München 16. Januar 1918.
Meine liebe Tilly!
Wie gerne würde ich „Geliebte“ schreiben, aber es paßt nicht
zum Inhalt dieser Zeilen. Gestern Abend fragte ich Prof. KutscherWedekind erkundigte sich am 15.1.1918 bei Artur Kutscher, wie 1913 dessen Scheidung von seiner ersten Ehefrau Gertrud Kutscher (geb. Schaper) einvernehmlich geregelt worden sei., wie er sich
seinerzeit geeinigt habe. Er sagte, er sei mit seiner Frau zu Rosenthalzu dem Rechtsanwalt Dr. jur. Wilhelm Rosenthal (Leopoldstraße 34), Kanzlei: Sonnenstraße 3 (2. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 607], so auch schon 1913 [vgl. Adreßbuch für München 1914, Teil I, S. 563], dem langjährigen 1. Vorsitzenden des Neuen Vereins; er hatte auch Wedekind in verschiedenen Angelegenheiten schon juristisch beraten, etwa die Unterhaltszahlungen für seinen Sohn Friedrich Strindberg betreffend (siehe Wedekinds Korrespondenz 1907/08 mit Wilhelm Rosenthal).
gegangen, die Erledigung habe drei Monate in Anspruch genommen. Er riet mir
nicht unbedingt zu Rosenthal zu gehen, da vielleicht eine raschere Erledigung
möglich wäre. | So ging ich heute zu Siegfried AdlerWedekind ging am 16.1.1918 zu dem Münchner Rechtsanwalt Siegfried Adler (Habsburgerstraße 10), Kanzlei: Briennerstraße 55 (2. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 3], der ihn drei Jahre zuvor bei Streitigkeiten mit seinem Verleger Georg Müller vertreten hatte – so notierte er am 9.12.1915 „Besuch bei Dr. Adler wegen Müller“ [Tb] und der Verleger bestätigte das Mandat [vgl. Georg Müller an Wedekind, 11.12.1915]., Briennerstraße 55
(Pössenbacherhaus) der meine Angelegenheiten mit Georg Müller geordnet und
setzte ihm unsere Lage, so gut ich es vermochte auseinander. Adler hielt es für
das richtige, daß wir sobald als möglich zusammen zu ihm kämen, oder, was
besser wäre, daß Du zuerst allein zu ihm kämst. Er hoffe die Sache innerhalb von
zehn Tagen vollständig zu Ende führen zu können. Da ich nun
meiner Gesundheit wegen allerdings möglichst bald in die Schweiz zurückkehren„Nach der zunächst erwarteten Scheidung plante Wedekind wegen der nicht abgeheilten Wunde seines Anfang 1917 operierten Bruchs, sich in der friedlichen Schweiz wie schon im Sommer 1917 ärztlich behandeln zu lassen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 369]
würde, | wäre mir eine solche Beschleunigung allerdings wertvoll.
Ich gebe Dir das Versprechen, liebe Tilly, nun bis Du selber
Dich der Sache annehmen kannst, weder mit Adler noch mit sonst jemanden weiter
über unsere Angelegenheiten zu sprechen.
Mit den herzlichsten Wünschen für Deine baldige Erholung und
herzlichen Grüßen
Dein
Frank.