hatte [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 17.3.1893], das aber unabgeschlossen blieb. Zwischen Emmy de Némethy und Wedekind entwickelte sich ein enges Verhältnis, er besuchte sie nicht nur im Rahmen seiner Schweizerreise in Bregenz [vgl. Tb, 5.9.1893], sondern erwog sogar, sie zu heiraten, wie er am 21.1.1894 im Tagebuch notierte: „nehme eine Droschke und fahre zur Nemethy. Ich bleibe bis nach Mitternacht bei ihr. […] Ich habe noch keinen so angenehmen Abend mit ihr verlebt. Wir sprechen über die verschiedensten Dinge und ich komme zu der Überzeugung daß sie ein hülfloses Kind ist und von allen Seiten ausgebeutet und gemißbraucht wird. Wie ich sie verlasse, trage ich mich, wie seinerzeit Strindberg mit dem Gedanken, sie zu heiraten.“ kennen, eine noch junge Dame aus dem höchsten Ungarischen AdelEmmy de Némethys Mutter war eine geborene Gräfin von Schärffenberg, stammte also aus krainisch-österreichischem, nicht ungarischem Adel., die Nichte des Grafen AuersbergEmmy de Némethys Großonkel war Graf Anton Alexander von Auersperg, bekannt als Schriftsteller unter dem Pseudonym Anastasius Grün, dessen Werke sie ins Französische übersetzte.. Sie war bis vor wenigen Wochen in Deutschland. Mein Buch wird hier in der Revue des Revuesseit 1890 in Paris (Rue le Peletier 7) erscheinende Zeitschrift unter Leitung von Jean Finot, die Artikel aus anderen französischen und ausländischen Zeitschriften publizierte. und nachher als Buch erscheinen. Ich freue mich insofern sehr darauf, als mir das den Aufenthalt in Paris für die Zukunft unvergleichlich ergiebiger und angenehmer machen wird. – Vor einigen Tagen sind G. Hauptmanns Weber hier mit glänzendem Erfolg über die Bretter des Théâtre libreDer von André Antoine 1887 gegründete Theaterverein Théâtre libre (Vorbild der Freien Bühne Berlin) veranstaltete in Paris Aufführungen aktueller, vorwiegend sozialkritischer Stücke. Gerhart Hauptmanns naturalistisches Drama „Die Weber“ (1892) wurde in Jean Thorels Übersetzung „Les Tisserands“ am 29.5.1893 im Théâtre des Menus-Plaisirs (Boulevard de Strasbourg 14) aufgeführt. Die Presse schrieb: „On l’a furieusement applaudi, comme tout le reste, d’ailleurs peut-être avec ce sentiment égoïste et ‚chauvin‘ que les malheureux que nous dépeignait M. Hauptmann étaient... de l'autre côté de la frontière. […] Les Tisserands ont été fort bien joués par l’excellente troupe de M. Antoine. […] Cette fois encore, on a pu voir qu’Antoine était un maître incontestable en l’art de faire mouvoir ses gens.“ [Le monde artiste, Jg. 33, Nr. 23, 4.6.1893, S. 403] gegangen. Es ist das ein hochachtbares Zeugnis für den feinen Geschmack und die Aufrichtigkeit der Pariser, denn das Stück ist so philiströsengstirnig, spießig. wie möglich und will nach den strengsten Gesetzen des Realismus gewürdigt werden. Weiteres werden wir uns hoffentlich bald mündlich erzählen können. Vergiß bitte die Sendung – möglichst umgehend – nicht und nimm im voraus meinen Dank nebst den herzlichsten Grüßen an Emma und Dich von Deinem treuen Bruder
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Als Empfangsort wird Armin Wedekinds Wohnort angenommen.

  • Schreibort

    Paris
    31. Mai 1893 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Paris
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Zürich
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
259
Briefnummer:
104
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Armin (Hami) Wedekind, 31.5.1893. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

11.09.2023 17:17