Kennung: 3485

München, 5. Juli 1912 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

Geliebteste Tilly!

Warum denn gleich so aufgeregtvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 4.7.1912 (erster Brief)., wenn Du einen einzigen Tag keine Nachricht hast, sonst habe ich Dir so viel ich weiß jeden Tag geschrieben. Es ist mir nicht eingefallen Dir etwas übel zu nehmen, über jeden deiner Briefe und deine Carten habe ich mich sehr gefreut. Ich werde mich freuen wenn Du mit Henckells Ausflüge machst und Dich mit den Zürichern gut verträgst. Daß ich mir Armin JuniorFrank Wedekinds Neffe Armin Wedekind, der Sohn seines gleichnamigen Bruders in Zürich, studierte seit dem Wintersemester 1911/12 in München Medizin; er suchte seinen Onkel gelegentlich auf und besuchte mit ihm dessen Stammlokale [vgl. Tb]. zuerst zu nah kommen ließ so daß er mir später auf die Nerven ging ist ja nicht seine Schuld und ich würde es ihn auch nie entgelten lassen. Ich wünsche nun nur, daß Du Dich nicht mit Mieze verzankst. Ihre haarsträubende Prahlerei ist ja allerdings | schwer zu verdauen. Eben so sicher ist aber, daß, wenn sie einen wirklich verletzt, sie selber nicht die leiseste Ahnung davon hat und jede Absicht ausgeschlossen ist.

Bei dem fortwährenden Regen, der seit Sonntag anhielt, war mir die Wohnung das behaglichste. Die Tapete in meinem Schlafzimmer gefällt mir außerordentlich gut und mit dem Tapezieren des Eßzimmers wartet man wol am besten, bis die helle Tapete nicht mehr sauber genug aussieht.

GesternWedekind notierte am 4.7.1912 seine Begegnungen mit Wilhelm Rosenthal, Erich Mühsam und Georg Schaumberg (nicht die in der Postkarte erwähnten mit Karl Henckell und Artur Kutscher): „Generalversammlung des Neuen Verein. Nachher T.St. mit Rosenthal Mühsam Schaumberg e.ct.“ [Tb] Erich Mühsam notierte zu der Versammlung des Neuen Vereins (siehe unten): „Zu jener Sitzung war ich nicht nur durch die offizielle Mitteilung an alle Mitglieder eingeladen, sondern noch speziell durch einen Brief des Vorsitzenden Dr. Rosenthal. Im Nebensaal des Künstlerhauses waren gegen 30 Personen versammelt und es wurde über die Wirksamkeit des Neuen Vereins beraten. [...] Nachher sprach ich über Maßnahmen, die gegen die Übergriffe der Polizeizensur zu ergreifen seien, und die Diskussion darüber gestaltete sich sehr lebhaft. Ich schlug vor, in öffentlichen Versammlungen, die vom Neuen Verein zu berufen seien, gegen die ganze Institution der Zensur zu protestieren. Aber die Leisetreter behielten Recht. [...] mir wurde später von vielen bestätigt, daß mein Auftreten dort und der kämpferische Ton, den ich in den völlig friedlichen Vereinskreis bringe, sehr wohltätig empfunden werde. – Ein starker Rest der Versammlung fand sich nachher in der Torggelstube zusammen, darunter Rosenthal, Wedekind, Schaumberg, Henckell etc. Zur Diskussion stand die Frage, warum sich die Intellektuellen von allem sozialen Leben fernhalten.“ [Tb Mühsam, 6.7.1912] war ich in einer Sitzung des Neuen VereinsDer Ende 1903 in Nachfolge des Akademisch-Dramatischen Vereins gegründete Neue Verein e.V. (Vereinslokal: Türkenstraße 28, Geschäftsstelle: Buchhandlung Heinrich Jaffe, 1. Vorsitzender: Dr. Wilhelm Rosenthal [vgl. Adreßbuch für München 1913, Teil III, S. 203]), veranstaltete vor allem geschlossene Vorstellungen neuer Dramen. „Die von der Polizei verbotenen Stücke Wedekinds wurden vom ‚Neuen Verein‘ vor geladenem Publikum gespielt“ [Mühsam 2003, S. 137]. und nachher mit Henckell Kutscher Rosenthal und Schaumberg zusammen, die Dich | alles grüßen lassen. Heute sieht es fast so aus als wollte schönes Wetter kommen. Dann werde ich möglichst viel spazieren gehn, was mir sehr nottut.

Hoffentlich wird das Jugendfest heute nicht verregnet. Aber auch dann ist es noch ganz lustig für die Kinder. Nun leb wohl liebe Tilly. In Bamberg bin ich gar nicht gewesen weil der Zug über Regensburg fuhr und ich deshalb schon Sonntag in München war. Grüße alle aufs herzlichste und sei innigst umarmt von
Deinem
Frank.


Schreib mir ob ich Dir Franziska schicken soll.


5.7.12.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Kariertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    5. Juli 1912 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
226-227
Briefnummer:
344
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 5.7.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 15:36