HOTEL
MADISON
48, RUE DES PETITS CHAMPS
(ANGLE DE L’AVENUE DE L’OPÉRA)
TÉLÉGRAMMES: MADISOTEL – PARIS
PARIS 8. Juli 1914.
Meine geliebte Tilly!
HerlichstenSchreibversehen, statt: Herzlichsten. Dank für Deine lieben KartenBriefkarten. und Briefe.
Inliegend die PostanweisungTilly Wedekind hatte ihrem Ehemann zum Unterschreiben ein Postanweisungsformular geschickt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 5.7.1914]., die ich Dich bitte zu erheben. Ich habe mich sehr
gefreut daß Du in der Versammlung warst, ebenso über alles andere was Du mir
schreibst. Zum Schluß aber schreibst Du:Es folgt ein Satz, der ein Briefzitat ist [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1914]. Ich begreife nur nicht wie du Dich deswegen
mit Jemandem schießen müßtest. Weswegen? Weil ich als betrogener Ehemann
verspottet werde, oder, wie in Stuttgart | mit deinen früheren
LiebesgeschichtenAnspielung auf den Abend am 16.4.1914 mit Emil Gerhäuser im Stuttgarter Ratskeller: „Mit Tilly im RK. Gerhäuser kommt [...] und fragt mich nach Paul Eger“ [Tb]; als „Provokation“ fasste Wedekind diese Frage „in Anwesenheit Tillys auf deren ersten Liebhaber Paul Eger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] auf. aufgezogen werde. Wenn Du das nicht begreifst, liebe Tilly,
dann hat es keinen Zweck für mich nach München zurückzukommen. Zugleich mit Deinem letzten Brief erhielt ich den BerichtDie Zeitschrift „Zeit im Bild“ veröffentlichte unter einem Pseudonym einen Bericht mit einem großen Foto der Festgesellschaft über das vorgezogene Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag (24.7.1914) im Bayerischen Hof in München, in dem es heißt: „Einmal gab es auch Humor im Großen. Anlaß: Die Tafelkapelle. Jemand hatte seinen Toast [...] ausgebracht: Da intonierten die Musiker vergnügt und schäkerisch: ‚Ich bin der alte Menelaos‘. Das war alles.“ [Heribert: Wedekindbankett. In: Zeit im Bild. Moderne illustrierte Wochenschrift, Jg. 12, Nr. 27, 2.7.1914, S. 1395]. aus „Zeit
im Bild“ in dem der „Gute König MenelausNach den Reden auf dem Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München spielte die Kapelle aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“ das Couplet „Ich bin Menelaus der Gute“ [vgl. https://portal.dnb.de/audioplayer/do/show/1104280507]; „mitten in die Stimmung getragener Festlichkeit [...] spritzte das Offenbachsche Couplet: ‚Ich bin Menelaos der Gute – laus der Gute, laus der Gute...‘“ [Mühsam 2003, S. 180] Wedekind fasste es „als Anspielung auf Tillys angebliche Untreue auf und fühlte sich als betrogener Ehemann vor der Festgesellschaft verhöhnt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249]. Wedekind notierte am 24.6.1914: „50 Geburtstagsbankett Ich bin der König Menelaus der Gute“ [Tb].“ ausdrücklich erwähnt wird. Das
beweist, daß reichlich darüber gesprochen wird. Ich verwende aber den Ertrag
meines Lebens nicht darauf lächerlich zu
werden. Leider hast Du dafür nicht das geringste Gefühl und Verständnis. Ich
habe aber auch keine Lust mehr, Dir dieses Verständnis beizubringen.
Mit bestem Gruß
Dein Frank
Bitte, kein Telegramm!
[Kuvert:]
Allemagne
Madame Tilly Wedekind
Prinzregentenstrasse 50
München |
HOTEL
MADISON
48, RUE DES PETITS CHAMPS
(ANGLE DE L’AVENUE DE L’OPÉRA)
PARIS