(München), 25.VI.1904.
Lieber Freund,
ich habe mit Marchlewski gesprochenWedekind hat mit dem Verleger Julian Marchlewski, in dessen Verlag Dr. J. Marchlewski & Co. in München (Franz Josephstraße 36) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 428] gerade sein Schauspiel „Hidalla“ erschienen ist, nachweislich zuletzt am 27.5.1904 gesprochen: „Besuch bei Marchlewski“ [Tb]., er sagt, Du möchtest ihm das Manuskript
schickendas Manuskript von Carl Rößlers noch ungedruckten Stück „Hinterm Zaun“ [vgl. Wedekind an Carl Rößler, 7.9.1904], das Wedekind seit langem kannte [Wedekind an Carl Rößler, 12.1.1901].. Ueber die Mk. 500 habe ich noch nichts gesagt, und zwar deshalb, weil
es gerade bei Marchlewski gar nicht ausgeschlossen ist, daß er sich in das
Stück verliebt. Wenn er es gelesen hat und, was ich kaum
bezweifle, es ihm gefällt, dann werde ich mit der geschäftlichen Frage kommen,
aber erst zuletzt, nachdem ich ihn eventuell noch möglichst angefeuert habe.
Ich freue mich sehr, daß Du unterm Omnibus hervorgekrochenZusammenhang nicht ermittelt; vermutlich eine Formulierung aus einem hier beantworteten nicht überlieferten Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Rößler an Wedekind, 24.6.1904. bist. Aber ist
Omnibus(lat.) für alle; „vielsitziger Lohnwagen“ im „Fuhrwesen“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 15. Leipzig 1906, S. 59]. nicht ein etwas hartes Wort? Willst Du meine besten ergebensten Grüße
an den „schönen edlen Menschennicht identifiziert; vermutlich Zitat aus dem nicht überlieferten Schreiben von Carl Rößler (siehe oben).“ gelangen lassen. Was mich betrifft,
so mache ich wacker TingeltangelWedekind trat – zuerst am 16.5.1904: „Auftreten bei den Tantenmördern“ [Tb] – bei den Sieben Tantenmördern auf, ein Kabarett unter der Leitung von Joseph Vallé, das am 31.1.1904 eröffnet worden ist [vgl. Künstler-Cabaret der 7 Tantenmörder. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 49, 31.1.1904, S. 4], ein Nachfolgeunternehmen der Elf Scharfrichter., bin für nächsten Winter auf einen ganzen
Monat nach Breslau engagirtWedekind hat den Vertrag für sein Gastspiel in Liebichs Etablissement in Breslau von Joseph Vallé, dem Direktor der Sieben Tantenmörder (siehe oben), am 5.6.1904 erhalten – „Contrakt von Valle für Breslau erhalten“ [Tb] – und am 6.6.1904 unterschrieben: „Contrakt abgeschlossen für Breslau September zu M. 3000“ [Tb]. Das Gastspiel fand erst später statt. Die Presse meldete: „Frank Wedekind ist zum Variété übergegangen und hat sich, einem Privat-Telegramm aus Breslau zufolge, der Direktion des dortigen Etablissements Liebich für ein vierwöchentliches Gastspiel verpflichtet.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 33, Nr. 546, 26.10.1904, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Es wurde mangels Erfolg nach sechs Vorstellungen abgebrochen und dauerte nur vom 1. bis 6.11.1904 [vgl. Tb]. und freue mich, dabei wieder dies und jenes
Excentrische zu erleben. Augenblicklich stehen wir im Zeichen „ReinhartSchreibversehen, statt: Reinhardt.“. Das
GastspielMax Reinhardts bei Publikum und Kritik erfolgreiches Gastspiel mit dem Ensemble des Berliner Kleinen Theaters am Münchner Volkstheater vom 17. bis 24.6.1904, in dessen Rahmen auch Wedekinds „Erdgeist“ gespielt wurde [vgl. Wedekind an Gertrud Eysoldt, 25.6.1904]. Wedekind besuchte dem Tagebuch zufolge die Gastspielpremiere mit Maxim Gorkis „Nachtasyl“ am 17.6.1904 („Abends Nachtasyl“), eine Vorstellung von Maurice Maeterlincks „Schwester Beatrix“ am 18.6.1904 („Abends Schwester Beatrix“), eine Matinee mit Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ am 23.6.1904 („Matinee v. Cabale u. Liebe“) und schließlich am 24.6.1904 die Inszenierung seines eigenen Stücks („Abends Erdgeist“). ist für München wirklich eine Erlabung, man begreift wieder, daß man
sich auch am Theater freuen kann. Heute Abend giebt Halbe der ganzen
Gesellschaft ein großes GelageMax Halbe notierte am 25.6.1904: „Vorbereitungen für die Gesellschaft heute Abend zu Ehren Reinhardts u. seiner Leute. [...] Von 10 Uhr ab Eintreffen der Gäste, darunter auch Wedekind, der später seine Balladen singt. Lustige Nacht, allgemeines Vergnügen.“ [Tb Halbe] Der Abend begann um 22 Uhr und dauerte die ganze Nacht hindurch, wie der Gastgeber am 26.6.1904 festhielt: „Ich komme erst um 7 Uhr früh in’s Bett.“ [Tb Halbe] Neben Wedekind haben sich an diesem Abend Max Reinhardt, Richard Vallentin, Eduard von Winterstein, Wilhelm Goldmann, Felix Hollaender, Hans Wassmann, Maria Blei, Annie Holm, Friedrich Kayßler, Max Langheinrich, Eduard von Keyserling, Emil Lind, August Weigert, Emmy Loewenfeld, Else Heims, Else Aram, Kurt Aram, Edgar Steiger, Hermann Popp und Centa Bré in Max Halbes Gästebuch eingetragen. Das Fest haben Max und Luise Halbe zum Abschluss des Berliner Gastspiels am Münchner Volkstheater (siehe oben) veranstaltet.. Ich werde auch hingehen, sobald ich im
Tingeltangel fertig binWedekind notierte am 25.6.1904 seinen Auftritt bei den Sieben Tantenmördern mit Honorar: „Tantenmörder M. 17.20“ [Tb]. Max Halbe zufolge kam Wedekind wie die anderen Gäste nach 22 Uhr zu dem ‚Gelage‘ (siehe oben) aus Anlass des Berliner Gastspiels von Max Reinhardt und seinem Ensemble.. Voraussichtlich wird man vor Morgen früh acht Uhr
nicht nach Hause kommen. Gertrud Eysoldt hat meiner Ansicht nach ungemein
gewonnenAnspielung auf die „Erdgeist“-Vorstellung des Berliner Gastspiels (siehe oben) am 24.6.1904, die Wedekind besucht hat. Gertrud Eysoldt spielte in der Berliner Inszenierung (Premiere: 17.12.1902) die Lulu – Wedekind hatte sie in der Rolle schon früher „großartig“ [Wedekind an Beate Heine, 18.3.1903] gefunden.. Leider wird sie von einem weiblichen Zerberusmehrköpfiger Höllenhund in der griechischen Mythologie, der den Eingang zur Unterwelt bewacht; Antonomasie auf die nicht identifizierte Dame, die Gertrud Eysoldt begleitete. geführt.
Herzliche Grüße an Ruthnicht identifiziert. Ruth heißt eine Figur in Carl Rößlers Tauerspiel „Der reiche Jüngling“ (1905), das im Jahr darauf im Insel-Verlag erschien.. Also schicke das Manuscript bald. Auf baldiges
Wiedersehen, mit besten Grüßen Dein
Frank.