Mittwochder 1.11.1911.
abends.
Geliebter Frank,
vielen Dank für Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.11.1911.! Ich war schon in Sorge, da ich
heute Früh doch Nachricht erwartete. Gestern abends war ich bei Fr. Albu, wo’s sehr nett
war. Heute Vormittag habe ich bei Fr. Justizr. Bernstein u. Fr. Porges Besuch gemacht. | Erstere war nicht zu Hause, Frl. Gabriele auch
nicht, aber Fr. Porges war sehr lieb u. lässt Dich grüßen. Martha, die gestern mit
einem Bekannten im Theater war, traf Armin der sie frug, ob er heute zu Tisch
kommen dürfe. Sie sagte ja. Ich hatte eigentlich die Absicht ihn für
Nachmittags einzuladen. Nach Tisch giengen wir mit ihm u. den Kindern
spazieren; nach dem Kaffee gieng er mit | Martha weg. Sie sind in die „Ahnfrau“
gegangenTilly Wedekinds Schwester Martha Newes und Frank Wedekinds Neffe Armin Wedekind besuchten eine Vorstellung von Franz Grillparzers Tragödie „Die Ahnfrau“ im Hoftheater, die am 1.11.1911 (nicht aber die Tage davor) auf dem Spielplan stand [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 64, Nr. 512, 2.11.1911, Generalanzeiger, S. 2].. Ich bin allein, u. fühle mich sehr wohl. Armin spielte auch Clavier.
Anna Pamela sprach ich die Theaterscenedie als „Königsposse“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 157] angelegte Spiel-im-Spiel-Szene im 3. Aufzug (8. Bild) von „König Nicolo oder So ist das Leben“ mit König Nicolo und Alma [vgl. KSA 4, S. 280-283]. aus „So ist das Leben“ vor, während ich
sie zu Bett brachte. Jetzt werdet Ihr gerade so weit seinAnspielung auf die Inszenierung von „König Nicolo“ am Neuen Schauspielhaus in Königsberg, die am 1.11.1911 mit Wedekind in der Titelrolle Premiere hatte.. –
Das Kleine ist sehr lieb. Ich gebe ihr nur noch Früh u.
abends, tags|über Fläschchen. In paar Tagen hör’ ich ganz auf.
Die KritikPressestimmen zu Wedekinds Vortragsabend „‚Gedanken‘. Ethische und ästhetische Probleme“ am 29.10.1911 im Klindworth-Scharwenka-Saal in Berlin, bei dem er unter anderem den Prolog zu „König Nicolo“ und den 3. Akt aus dem neuen Stück „Franziska“ las, wohl insbesondere die vernichtende Kritik im „Berliner Tageblatt“, dessen Rezensent meinte: „Gedanken sind etwas anderes. [...] Was Wedekind Gedanken nennt, das sind bestenfalls Raketen. [...] was übrig bleibt, ist bestenfalls Rauch.“ [Th.T.: Wedekind und sein neues Drama. In: Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 555, 31.10.1911, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (2)] ist unerhört! Bertl schrieb mirDer Brief von Dagobert Newes an seine Schwester Tilly Wedekind ist nicht überliefert. von Deinem großen
Erfolg!
Wie ist’s in Königsberg? Und was ist mit Tilsit„In Tilsit fand weder ein Vortrag noch ein Gastspiel 1911/1912 statt.“ [Vinçon 2018, Bd. 1, S. 154]? Aber das
wird wohl alles in Deinem Brief stehen, auf den ich mich sehr freue!
Viele Küsse von den Kindern
u. Deiner Tilly