T. W.
Donnerstag,
9.VII.14.
Geliebter Frank,
ich rannte heute wie eine Wahnsinnige den ganzen Tag in
meinem Zimmer herum u. schrieb einen 6 Seiten langen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 9.7.1914. an Dich, den ich
aber nicht abzuschicken wage.
Jetzt habe ich Deine beiden Briefedie beiden von Wedekind am 8.7.1914 an seine Frau geschriebenen Briefe.. Ich wage nicht mehr zu antworten
aus Angst vor Missverständnissen. |
Ich glaube alles u. begreife alles. Das schrieb ich ja auch
in einem meiner Briefe. Ausserdem muss ich Dich daran erinnern, dass ich die
Erste war, die die Sache in StuttgartAnspielung auf den Abend am 16.4.1914 mit Emil Gerhäuser im Stuttgarter Ratskeller: „Mit Tilly im RK. Gerhäuser kommt [...] und fragt mich nach Paul Eger“ [Tb]; als „Provokation“ fasste Wedekind diese Frage „in Anwesenheit Tillys auf deren ersten Liebhaber Paul Eger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] auf. für einen Racheact Gerhäuser’s hielt. Ich
sagte gleich als wir aus dem Ratskeller giengenSchreibversehen, statt: gingen., das war die Rache für das, was
ich in der ReginabarAnspielung auf den Abend am 22.8.1913 mit Emil und Ottilie Gerhäuser in der Regina-Bar im Regina-Palast-Hotel (Maximilianplatz 5) in München: „Mit Gerhäuser und Frau soupieren wir in der Reginabar“ [Tb]; dort „hatte Tilly sich zu einer Anspielung auf die eheliche Untreue von Emil Gerhäuser hinreißen lassen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] sagte. Du glaubtest erst nicht daran, u. Du
hieltest es für eine Schmeichelei. Ich sagte, er weiß schon was er mir
damit antut.
[am linken Rand, um 90
Grad gedreht:]
Ich wollte ihm noch sagen, nun seien wir quitt. |
II. Und nun noch Eines. Wie denkst Du Dir meine Abwehr besser?
Sage mir das um Gotteswillen!
Ich will nichts mehr hinzufügen, denn wer weiß ob Du nicht alles
für PhrasenBriefzitat [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 8.7.1914 (zweiter Brief)]. hältst. Ich werde Dir getreulich jeden Tag über die Kinder
berichten, solange es mir möglich.
Die Wohnung verlasse ich vorläufig nicht. Wer weiß, ob ich noch
lange das Bett verlassen kann. Ich fürchte, ich werde bald ganz zusammen | brechen
unter diesen Erlebnissen.
Von TanzenTilly Wedekind nahm Tanzunterricht (siehe ihre Korrespondenz mit Frank Wedekind seit dem 1.7.1914). kann leider vorläufig keine Rede sein, ich musste
die heute schon wegschickenden Tanzlehrer Karl Huber und dessen Tochter [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 3.7.1914 und 6.7.1914]..
Frank, glaubst Du nicht, dass eine mündliche Aussprache doch
besser wäre?
Den Kindern geht es Gottlob Beiden gut u. schicken sie Dir viele
Küsse.
In treuer Liebe,
Deine Tilly