Sehr verehrter Herr Salten!
Sehr spät komme ich dazu, Ihnen für die flammende ZustimmungWedekind bezieht sich auf Felix Saltens Feuilleton „Die Künstler sollen reden“ [in: Die Zeit (Wien), Jg. 9, 26.6.1910, S. 1], das zugleich eine Rezension von Wedekinds Streitschrift „Schauspielkunst. Ein Glossarium“ ist. Salten begrüßte Wedekinds fundamentale Kritik am Zustand des geistigen Lebens und dem Unverständnis, mit dem seiner Ansicht nach sowohl der Schauspielstand als auch die Theaterkritik der modernen Dichtung begegneten, nachdrücklich als eine mutige Initiative. Vor allem jedoch unterstrich er Wedekinds Grundgedanken über eine vorherrschende mangelnde Solidarität der produzierenden Schriftsteller untereinander sowie die daraus resultierende ‚Herrschaft der Unfruchtbaren‘ und ging dabei noch über Wedekind hinaus, dessen Polemik schwerpunktmäßig auf den Theaterbetrieb gezielt hatte: „Die breite Öffentlichkeit ist genasführt von einer Horde, die, unfähig zu eigener Leistung, so tut, als würde sie für Reinlichkeit sorgen. Und die schaffenden Geister sind durch das wüste Lärmen dieser schmutzigen Pedanterie um das Beste betrogen: um geistige Freundschaft. Es soll einmal gesagt werden, daß es unter den schöpferisch arbeitenden Männern in Deutschland keinen einzigen gibt, der diese Gewaltherrschaft nicht schmerzlich empfände, nicht einen, der seine Vereinsamung, seinen Mangel an edler Geselligkeit nicht seufzend beklagte. […] Ist es denn dem lieben Publikum nicht aufgefallen, daß keiner von den bedeutenden Künstlern, die es kennt, jemals in unseren Tagen für den anderen eingetreten ist, während doch in früheren Zeiten oft genug einer für den anderen das Wort ergriff, preisend oder zum Schutz? […] Die künstlerisch Mittellosen sind die Fanatiker der Armseligkeit, und an ihre Tyrannei, an ihre Arroganz, an ihre Schädlichkeit müssen wir denken, wenn wir Frank Wedekinds anklagenden Ruf weitergeben. […] Da kann der Schauspieler den großen Stil nicht finden, den Wedekind ersehnt. Wir ersehnen ihn alle. Wir sind alle unzufrieden. Aber die Wurzeln unseres Unbehagens greifen in tieferes und breiteres Erdreich, als es das Theater ist. Möchte die Auflehnung, mit der Frank Wedekind begann, auch den anderen Künstlern noch die Zunge lösen. Die Künstler sollen reden. Die anderen haben lange genug schon geschwätzt.“ [zit. n. dem Neudruck in Felix Salten: Schauen und Spielen. Studien zur Kritik des modernen Theaters. Bd. 1: Ergebnisse, Erlebnisse. Wien, Leipzig 1921, S. 79-87, hier: S. 83f. u. 86f.]
zu danken, die Sie meiner Broschüre in Ihrem interessanten Aufsatz in der Zeit
zutheil werden ließen. Ich muß Ihnen um so mehr dafür danken, da ich gerade die
öffentlichen Erörterungen meiner kleinen Schrift für die wichtigste und beste
Folge halte. Es kommt mir gar nicht darauf an, mit dem was ich sagte, Recht zu
haben oder zu behalten. Dagegen halte ich es für uns alle für vortheilhaft
wenn die Erörterung dieser Frage in der Schwebe bleibt, wenn sie von jedem bei
jeder Gele|genheit wieder aufgerollt werden kann, kurz und gut wenn wir das
Recht in Anspruch nehmen und erkämpfen, uns selber vertheidigen zu dürfen.
Herr Albert Helms in Hamburg, der sich jedenfalls auch an
Sie gewandt hat gründet eine RevueGemeint ist die literarische-kulturelle Halbmonatsschrift „Die Zeitschrift“ (1910–1913), deren erste Ausgabe am 8.10.1910 erschien. Soweit ermittelt, hat Wedekind nicht an dieser Zeitschrift mitgearbeitet. in der ich Ihnen gerne auf Ihre Ausführungen
in der „Zeit“ antworten würdeDies ist nicht geschehen. .
Mit besten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München, 26.7.10.