Graz,
10.III.17
Liebster, geliebter Frank,
soviel denke ich an Dich! Wie es Dir geht, wie es mit der
Verpflegung ist, wie der gestrige AbendWedekind hatte am 9.3.1917 seinen ersten Gastspielauftritt als Dr. Schön in der „Erdgeist“-Inszenierung am Theater in der Königgrätzer Straße in Berlin (Direktion: Carl Meinhard und Rudolf Bernauer); die Vorstellung begann um 19.30 Uhr [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 124, 9.3.1917, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)] war!
Wenn ich nur schon endlich Nachricht hätte. Von Anna„Anna Wölfel diente als Haus- und Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 334] Die Töchter Pamela und Kadidja Wedekind waren bei ihr in München. erhielt
ich gute Nachricht. Die Kinder sind wohl u. vergnügt.
Unserm Vater geht es Gottlob auch besser. Heute sagte der Arzt die Entzündungen„Eduard Newes überstand die Lungenentzündung.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 334] seien vorbei. Er meint,
bis übermorgen könne man beurteilen, ob es gut weitergeht u. das Herz aushält.
Dann wird er es | wohl überstehen.
Ich werde also bis übermorgen abwarten u. dann abreisen. Sehr
gern würde ich über Prag fahren um Karl’s u. Martha’s HeimHans Carl Müller war als Schauspieler zwar in München (Clemensstraße 34) an den Münchner Kammerspielen tätig [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1917, S. 504], wohnte zugleich aber offenbar mit Tilly Wedekinds Schwester Martha Newes in Prag (Karolinental, Riegerplatz 7), die als Schauspielerin am dortigen Deutschen Landestheater (Direktion: Heinrich Teweles) engagiert war [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1917, S. 530]; sie heirateten am 26.7.1917. kennen zu lernen. Da
ich nun schon mal in Österreich bin u. man nicht so leicht über die Grenze
kommt, hast Du wohl nichts dagegen wenn ich 2 – 3 Tage länger bleibe.
Diese Trennung wird hoffentlich für uns beide gut sein.
Natürlich hätte ich gern vorher Nachricht gehabt, wie es in Berlin ist u. wie Du
Dich fühlst. So lieb die Grazer Stadt ist, so geht einem dies zwecklose
Herumsitzen u. | überhaupt die „Familie“ bischen auf die Nerven. Es geht den
andern auch so.
Sobald man also sagen kann, dass Vater ausser unmittelbarer Gefahr
ist, wollen wir abreisen. Über Prag hätte ich übrigens Schnellzug Verbindung.
Ich bin den ganzen Tag nicht allein kann deshalb auch nicht vernünftig
schreiben. Und furchtbar abgespannt von dem allen.
Aber man lernt sein Daheim schätzen wenn man soviel Anderes sieht,
das ist auch ein Vorteil des Verreisens. Hoffentlich geht es Dir auch so. |
Ich werde versuchen im Caffee Berliner Zeitungen zu
bekommen, um über Dein Gastspiel zu lesen.
Hoffentlich fühlst Du Dich wohl Liebster, u. denkst nur mit halb
so herzlichen Gedanken an mich wie ich an Dich.
Sei umarmt u. geküsst Du mein einziger, geliebter Frank,
von Deiner Tilly