Kennung: 3706

München, 27. Juni 1914 (Samstag), Briefkarte

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

T. W.


München, Samstag, 27.VI.14.


Mein geliebter Frank,

ein Tag wäre also vorüberTilly Wedekind hat den 27.6.1914 ohne ihren Mann in München verbracht, nachdem sie ihn am Abend zuvor verabschiedet hatte, wie Frank Wedekind am 26.6.1914 notierte: „Koffer gepackt Tilly begleitet mich auf den Bahnhof. Abfahrt nach Florenz.“ [Tb] Dem Kontobuch zufolge hat er die „Fahrkarten nach Florenz“ am 25.6.1914 gekauft, einen Tag nach dem vorgezogenen Bankett zu seinem 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München am 24.6.1914, das angesichts seiner krisenhaften Ehe einen für ihn irritierenden Verlauf genommen hat [vgl. Vinçon 2014, S. 252] und ihn zu der allein unternommenen Reise veranlasste.. Es ist nichts Besonderes zu berichten. Vormittag besorgte ich Einiges für die Kinder. Nachmittags tanzten die Törsleff KinderEs tanzten am 27.6.1914 in den Münchner Kammerspielen Gudrun, Rigmor und Svend Törsleff (6, 11 und 12 Jahre alt, Kinder von Maja und Lauritz Christian Törsleff), wie die Presse berichtete: „Eine Privat-Tanzaufführung der Geschwister Törsleff fand am Samstag nachmittag in den Münchner Kammerspielen statt, um den Gönnern und Freunden dieser talentierten Kinder wieder Proben ihrer Fortschritte zu geben. Man kennt das anmutige Geschwistertrio schon von anderen Vorführungen, wie von Einlagen in Theaterstücken, her. Aus dem Spiel der Kinderstube, aus dem Reigen zu dreien, hat sich nach und nach dank der Mithilfe erster Kräfte […] eine Virtuosität kindlicher Anmut, ein selbstverständlicher Ausdruck mimischen und rhythmischen Spiels entwickelt“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 327, 28.6.1914, General-Anzeiger, S. 3]. Pamela und Kadidja Wedekind hatten am 25.1.1914 eine solche Vorstellung besucht, wie ihr Vater notierte: „Die Kinder bei den Tänzen der Kinder Törsleff.“ [Tb] in den Kammerspielen. Ich wollte Anna Pamela mit AnnaAnna Wölfel, „das Münchner Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 125] schicken u. mit der Kleinen in den | engl. Garten gehen. Doch bat sie mich, mit ihr zu gehen, so giengen wir zusammen. Den Menschen ist nicht zu entgehen. Fr. Dr. Pariser wollte mich oder vielmehr uns für heute Abends einladen, Kaysler’s und Martens sind bei ihrErna Pariser hatte den Schauspieler Friedrich Kayßler und dessen zweite Ehefrau, die Schauspielerin Helene Fehdmer, beide bis 31.8.1914 am Berliner Lessingtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309], dann ab 1.9.1914 am Deutschen Künstlertheater in Berlin engagiert [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1915, S. 297], sowie Kurt Martens zu Gast., ich hatte natürlich absolut keine Lust. Dafür überließ ich ihren KindernErna Parisers Töchter Agnes Therese Pariser (gut 21 Jahre alt) und Hilde Pariser (fast zwölf Jahre alt); mit ihnen besuchten Tilly Wedekind und ihre Tochter Pamela Wedekind am 27.6.1914 die Tanzveranstaltung mit den Törsleff-Kindern (siehe oben), wie ein späterer Brief belegt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 29.6.1914 (Brief)]. Karten zu den Törsleff, ich hatte vier. Frau TörsleffMaja Törsleff, dänische Malerin, Tänzerin und Musikerin, wohnte wie ihr Mann Christian Törsleff (ebenfalls Däne), Hofopernsänger a.D. und Gesangslehrer, in München in der Königinstraße 2 [vgl. Adreßbuch für München 1914, Teil I, S. 115], war dort aber zum 6.6.1914 abgemeldet und ab 6.7.1914 in der Liebherrstraße 10 angemeldet [vgl. Einwohnermeldekarte Maja Törsleff, Stadtarchiv München]; unter dieser als Atelier ausgewiesenen Adresse Liebherrstraße 10 annoncierten ihr Mann und sie [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 345, 8.7.1914, General-Anzeiger, S. 2]. gab ich die 20 M.

Mit Anna Pamela trank ich Caffée im Hofgarten, jetzt haben BeideSchreibversehen, statt: beide. Kinder gebadet.

Meine Lebenslust ist noch nicht wieder gekommen. Ich bin auch noch zu müde. Ich wünsche Dir alles Gute.

[auf Seite 1 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

In treuer Liebe, Deine Tilly


[auf Seite 1 am oberen Rand:]

Küsse von den Kindern.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 14,5 x 9,5 cm. Mit aufgeprägtem Monogramm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat auf Seite 2 am linken Seitenrand eine Passage („Meine Lebenslust“ bis „alles Gute“) mit Bleistift angestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    27. Juni 1914 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Florenz
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
304-305
Briefnummer:
455
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 27.6.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 17:57