München, 7.XI.1916.
Sehr verehrter Herr Fritz Engel!
Durch Ihr Urtheilnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Fritz Engel an Wedekind, 6.11.1916. Der Feuilletonredakteur des „Berliner Tageblatt“ hat eine Szene aus Wedekinds neuem Versdrama „Herakles“ zum Vorabdruck angenommen (siehe unten). über die Scene„Nessos“ [KSA 8, S. 262-267], die Szene II/6 aus dem Versdrama „Herakles. Dramatisches Gedicht in drei Akten“ (1917), die zuerst geschriebene Szene des Stücks [vgl. KSA 8, S. 870], die Wedekind am 30.10.1916 beendet hatte: „Nessos fertig geschrieben.“ [Tb] „Eine Abschrift schickte Wedekind an den Redakteur und Kritiker des ‚Berliner Tageblatts‘, Fritz Engel, der den Text wohlwollend aufnahm und zum Abdruck empfahl.“ [KSA 8, S. 870] haben Sie mir eine sehr
große Freude gemacht, umsomehr, da ich die Scene noch niemandem zu lesen
gegeben habe und doppelt auf Ihr Urtheil gespannt sein mußte. Mit dem Honorar
von M. 200,‒ und
der Veröffentlichung um WeihnachtenWedekinds Szene „Nessos“ aus „Herakles“ (siehe oben) erschien im Vorabdruck zusammen mit Texten von Heinrich Mann, Hermann Sudermann, Lovis Corinth, Max Bernstein, Heinrich Lilienfein, Hugo Salus, Johannes Vilhelm Jensen, Hans Brennert und Will Vesper in einer Weihnachtsbeilage des „Berliner Tageblatts“ unter der Gesamtüberschrift „Zum dritten Male Weihnacht im Kriege! Verse, Erinnerungen und Geschichten“; dem Text Wedekinds ist folgende redaktionelle Einleitung vorangestellt: „In dieser hier zum ersten Male gedruckten Dichtung gestaltet Frank Wedekind ein Stück der Heraklessage. Herakles tötet den Kentauren Nessos, der sich an Dejaneira vergreift, als er sie über den Fluß Euenos tragen soll. Sterbend gibt der Kentaur der Dejaneira einen Liebeszauber: sein Blut, gemischt mit dem Gift vom Pfeil des Herakles. In Wahrheit ist dieser Zauber ein Rachewerk. Als Dejaneira, eifersüchtig auf Jole, Herakles mit einem vom Blute des Nessos getränkten Gewande bekleidet, brennt das Gift dem Unglücklichen das Fleisch vom Leibe. Diese Sage hat in den ‚Trachinerinnen‘ Sophokles behandelt. Wedekinds Szene klingt in dem Hohn des Nessos aus, der für sein Todesgeschenk den mitleidigen Dank Dejaneiras hört.“ [Frank Wedekind: Nessos. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 658, 24.12.1916, Morgen-Ausgabe, 4. Beiblatt, S. (2-3), hier S. (2)] bin ich einverstanden.
Mit ausgezeichneter Hochschätzung und ergebenstem Gruß Ihr
Frank Wedekind.