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Le 3. Juli 1914Wedekind notierte am 3.7.1914: „Brief an Tilly“ [Tb]..
Meine geliebte Tilly!
Herzlichsten Dank für Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 29.6.1914.. Ich bin mir immer
noch sehr unklar. Am Fest zu meinem 50. Geburtstag in vollster Öffentlichkeit
die ärgste BeleidigungNach den Reden auf dem Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München wurde das Couplet „Ich bin Menelaus der Gute“ [vgl. https://portal.dnb.de/audioplayer/do/show/1104280507] (Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deutsche Übersetzung von Camillo Walzel und Julius Hopp) aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“ („La Belle Hélène“, 1864) gespielt, nach Wedekinds Tischrede, wie Erich Mühsam, einer der Gäste, sich erinnerte: „als Wedekind schloß, da lag doch eine nachdenkliche Ergriffenheit über der Gesellschaft und hätte vielleicht dem ganzen Abend den Charakter gegeben, wäre nicht eine bizarre Überraschung eingetreten, so jäh [...] und so komisch, daß der feierliche Ernst der Festteilnehmer urplötzlich in gewaltiges Gelächter umschlug. Als der Dichter [...] wieder Platz nahm, setzte das Orchester ein, und mitten in die Stimmung getragener Festlichkeit [...] spritzte das Offenbachsche Couplet: ‚Ich bin Menelaos der Gute – laus der Gute, laus der Gute...‘“ [Mühsam 2003, S. 180] Wedekind fasste es „als Anspielung auf Tillys angebliche Untreue auf und fühlte sich als betrogener Ehemann vor der Festgesellschaft verhöhnt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249]. Das Lied war „jedermann geläufig“, erinnerte sich Tilly Wedekind, und meinte: „Irgend jemand muß das arrangiert haben, jemand, dem bekannt war, daß Frank fürchtete, als alternder Ehemann einer jungen Frau lächerlich zu wirken.“ [Wedekind 1969, S. 162] Wedekind notierte am 24.6.1914: „50 Geburtstagsbankett Ich bin der König Menelaus der Gute“ [Tb]. die einem Mann gesagt werden kann. Aber ich werde nicht
mehr schimpfen. Ich habe in München viel zu viel geschimpft. Ich sehe keinerlei
Verpflichtung ein so ekelhafter Mensch zu werden wie man es durch solche
Erlebnisse werden muß. Ich habe heute übrigens die feste Überzeugung daß „Der
König Menelaus der Gute“ ebenso Gerhäusers
Regiekunst war wie die Paul Eger AngelegenheitAnspielung auf den Abend am 16.4.1914 mit Emil Gerhäuser im Stuttgarter Ratskeller: „Mit Tilly im RK. Gerhäuser kommt [...] und fragt mich nach Paul Eger“ [Tb]; als „Provokation“ fasste Wedekind diese Frage „in Anwesenheit Tillys auf deren ersten Liebhaber Paul Eger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] auf. in Stuttgart und die AbsageWedekinds von der Zensur verbotenes Stück „Schloß Wetterstein“ sollte durch den Neuen Verein im Rahmen der Feier am 24.6.1914 zu seinem 50. Geburtstag uraufgeführt werden [vgl. KSA 7/II, S. 948], woraus nichts wurde: „Das Festbankett, das gestern abend im Hotel Bayerischer Hof Frank Wedekind zu Ehren veranstaltet wurde, sollte ursprünglich in Verbindung mit einer Aufführung von ‚Schloß Wetterstein‘ stehen. Durch die späte Absage einer Künstlerin ließ sich leider die Aufführung nicht ermöglichen.“ [Vorfeier von Wedekinds 50. Geburtstag. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 321, 26.6.1914, Vorabendblatt, S. 3] Diese Künstlerin war „Frau Ottilie Gerhäuser“, die „wegen persönlicher Verhinderung ihre Zusage, in der Aufführung von ‚Schloß Wetterstein‘ [...] mitzuwirken, zurückgezogen“ habe. „Da ein Ersatz für die wichtige Rolle der Leonore bei der Kürze der Zeit [...] nicht möglich ist, sieht sich der Neue Verein zu seinem Bedauern, jedoch im vollsten Einverständnis mit dem Dichter und sämtlichen Mitwirkenden, gezwungen, [...] von der Aufführung abzusehen. Das Wedekind-Bankett wird hiervon in keiner Weise berührt.“ [Vom Neuen Verein. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 312, 21.6.1914, Vorabendblatt, S. 3]
seiner Frau in Schloß Wetterstein – alles die natürliche Rache dafür, daß du
seine Frau in der
ReginabarFrank und Tilly Wedekind waren am 22.8.1913 mit Emil und Ottilie Gerhäuser in der Regina-Bar im Regina-Palast-Hotel (Maximilianplatz 5) in München: „Mit Gerhäuser und Frau soupieren wir in der Reginabar“ [Tb]; dort „hatte Tilly sich zu einer Anspielung auf die eheliche Untreue von Emil Gerhäuser hinreißen lassen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] in München
gegen ihn aufgehezt aufgehetzt hast indem Du seine
Eheliche | Treue ge verdächtigtest. Sie
weiß ja woran sie ist, geht aber nicht in Gesellschaft um damit geärgert zu werden.
Ich lege hier einen Check über M. 675,–₰ bei und bitte Dich
ihn bei Schrödersbei der Vermieterin Amalie Schröder – ihr Gatte Wilhelm Schröder ist am 4.3.1913 verstorben; Eigentümer der Wohnung in der Prinzregentenstraße 50 waren seine „Erben“ [Adreßbuch für München 1914, Teil II, S. 499]. gegen Quittung abzugeben.
Bei meiner Ankunft gestern Abend fand ich Deine Briefe hier
vor. Weil ich aber selber absolut die Sachlage nicht kenne kann ich wenig
darauf antworten. Ich sehe auch noch nicht ein wie ich mir/t/ jemandem
über die Geschichte sprechen w/s/olle/t/n/e/. Dich würde
ich bitteSchreibversehen, statt: bitten. nicht etwa mit Deinen Freundinnen darüber zu sprechen sondern
höchstens mit Bertlmit dem Schwager Dagobert Newes, Tilly Wedekinds Bruder..
Die Fahrt von Florenz hierher war trotz der großen Hitze
ganz erträglich. Auf dem Bahnhof in Florenz traf ich Carl VollmöllerWedekind notierte am 1.7.1914 in Florenz die Begegnung mit dem Schriftsteller Karl Gustav Vollmoeller: „Mittags auf dem Bahnhof treffe ich Carl Volmöller fahre mit ihm bis Mailand.“ [Tb] der nach
Mailand fuhr. Heute ist er gleichfalls hier im Grand Hotel
und fährt morgen nach London, wo seine FrauMaria Carmi, Schauspielerin und Tänzerin, seit 1904 in erster Ehe mit Karl Gustav Vollmoeller verheiratet. in einer Panto|mimedas Ballett „Josephs Legende. Handlung in einem Aufzuge“ (Text: Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal) mit Musik von Richard Strauss, das nach der Uraufführung am 14.5.1914 in Paris am Theatre Royal Drury Lane in London zu sehen war.
von Richard Strauß auftritt
Eben versuchte ich Mati anzurufenWedekind notierte am 3.7.1914 in Paris: „Telephoniere mit Mati, fahre zu ihr hinaus“ [Tb]; seine Schwester Emilie (Mati) Wedekind, seit 1910 mit Eugène Perré verheiratet, wohnte mit ihrem Mann in Neuilly-sur-Seine in der Nähe von Paris. bekam aber keine
Verbindung Jetzt fahre ich vielleicht per Auto zuSchreibversehen, statt: zu ihr. hinaus.
Sonst weiß ich Dir nichts zu schreiben. Mit herzlichsten Grüßen
Dein
Frank.