Liebster,
auf der Post hätten S/s/ie für’s nachsendenHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm: erschlossenes Korrespondenzstück: Großherzogliches Hof- und Nationaltheater Mannheim an Wedekind, 19.1.1916. – Das vorliegende Billet lag dem Telegramm bei, das Tilly Wedekind ihrem Mann nachsandte, der am 19.1.1916 nach Mannheim zu dem dort anstehenden Gastspiel gereist ist, bei dem am 22.1.1916 „König Nicolo“ gespielt wurde, wie im Tagebuch festgehalten ist („Generalprobe von Nicolo. Vorstellung von Nicolo“), und am 24.1.1916 „Erdgeist“ („Generalprobe von Erdgeist. Erdgeistvorstellung“), obwohl das Mannheimer Hoftheater zuerst telegrafiert hatte, „Erdgeist“ werde nicht gespielt [vgl. Großherzogliches Hof- und Nationaltheater Mannheim an Wedekind, 18.1.1916]. Das hier zur Debatte stehende Telegramm dürfte die Nachricht vom Vortag revidiert und mitgeteilt haben, „Erdgeist“ werde doch gespielt. Das erfuhr Wedekind auch vor Ort; er notierte am 19.1.1916: „Mittag begleitet mich Tilly zum Bahnhof. Fahre allein nach Mannheim. Parkhotel. Im Theater erfahre ich von Regisseur Weichert daß Erdgeist doch gespielt wird.“ [Tb] Richard Weichert, Regisseur am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheaters in Mannheim [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1916, S. 493], führte bei dem Gastspiel Wedekinds die Regie. 5 M. verlangt, nachdem sie’s geöffnet hatten u. die
Anzahl der Wortein dem Telegramm, das dem vorliegenden Billet beigelegt war (siehe oben). „Das Telegramm zeichnet sich aus durch Worttarif: Je kürzer, desto günstiger ist es.“ [Holzheid 2011, S. 102] sahen. So sende ich’s lieber Express. Ich freu’ mich sehr
darüberüber die nun doch angesetzte „Erdgeist“-Aufführung im Rahmen des Gastspiels am Mannheimer Hoftheater (siehe oben). Tilly Wedekind spielte die Lulu, Frank Wedekind den Dr. Schön – für beide fand die Presse lobende Worte. Sie gebe „die Lulu voraussetzungslos, dieses schöne, lauernde, triebhafte Tier, von erstarrender Monotonie seelischen Erlebens, spürsinnig, nachtwandlerisch sicher in ihrer Sinnlichkeit. Keine Gemeinheit, sondern Natur. [...] In eben dem Maß, wie diese Lulu animalisch, triebhaft gefaßt wird, vergeistigt sich der Dr. Schön in der Darstellung Wedekinds; er wird durchsichtiger. Der Gewaltmensch, der brutale Genießer und Verächter des Gegebenen, wirkt sich in ihm kaum physisch aus. Es ist die überragende geistige Schärfe und Kälte, das zu Ende Denken, was ihn die Wirklichkeit bezwingen läßt.“ [KSA 3/II, S. 1244; „Badische Neueste Nachrichten“, 25.1.1916] „Ihren Gatten im Spiel ergänzend, zeigte Tilly Wedekind ihre angenehme, nicht aufdringliche Kunst. [...] Die Lulu im ‚Erdgeist‘ stand dieser schlanken biegsamen Gestalt ausgezeichnet: sie war ganz das in unbewußter egoistischer Initiative handelnde Weib.“ [O.M.G.: Großh. Hof- und Nationaltheater Mannheim. In: Badische Landeszeitung, Jg. 75, Nr. 42, 26.1.1916, Abendblatt, S. (2)] Über ihn hieß es: „hier in der Tragödie vom Kampf der Geschlechter, vom vergeblichen Aufbäumen des Mannes gegen das dämonische, das animalische ins Geistige zerrende Tigerweib Lulu schöpfte der Dichter die letzten Reste menschlichen Fühlens und leidenden Genießens aus seinem Chefredakteur Doktor Schön“, ihr attestiert man „Leidenschaftlichkeit des Spieles“ und „Schlagkraft der Sprache“ [Rudolf Karl Goldschmit: Wedekind am Mannheimer Hoftheater. In: Karlsruher Tagblatt, Jg. 113, Nr. 26, 27.1.1916, 2. Blatt, S. 5].. |
Innigsten Kuss von Deiner Tilly
TILLY WEDEKIND