[1. Briefentwurf:]
An die tit. Redaktion
des Berliner Tageblattes
Sehr geehrter HerrTheodor Wolff war Redakteur am „Berliner Tageblatt“ [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1907, Teil II, Sp.1766] – innoffiziell Chefredakteur (in Vertretung von Arthur Levysohn, der krank war).
Sie gaben in No 279Der redaktionelle Beitrag in dieser Nummer [vgl. KSA 5/III, S. 50] zu Wedekinds Gastspielpremiere am Kleinen Theater lautet: „Frank Wedekind, der Liebhaber der ‚Ausnahmsweisen‘ hat von jeher so etwas wie Ehrgeiz verspürt, sich möglichst oft auch als darstellerischer Interpret seiner Dichtungen der Menge zu zeigen. Es soll hier nicht kritisch untersucht werden, inwieweit sich in diesem Falle Unternehmungsgeist und Ausführungsvermögen decken – wir wollen uns mit der Konstatierung der Tatsache begnügen, daß sich der Dichter des ‚Erdgeist‘ und von ‚Frühlingserwachen‘ in zwei seiner kleineren Stücke wieder als sein eigener Darsteller vor dem Berliner Theaterpublikum zu Worte kommen lassen will. Wie uns das Bureau des Kleinen Theaters mitteilt, wird Frank Wedekind auf dieser Bühne am Montag, den 10. d. Mts. mit seiner Gattin, Frau Tilly-Newes-Wedekind, zuerst wieder auftreten, und zwar in dem Dialog ‚Rabbi Esra‘ und in der Komödie ‚Der Kammersänger‘, in der er zum ersten Male in Berlin selbst die Titelrolle spielen wird.“ [Frank Wedekind als Schauspieler. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 279, 5.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Ihres geehrten Blattes
Ihrem Befremden über mein Unterfangen Ausdruck, in der
TitelrolleWedekind spielte in der ungekürzten Inszenierung seines Einakters „Der Kammersänger“, der im Rahmen seines Gastspiels am Kleinen Theater in Berlin zusammen mit der Szene „Rabbi Esra“ am 10.6.1907 Premiere hatte, die Hauptrolle des Gerardo. meines Einakters „Der Kammersänger“ aufzutreten. Wollen Sie
mir daher gestatten darauf hinzuweisen, daß in allen bisher in Berlin
stattgefundenen Aufführungen dieses Stückes„Der Kammersänger“ hatte in Berlin nach der Uraufführung am 10.12.1899 im Rahmen der Eröffnungsmatinee der Sezessionsbühne am Neuen Theater eine weitere Premiere am 31.8.1901 im Residenztheater sowie am 30.9.1903 im Neuen Theater, eine Inszenierung, bei der Max Reinhardt eine zusammengestrichene Fassung präsentiert hatte, mit der Wedekind gar nicht einverstanden war [vgl. KSA 4, S. 393]. mindestens der dritte Theil der
Titelrolle gestrichen war. Ich möchte nun mit Ihrer Erlaubnis nur den
bescheidenen Versuch wagen, ob es nicht vielleicht möglich wäre, die Rolle
ungestrichen zu spielen.
Mit der Bitte den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochschätzung
entgegenzunehmen
ergebenst
Frank Wedekind
Berlin 5 Juni 1907.
Kurfürstenstraße 125.
[2. Druck im „Berliner Tageblatt“:]
Sie geben in Nummer 279 Ihres geehrten Blattes Ihrem
Befremden über mein Unterfangen Ausdruck, in der Titelrolle
meines Einakters „Der Kammersänger“ aufzutreten. Wollen Sie mir daher
gestatten, darauf hinzuweisen, daß in allen bisher in Berlin stattgefundenen
Aufführungen dieses Stückes mindestens der dritte Teil der Titelrolle
gestrichen war. Ich möchte nun nur den bescheidenen Versuch wagen, ob es nicht
vielleicht möglich wäre, die Rolle ungestrichen zu spielen.