Kennung: 3600

Lenzburg, 7. Juli 1913 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Lenzburg, 7.VII.13.


Innigst geliebter Frank,

vielen, vielen Dank für Deine liebe Karte vom 5.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 5.7.1913. Ich bin sehr froh, dass es Dir wieder gut geht und Du Dich wohl fühlst! Uns geht es auch sehr gut. Gestern war ein bewegter Tag. Zu Tisch Mama, Mieze, Eva, Lilly, Eva Wedekind, Anna Pamela u. ich. Vormittag kamen noch verschiedene Damen, die das Concert für KinderfürsorgeErika Wedekind gab zusammen mit dem Cellisten Emil Braun und dem Pianisten Josy Schlageter am 6.7.1913 in Lenzburg ein Wohltätigkeitskonzert: „Das von Frau Erika Wedekind, unter gefälliger Mitwirkung der Herren Cellisten Emil Braun und Joseph Schlageter (Basel), zugunsten der Kinderfürsorge veranstaltete Konzert am 6. Juli hatte einen großen Erfolg. Bei dichtbesetztem Saale erledigten die Sängerin und die zwei Basler Künstler ihr abwechslungsreiches Programm. Ueber das Konzert, das auch einen großen, finanziellen Erfolg zu verzeichnen hat, und in dem Frau Erika Wedekind ihre schönsten Weisen in vollendeter Kunst erklingen ließ, herrscht nur eine Stimme des Lobes. Herr Braun und Herr Schlageter gaben vorbildlich einige Konzertstücke wieder. Frau Wedekind und die beiden Herren haben sich für ihr selbstloses, gemeinnütziges Vorgehen den öffentlichen Dank verdient.“ [Ein Wohltätigkeitskonzert in Lenzburg. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 134, Nr. 187, 8.7.1913, 2. Abendblatt, S. (2)] Es handelte sich zugleich um Erika Wedekinds Abschiedskonzert, wie die Presse meldete: „In einem Wohltätigkeitskonzert in Lenzburg hat Erika Wedekind, die frühere Leuchte der Dresdener Hofoper, von der Oeffentlichkeit Abschied genommen. Sie gedenkt in Zukunft weder auf der Bühne noch in Konzerten mehr aufzutreten.“ [Erika Wedekinds Rücktritt. In: Oberländer Tagblatt, Jg. 37, Nr. 180, 5.8.1913, S. (1)] veranstaltet hatten u. Mieze sprechen wollten. Nachmittags gieng ich mit Lilly, Eva | aus Zürich u. Anna Pamela hinauf auf den Schlossberg u. ins Schloss, d. h. in den Hof. Eva Oschwald blieb bei Fanny Kadidja. Mieze schlief. Als wir zurückkamen, waren eben Frau Dr. HirzlThea Hirzel (geb. Henckell), Gattin von Dr. phil. Arnold Hirzel in Aarau, Schwester der mit Wedekind befreundeten Brüder Gustav und Karl Henckell. u. Bürgermeister Laue aus Cöln, von Aarau gekommen um Mama u. mich zu besuchen. Wir tranken zusammen Caffée u. ich gab Herrn Laue gleich den Brief an seine FrauTilly Wedekinds Brief an Marie Laué (Gattin von Wedekinds Schulfreund Walter Laué), den sie zu schreiben versprochen hatte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.6.1913], ist nicht überliefert. mit. Er lässt Dich herzlich grüßen u. hofft Dich eventuell noch hier zu sehen. Anna Pamela u. Fanny Kadidja haben ihm u. Fr. Dr. Hirzl sehr gut gefallen. |

Dann half ich Mieze bei der Toilette und um 6um 18 Uhr. begann das Concert. Lenzburg u. Umgebung waren versammelt, es war sehr voll; wir saßen in der ersten Reihe. Ausser Mieze waren noch Hr. Braun (Violoncell) u. Hr. Schlageter (Klavier) Mitwirkende. Es war wirklich ein schöner Abend, Mieze sang teilweise ganz wundervoll! Ich habe noch das Programm. Nachher fühlte sie sich sehr erleichtert, dass es vorüber war. Die Züricher MädchenLilli und Eva Wedekind (Nichten Frank Wedekinds in Zürich). mussten gleich nach dem Concert wegfahren, wir andern versammelten uns zum Abendessen. | Anna Pamela benimmt sich musterhaft, ich freu mich sehr über sie. Die Kleine ist herzig.

Nun ist Mieze’s Programm für nächste Zeit folgender Maaßen. Freitag ist Jugendfesttraditionelle jährliche Festveranstaltung in Lenzburg [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 181], die in diesem Jahr am 11.7.1913 (Freitag) stattfand., Samstag will sie nach Aarau um Fanny Hühnerwadel u. Fr. Dr. Hirzl zu besuchen. (Erstere war gestern zum Concert auch da.) Vielleicht fahre ich da mit ihr. Montag will sie nach Zürich. Sie forderte mich auf auch da mitzukommen, doch würde ich wenn es geht lieber mit Dir zusammen dahin gehen. Donnerstag kommt WaltherWalther Oschwald, Gatte von Erika Wedekind und Schwager von Frank Wedekind.. Mama meint | Walther wird höchstens 1 – 2 Tage bleiben, u. dann wollen Mieze u. Walther zusammen eine Tour durch die Schweiz für circa 10 Tage machen. Bis dahin wäre aber schon circa der 20., also fast noch 14 Tage. Ich glaube nicht, dass Du die Absicht hast solange zu bleiben, u. ich hatte sie eigentlich auch nicht. Falls es Dir aber nichts machen würde, mit Mieze hier zusammenzutreffen, so glaube ich, es wäre am Besten Du schreibst vorher ein paar Zeilen an sie.

Offenbar wartet sie nur darauf, und wäre dann sicher versöhnlich. | Aber sie fühlt sich doch sehr gekränkt, u. Du weisst wie sie ist. Man kann mit ihr nicht reden, sie beharrt auf ihrem Standpunkt u. verdreht einem das Wort im Munde. Darum muss man, um mit ihr zu verkehren ein Auge zudrücken. Es hängt also ganz von Dir ab, wie Du Dich entschließt. Mama würde es sehr bedauern, wenn sie Dich nicht sehen könnte. Es würde Dir ja nichts ausmachen in der Krone zu wohnen, u. essen könnten wir ja paarmal auch in der Krone. Auch würde es sich doch nur um ein paar Tage handeln, wir könnten | ja bis Walther kommt schon weg sein. Wenn wir aber noch da sind, schläft Eva dann die paar Tage bei mir im Zimmer. ÄnnchenAnna Wedekind, Tochter von Willy Wedekind und Nichte Frank Wedekinds. kommt morgen u. wird entweder bei Mama schlafen, oder bei der jungen Frau Zweifel oder bei Frau ZeilerMargot Zeiler (geb. Münch), Gattin von Gustav Ferdinand Zeiler, dem Sohn von Emilie Henckell (verwitwete Zeiler) und Stiefsohn von Gustav Henckell.. Alle haben uns schon ihre Fremdenzimmer angetragen auch Fr. Henckell mir das ihre. Es ist eigentlich ganz lustig, dieser Rummel.

Hoffentlich lässt Du Dich aber dadurch nicht abhalten u. schreibst mir bald Deinen Entschluss.

In treuer Liebe umarmt Dich,
Deine Tilly |


P. S. Viele Grüße von Mama u. den Kindern. Auf Wiedersehen!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß. 13,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Lenzburg
    7. Juli 1913 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Rom
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
266-267
Briefnummer:
399
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 7.7.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 17:01