Kennung: 4187

München, 11. Dezember 1917 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

München 11. Dezember 1917.


Innigst geliebte Tilly!

Zu meiner großen Freude berichtet die Schwester heute aus der Anstalt daß es Dir besser geht und daß der Magen anfängt, die Nahrung zu behalten. Aber nun iß auch alles was Du vertragen kannst, damit Du recht bald wieder zu | Kräften kommst. Und wenn Du gesund bist, sollst Du es so gut habenWedekind dürfte seiner Frau, die eine Scheidung wünschte, bei seinem Besuch bei ihr am 10.12.1917 Versprechungen wie im vorliegenden Brief gemacht haben: „Nach Tisch mit Martha zu Tilly. Ich theile ihr den Beschluß mit.“ [Tb] Der Beschluss wurde am 9.12.1917 bei Anna Langheinrich (geb. von Seidlitz) gefasst: „Abends bei Frau Langheinrich. Beschluß sie soll Theater spielen ohne Scheidung.“ [Tb], daß Du Dich über nichts mehr beklagen kannst. Du kannst Dich künstlerisch ganz freiTilly Wedekind schrieb Adele Sandrock dazu am 19.1.1918: „Frank hat mir zwar als es mir sehr schlecht gieng, schriftlich versichert ich könne künstlerisch selbständig sein ohne dass wir uns zu trennen brauchen u. es solle jetzt anders werden. Aber er hielte das ja nicht aus, ich kenne ihn. Trotz seines lieben Briefes hat er allen Leuten erzählt, wie er unter meinen ewigen Selbstmordgedanken gelitten u. er wurde auch von Vielen sehr bedauert.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 370] aus lebenSchreibversehen, statt: ausleben., ohne daß wir aus einander gehn. Das verspreche ich Dir.

Der Heimweg gesternam 10.12.1917 der Weg von der Klinik in die Prinzregentenstraße 50. Wedekind, der am 8.12.1917 abends von Zürich zurück in München war, hat seine Frau dem Tagebuch zufolge gemeinsam mit seiner Schwägerin am 9.12.1917 („Nachmittag mit Martha bei Tilly in Neu-Friedenheim“) und 10.12.1917 („Nach Tisch mit Martha zu Tilly“) in der Kuranstalt Neufriedenheim (siehe unten) besucht. von Neufriedenheim war sehr beschwerlichWedekind, der durch seine nach der letzten Bruchoperation nicht geheilte Wunde Beschwerden hatte, notierte gleichwohl über den Heimweg nach dem Besuch am 10.12.1917 bei seiner Frau: „Beschwerliche aber muntere Rückfahrt.“ [Tb] und ich brauchte dringend einige Tage Ruhe, werde Dir | aber in der Zwischenzeit um so öfter schreiben. Gestern Abend aß ich mit den KindernWedekind notierte am 10.12.1917: „Abendessen mit den Kindern.“ [Tb] zu Nacht, dann unterhielten wir uns noch nin meinem Zimmer. Ich ging dann noch auf eine Stunde aus, traf aber keine BekanntenWedekind notierte am 10.12.1917: „Allein Pfälzer Weinstube Torggelstube.“ [Tb] Bekannte traf er dem Tagebuch zufolge wieder am 11.12.1917 („Abends zum Thee mit Heinrich Mann bei Friedenthal“) und 12.12.1917 („Nachmittags zum Thee bei Martens bei Friedenthal [...]. Abends mit Waldemar Bonsels und Herrn Günter in der T.St.“) – danach finden sich zwischen dem 13.12.1917 und 15.2.1918 keine Tagebucheinträge, Begegnungen Wedekinds sind aber anderweitig dokumentiert. So notierte Wilhelm Herzog am 27.12.1917: „Tilly Wedekind hat sich vergiftet. Liegt im Sanatorium. Er, W., tritt selbst den Klatschgerüchten entgegen.“ [Tb Herzog].

Die net/u/en Lampen finde ich sehr schön. Tu jetzt nur alles damit Du rasch gesund wirst. Dann kann wirklich ein neues | und froheres Leben zwischen uns beginnen, weil Dir dann von dem was Dir das Leben schön und wertvoll macht nichts mehr fehlen soll.

Auf baldiges Wiedersehn, geliebte Tilly. Die Kinder lassen Dich herzlich grüßen.

Mit innigem Kuß
Dein
Frank.


[Kuvert:]


I.H.
Frau Tilly Wedekind
Kuranstalt Neufriedenheimdie von dem Hofrat Dr. Ernst Rehm geleitete Kuranstalt Neufriedenheim im Münchner Stadtteil Laim (Fürstenriederstraße 155) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 576], eine private Nervenheilanstalt, in der Tilly Wedekind sich von ihrem Suizidversuch vom 30.11.1917 erholte.
bei Laim
München

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 18 cm. Kuvert. 14 x 9 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 15 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel München: „4 – 5 N“ (= 16 bis 17 Uhr).

Erstdruck

Werke in drei Bänden. Band 3: Prosa. Erzählungen, Aufsätze, Selbstzeugnisse, Briefe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Manfred Hahn
Verlag:
Berlin: Aufbau-Verlag
Jahrgang:
1969
Seitenangabe:
642
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 483-484 (Nr. 733).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.12.1917. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

12.03.2023 13:37