Geliebteste
Tilly!
Heute Früh erhielt ich Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 15.6.1913. und Deine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.6.1913. zu
gleicher Zeit. Herzlichen Dank dafür. Ich habe Samstag und gestern Nachmittag
diktiert und werde heute noch diktierenWedekind diktierte dem Tagebuch zufolge am 14.6.1913 („Diktiere 2. Akt Simson“), 16.6.1913 („Diktiere Simson II.“) und 17.6.1913 („Diktiere Simson II fertig“) den 2. Akt von „Simson“ [vgl. KSA 7/II, S. 1266] und zwar „in einem Münchner Schreibbüro“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 203]; das war „Cito“ Büro für Schreibmaschinenarbeiten (Ludwigstraße 27, 3. Stock), Inhaberin: Amalie Mohr [vgl. Adreßbuch für München 1914, Teil I, S. 93], mit dem Wedekind schon früher zusammengearbeitet hatte [vgl. Tb 19.1.1910, 14.4.1910].. Die Abende war ich allein und
arbeitete an WettersteinWedekind bearbeitete sein Schauspiel „Schloß Wetterstein“ für den Abdruck in Band 6 der „Gesammelten Werke“ im Georg Müller Verlag, wobei im „Mittelpunkt die Umarbeitung des III. Aktes in Versform steht.“ [KSA 7/II, S. 658] Er notierte die Arbeit an seinem Stück am 15.6.1913 sowie am 17. und 18.6.1913: „Wetterstein gearbeitet.“ [Tb] außer gestern AbendWedekind notierte am 16.6.1913: „Krokodil.“ [Tb] Artur Kutscher, Karl Henckell und Hubert Wilm haben 1911 die Stammtischrunde „das ‚Junge Krokodil‘“ gegründet, „eine harmlose Gelegenheit zu regelmäßigen, ungezwungenen Zusammenkünften mit Gleichgesinnten“; man traf sich im Münchner Ratskeller, „dienstags, später montags“ [Kutscher 1960, S. 67f.]. Dem vorliegenden Brief zufolge war Wedekind in dieser Stammtischrunde mit Artur Kutscher, Karl Henckell, Ludwig Streit und Max Oppenheimer zusammen., wo ich mit Kutscher Henckel
Streit und OppenheimSchreibversehen, statt: Oppenheimer. Wedekind notierte am 17.6.1913: „Werde von Oppenheim gezeichnet“ [Tb] – gemeint war der Maler und Zeichner Max Oppenheimer (Mopp), der Wedekind porträtiert hat. im Krokodil war. Es freut mich sehr daß es Euch gut geht.
Lenzburg wird Dir jetzt wohl etwas einsam erscheinen aber mir ist es auch
durchaus nicht | um Gesellschaft zu thun. Ich hoffe, morgen Abend spätestens
Übermorgen reisenWedekind reiste am 19.6.1913 abends von München ab nach Rom und notierte in Vorbereitung dieser Reise am 16.6.1913: „Hole Paßkarte auf der Polizei“ [Tb]. zu können und fahre voraussichtlich direkt nach Rom durch. An
Barnowsky schrieb ich gesternnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Victor Barnowsky, 16.6.1913., seinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Victor Barnowsky an Wedekind, 15.6.1913. leg ich hier bei, vielleicht
sendest Du ihn Deiner SchwesterDie junge Schauspielerin Martha Newes dürfte Interesse an einem Engagement in Berlin gehabt haben – vermutlich Gegenstand der genannten Korrespondenz Wedekinds mit Victor Barnowsky (siehe oben), noch Direktor des Kleinen Theaters in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 294], zum Beginn der neuen Spielzeit am 15.9.1913 dann Direktor des Berliner Lessingtheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309].. Morgen oder übermorgen ist Hatwanys PremiereLudwig Hatvanys Schauspiel „Die Berühmten“ (1913 im Georg Müller Verlag erschienen) wurde am 18.6.1913 unter der Regie von František Zavřel („Franz Zavrel“) am Münchner Künstlertheater (Bühnenbild: Georg Fuchs) uraufgeführt; Tilla Durieux, die Gattin von Paul Cassirer (er dürfte im Publikum gesessen haben), spielte die weibliche Hauptrolle der Mathilde [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 306, 18.6.1913, General-Anzeiger, S. 2]. Wedekinds „Erdgeist“ spielt in diesem Stück als Lektüre der Hauptfigur eine Rolle: „Es ist wohl mehr als Zufall, daß sich unter den wenigen Büchern auf Mathildens Tisch ein Band Wedekind findet... In der Tat, es gibt seltsame Parallelen zwischen Mathilde und Lulu; auch zwischen Lucacs und Schön. Handelte es sich um Musik, so würde man vielleicht in Bezug auf manche Dialogketten sagen dürfen, es seien dies ungarische Variationen über ein Thema von Wedekind. Tilla Durieux’ Lulu hatte sich in Mathilde gewandelt.“ [Richard Elchinger: Die Berühmten. Schauspiel in drei Akten von L. Hatvany. Uraufführung im Künstlertheater am 18. Juni. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 309, 20.6.1913, Vorabendblatt, S. 1]
da ich aber keine Lust habe mit Cassirer zusammenzutreffen, werde ich mich
nicht darum kümmern. Leider habe ich hier noch sehr notwendige KorrekturenWedekind dürfte den 1. Akt seines Versdramas „Simson oder Scham und Eifersucht“ korrigiert haben; er notierte am 17.6.1913: „Beginne Simson I“ [Tb], am 18. und 19.6.1913 dann: „Diktiere Simson I“ [Tb]. zu
erledigen, so daß meine Zeit sehr knapp ist. Walther | Laue schreibt mirvgl. Walter Laué an Wedekind, 12.6.1913. wegen
eines Vortrages in Cöln und daß seine Frau schwer krank war, eine Operation
durchgemacht hat und nun aber wieder gesund ist. Dem muß ich auch noch
schreiben. An Lang, der am Sonntag seine Verlobung feierte habe ich in unser
beider Namen telegraphiertnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank und Tilly Wedekind an Willy Lang, 15.6.1913.. Über die Züricher LuluvorstellungDie Premiere der Tragödie „Lulu“ am 11.6.1913 im Pfauentheater in Zürich unter der Regie von Alfred Reucker [vgl. KSA 3/II, S. 1293f.] mit Johanna Terwin vom Deutschen Theater in Berlin in der Titelrolle war in der Presse mit einer Spielzeit von 20 Uhr bis nach 23 Uhr angekündigt: „Pfauen-Theater (Schauspielbühne des Stadt-Theaters.) Mittwoch, 8 bis 11 Uhr: Erstes Gastspiel Johanna Terwin: Zum 1. Mal: Lulu / Tragödie von Frank Wedekind. (Erhöhte Preise.)“ [Grütlianer, Jg. 63, Nr. 134, 11.6.1913, S. (4)] Die Theaterkritik bemängelte die Zusammenführung von „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ zu einem Stück: „Ob nun das Zusammenschweißen der Stücke zu einem fünfaktigen Drama dem logischen Zusammenhang und der Einheit der Handlung förderlich war, ist zu bezweifeln.“ [Pfauentheater. Wedekind: Lulu (11. Juni). In: Züricher Wochen-Chronik, Nr. 26, 28.6.1912, S. 312] Das ging wohl auf ein Urteil von Hans Trog zurück: „Es ließe sich fragen, ob Wedekind mit der Zusammenschweißung von zwei dramatischen Schöpfungen [...] zu einem an einem Abend zu bewältigenden Drama künstlerisch einen glücklichen Griff getan hat.“ [T.: Pfauentheater. Lulu von Wedekind. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 134, Nr. 164, 15.6.1913, 1. Blatt, S. (1)] Gustav W. Eberlein in der Zeitschrift „Die Ähre“ sprach dagegen von einer „vorzüglichen Inszenierung“ [KSA 3/II, S. 1294]. habe ich noch gar
nichts gehört, vielleicht schreibst Du mir noch was Du in Lenzburg darüber
erfahren | hast. Kutscher erzählte mir, v/d/aß seine Freundin Dir in
Wien Blumen geschicktTilly Wedekind hat während des „Franziska“-Gastspiels vom 6. bis 12.6.1913 am Deutschen Volkstheater in Wien Blumen von Artur Kutschers Geliebter Helly Steglich erhalten [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.6.1913]. habe. Leider wußte ich gar nichts davon oder sollte ich
es vollkommen vergessen haben?
Nun leb wohl, liebe Tilly. Grüße Mama und die Kinder herzlich
und sei innigst gegrüßt
von Deinem
Frank.
17.6.13.