T. W.
München,
Freitag. 16. Nov. 17
Geliebter Frank,
leider habe ich noch keine weitere Nachricht von Dir als das
Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.11.1917. u. die Karte vom 8.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 8.11.1917. Ich habe Dir 3 Kartenbriefedrei Briefkarten [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 5.11.1917, 7.11.1917 und 8.11.1917]. u. 2 – 3 Postkartenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 9.11.1917, 11.11.1917 und 13.11.1917.
geschrieben. Vorgestern schrieben Dir die KinderHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela und Kadidja Wedekind an Frank Wedekind, 14.11.1917..
Ich hoffe es geht Dir gut Geliebter. Ich nehme an, dass Du
viel Arbeit hast mit den Proben zu „Wetterstein“, auch braucht die Post wohl
sehr lang. Hast Du Deinen Pass verlängernWedekinds Passvisum für die Schweiz war noch nicht verlängert worden [vgl. Wedekind an Polizeidirektion München, 21.11.1917]. lassen? Und bis wann? Wann ist die
Premiere von Wetterstein„Schloß Wetterstein“ wurde am 15.11.1917 im Pfauentheater in Zürich uraufgeführt.„Schloß Wetterstein“ wurde am 15.11.1917 im Pfauentheater in Zürich uraufgeführt.? Von „Herakles“ Vorlesung las ich glänzende KritikenWedekinds „Herakles“-Lesung am 5.11.1917 im Lesezirkel Hottingen ist in der Presse gut besprochen worden [vgl. KSA 8, S. 926f.].,
das muss | ein großer Erfolg gewesen sein!
Wir leben so still weiter, meine Briefe sind deshalb wohl
recht langweilig für Dich. Aber es geht uns gut u. wir fühlen uns wohl. Die
neue Köchinvermutlich Johanna Fuß [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.11.1917]. ist eine sehr nette Person u. ich
gehe ganz in meiner Wirtschaft auf. Ich stehe sehr früh auf, gehe dann mit ihr
einkaufen u. lerne bei ihr kochen. Unter der Bedingung, dass sie mir das Kochen
beibringt, habe ich sie aufgenommen. Gestern machte ich meinen ersten Kuchen,
einen Honigkuchen; er ist recht gut ausgefallen u. ich muss sagen es ist gar
nicht so schwer wie ich immer dachte. Dann hab’ ich viel eingekauft an
Vorräten, es giebtSchreibversehen, statt: gibt. wirklich viel mehr wie vergangenes Jahr. |
Ich schrieb Dir glaub ich schon, dass ich mit Marthl im
WintermärchenTilly Wedekind und ihre Schwester Martha Müller (geb. Newes) besuchten am 13.11.1917 die Vorstellung von William Shakespeares Schauspiel „Das Wintermärchen“ (1623) in den Münchner Kammerspielen: „Ein Wintermärchen / Schauspiel in 5 Akten von Shakespeare / Musik von Hermann Silcher“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 70, Nr. 574, 13.11.1917, General-Anzeiger, S. 2]. war. Die Aufführung hat mir sehr gefallen. Am Mittwoch war ich
mit der B.
Wedell in einer AufführungDer Münchner Schauspieler und Rezitator Max Gümbel-Seiling, eigentlich Maximilian Gümbel, genannt Seiling (Herzogstraße 28) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 233], inszenierte am 14.11.1917 im Hotel Vier Jahreszeiten (Maximilianstraße 4) seine biblisch inspirierten Stücke „Seth“ und „Das Buch Ruth“ (siehe oben); die Presse urteilte über die Aufführung: „Im Saale der ‚Vier Jahreszeiten‘ wurden unter der Leitung und in einer Einrichtung Max Gümbel-Seilings aufgeführt ‚Seth, die goldene Legende der Verheißung‘ und ‚Das Buch Ruth‘. Man hatte eine Art Mysterienbühne aufgestellt, und was sich nun hier begab, war der reine Dilettantismus. An diesem Eindruck wird auch nichts geändert durch manche Bildwirkung, das klare Spiel der Harfe und dem Eifer, mit dem die Mitwirkenden ihren Aufgaben gerecht zu werden versuchten.“ [E. Hr.: Geistliche Spiele. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 70, Nr. 590, 21.11.1917, Abend-Ausgabe, S. 2] von Herrn Gümbel-Seiling „Seth“Seth. Die goldene Legende der Verheißung. In szenischen Vorgängen ausgesprochen von Max Gümbel-Seiling. Leipzig 1918 (= Deutsche Volksspiele des Mittelalters. Bd. 4). u. das Buch „Ruth“Das Buch Ruth in Wort und Bild unter Hinzufügung biblischer Psalme zur Harfe eingerichtet von Max Gümbel-Seiling. Leipzig 1918 (= Deutsche Volksspiele des Mittelalters. Bd. 5).
in den vier Jahreszeiten. Es war teilweise sehr fein künstlerisch, aber
teilweise entsetzlich dilettantisch. Gestern abend war Fr. Prof. Dressler bei
mir zum Abendessen. Sie war verreist, darum hörte ich solange nichts von ihr.
Nach dem Essen hatte ich noch Fr. Albu, Fr. B.
Wedell u. die Nichte von Fr. Dressler, Frl. Hofmannnicht identifiziert; Nichte von Lotte Dreßler. zum Thee gebeten, teils um die
neuen Lampen einzuweihen, teils um meinen Kuchen vorzuführen. Es hatte Beides
großen Erfolg, so zwar dass die Damen die Elektrischedie Straßenbahn (Trambahn). versäumten u. zu Fuß |
heimgehen mussten.
Die Lampen sind schon wunderhübsch, sie machen mir
Riesenfreude. Du wirst es auch sehr gemütlich finden, wenn Du heimkommst.
Unsre letzte Köchin war ja die aus „Gespenstersonate“ die
das Fett abschöpftdie den Speisen die Kraft entzieht; über die riesige fette Köchin in August Strindbergs Kammerspiel „Die Gespenstersonate“ (1907) wird im Stück gesagt, „sie koche das Fleisch aus, gebe ihrer Herrschaft die Fasern mit Wasser, während sie selbst die Kraftbrühe trinke.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 359] Wedekind hat am 10.6.1917 mit seiner Frau in Zürich die Premiere der „Gespenstersonate“ [Tb] im Rahmen des Gastspiels von Max Reinhardt im Stadttheater besucht.. Die Kinder gedeihen jetzt wieder sehr gut, besonders da ich
jetzt täglich nachschaue u. nichts verloren geht.
Zu unsrer großen Freude ist Bertl von der Bank reclamiertfür sich beansprucht; die Bank, bei der Tilly Wedekinds Bruder Dagobert Newes tätig war, beanspruchte ihn für die Arbeit vor Ort, er war also „unabkömmlich gestellt vom Militärdienst.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 359] u.
zurück in Österreich.
Hast Du Jenny gesehen? Sie würde wohl sehr gern in die Vorstellung gehen, kannst Du ihr eine Karteeine Freikarte für die Inszenierung von „Schloß Wetterstein“ im Pfauentheater (siehe oben) – für Tilly Wedekinds Cousine Eugenie (Jenny) von Sadkowski, die zu Kriegsbeginn 1914 München verlassen musste und nun in Zürich lebte. geben? 6,
Kornhausstr. 26Unter dieser Adresse ist Eugenie von Sadkowskis Ehemann Stanislaus von Sadkowski verzeichnet (mit varianter Namensschreibung): „v. Saakowski-Dumtza, Stanisl., Kunstmaler, 6 Kornhausstrasse 26.“ [Adressbuch der Stadt Zürich für das Jahr 1918, Teil I, S. 480]Unter dieser Adresse ist Eugenie von Sadkowskis Ehemann Stanislaus von Sadkowski verzeichnet (mit varianter Namensschreibung): „v. Saakowski-Dumtza, Stanisl., Kunstmaler, 6 Kornhausstrasse 26.“ [Adressbuch der Stadt Zürich für das Jahr 1918, Teil I, S. 480]
Innigst umarmt u. küsst Dich,
Deine Tilly
Hoffentlich höre ich bald von Dir.