T. W.
Lenzburg,
22.VI.13.
Geliebter Frank,
nachdem ich noch keine andere Adresse habe, sende ich diesden vorliegenden Brief.
u. 2 andere Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Georg Müller an Wedekind, 21.6.1913 (sowie ein weiterer nicht überlieferter Brief eines unbekannten Absenders). Der Absender Georg Müller geht aus einer späteren Bemerkung Tilly Wedekinds hervor [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.6.1913]. u. 1 Kartenicht überliefert (Absender nicht zu erschließen). an das Hotel de Russie. Freitag abends studierten
Mama u. ich die KartenLandkarten, um Wedekinds Reise von München über Mantua und Florenz nach Rom nachzuvollziehen. um den Weg zu verfolgen, den Du genommen haben könntest.
Nach dem Caffée hatte ich mit den Kindern u. AnnaAnna Wölfel, „das Münchner Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 125] einen Spaziergang nach Niederlenzetwa 2 Kilometer nördlich von Lenzburg gelegene Gemeinde.
gemacht, | obwohl es regnete, aber wir waren gut angezogen. Abends schrieb ich
MarthaDer Brief Tilly Wedekinds an ihre Schwester Martha Newes ist nicht überliefert. schickte ihr den Brief von Barnowskynicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Victor Barnowsky an Wedekind, 15.6.1913. u. gab ihr gute Ratschläge. Dann
gieng ich zu WüterichSchreibversehen, statt: Wüthrich (gemeint ist die Konditorei H. Wüthrich in Lenzburg). um Kuchen und Eis zu bestellen, da für Samstag Frau
Henckell u. Frau ZeilerMargot Zeiler (geb. Münch), verheiratet mit Gustav Ferdinand Zeiler, dem Sohn aus erster Ehe von Emilie Henckell mit Gustav Zeiler. ihren Cafféebesuch bei uns zugesagt hatten. Gestern
Vormittag machte ich das Regiebuchwohl das Regiebuch zu „König Nicolo“ mit Eintragungen von der Hand Tilly Wedekinds [vgl. KSA 4, S. 648], eines der Regiebücher, die ihr Mann ihr geschickt hat [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind. München, 19.6.1913]. fertig, schade dass nicht noch mehr da sind,
hattest Du nicht „Marquis v. Keith“ auch schon eingerichtet? Nachmittags machten
wir uns alle schön, es wurde schön gedeckt, Mama brachte viele | Rosen aus
ihrem Garten. Frau Henckell brachte für die Kleine ein herziges Kleidchen mit,
dassSchreibversehen, statt: das. sie ihr schon bevor ich hier war anprobiert hatte. Die Kinder waren beide
so lieb u. gefielen den Damen sehr! Es war ein sehr netter Nachmittag. Sie
erzählten viel von ihren amerikanischen
VerwandtenKarl Wilhelm Henckell, ein Bruder von Gustav und Karl Henckell sowie Schwager von Emilie Henckell, „wanderte mit 20 Jahren nach Amerika aus und wurde dort Tierarzt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 209]., dann sprachen wir auch von Hauptmann u. seinem FestspielWedekind hatte Gerhart Hauptmann zu seinem „Festspiel in deutschen Reimen“ (1913), ein Auftragswerk zur Hundertjahrfeier der Befreiungskriege, das am 31.5.1913 in der Jahrhunderthalle in Breslau uraufgeführt und nach elf von geplanten fünfzehn Vorstellungen am 18.6.1913 wieder abgesetzt wurde, telegrafisch gratuliert [vgl. Wedekind an Gerhart Hauptmann, 3.6.1913]., auch von
unsern Gastspielenzuletzt das „Franziska“ -Gastspiel vom 6. bis 12.6.1913 am Deutschen Volkstheater in Wien.. Abends badete ich. Leider regnet es immer noch. Wir
langweilen uns absolut nicht, aber freilich ist es im Garten doch viel schöner!
Hoffentlich hast Du gutes Wetter! | Ich bin schon sehr gespannt was Du
schreiben wirst, was Du alles gesehen hast u. was Du für Eindrücke hast.
Nun lebwohl! Von Mama herzliche Grüße, Küsse von den Kindern.
Innigst umarmt Dich,
Deine Tilly