Riesbach, den
30.V.89.
Lieber Bruder!
Ich habe Alles durchsucht u konnte zu meinem
Leidwesen das betreffende Schriftstückein Staatsangehörigkeitsattest im Original [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.7.1889], das Frank Wedekind benötigte, um in Berlin bleiben zu dürfen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 26.5.1889]. nicht finden. Es ist mir sehr unangenehm
besonders deshalb, weil ich mir gar nicht denken kann auf welche Weise es
verschwunden ist, das Wahrscheinlichste ist immer noch daß es so gut „versorgt“(schweiz.) weggeräumt.
ward daß man es nicht mehr zu finden vermag. So wird nun das Beste sein wenn Du
Dich direct nach Lenzburg wendest, ich hoffe nur, daß es dort keine
Schwierigkeiten giebt.
Es freut mich zu | vernehmen, daß Dir das Leben
in Berlin viel Anregung bietet. Gewiß waren die letzten Tage besonders
Ereignißvolle. Dem Welti-Herzog-Paar lasse ich zur baldigen Ausführung ihres
schönen VorhabensEmilie Herzog und Heinrich Welti, mit denen Frank Wedekind befreundet war, heirateten im folgenden Jahr. gratuliren u meine speziellen Grüße entbieten. – Es würde mich
sehr freuen u interessiren, über die weiteren Erfolge Deiner Berliner
Thätigkeit, überhaupt Pläne u Vorhaben sowie deren Erfüllung etwas hören zu
können. Gewiß wären auch hiesige Blätter gerne bereit, hie u da ein Mal eine
Correspondenz aus der Kaiserstadtzeitgenössisch verbreitete Katachrese für Berlin., die mehr als die nüchternen Thatsachen
brächten z/a/ufzunehmen. Zwar | schien mir die Berliner Luft nie gerade
eine sehr witz- u Geist fördernde zu sein, doch mag ja ein genaueres Zusehen
dieses Vorurtheil widerlegen.
In Betreff der VermögenstheilungNach dem Tod des Vaters am 11.10.1888 verwaltete Armin Wedekind das Barvermögen des Erbes. Eine Ausbezahlung William Wedekinds wurde notwendig, da er mit seiner Frau im Herbst 1889 nach Südafrika auswanderte. mit Willy werde
ich Dir dann noch ein Schriftstück zukommen lassen, worin ich Dich ersuche Dein
Einverständniß damit zu bezeugen, da ich Dein u Mamas (als der andern
Geschwister Vormund) Einwilligung ja natürlich zu diesem Zwecke besitzen muß.
Darüber also später. Hier ist Alles beim Alten. Solltest Du einmal für das
ein übriges Geld haben, um das von Dir erwähnte Vorhaben auszuführen, so
wäre uns mit einem geschmackvollen Decorations|stück in unserm Salon, das man
gewiß in Berlin leichter als hier u vor Allem billiger erhalten kann wohl am
meisten gedient.
Wünschend, daß es Dir in Deinem neuen
Wirkungskreis gelinge eine angenehme u befriedigende Thätigkeit zu entfalten, u daß/b/ei das Viele, das ein solcher Aufenthalt
bietet, zu genießen, verbleibe
Dein treuer Bruder
Armin.