Frau
Tilly Wedekind
München
Prinzregentenstrasse 50
Geliebte Tilly!
Eben war ich mit Rudolf bei HartmannWedekind, der am 26.2.1910 von München zu einer Vortragsreise aufgebrochen ist, die ihn zunächst nach Wien führte, war mit seinem Schwagers Rudolf Newes mittags sowie nach seiner Lesung (siehe unten) abends im Restaurant Hartmann (Kärntnerring 10), wie er am 27.2.1910 notierte: „Rudolf holt mich ab. Mittag bei Hartmann [...] Mit Rudolf bei Hartmann. Singer Dörmann e.ct.“ [Tb] in Gesellschaft des
alten Singer, Dörmanns und der anderen Tafelrunde. Der VortragWedekinds Lesung, veranstaltet von der Vereinigung der arbeitenden Frauen, fand am 27.2.1910 im Festsaal des Ingenieurs- und Architektenvereins (Wien I, Eschenbachgasse 9) um 19 Uhr statt [vgl. Neue Freie Presse, Nr. 16350, 27.2.1910, Morgenblatt, S. 14]. Wedekind las die Erzählung „Der Brand von Egliswyl“ [vgl. KSA 5/I, S. 428], „die Scene ‚Lamia, eine Geisterbeschwörung‘“ [Vorlesung Frank Wedekinds. In: Neue Freie Presse, Nr. 16351, 28.2.1910, Nachmittagsblatt, S. 7] aus „Der Stein der Weisen“ [vgl. KSA 6, S. 1009], den Dialog „Rabbi Esra“ [vgl. KSA 6, S. 351] und als Zugabe „Der blinde Knabe“ – „die bekannte, sehr wirksame Ballade ‚Vom blinden Kind‘, die auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlte.“ [Vorlesung Frank Wedekinds. In: Neue Freie Presse, Nr. 16351, 28.2.1910, Nachmittagsblatt, S. 7] ging leidlich
vorbei obschon ich ganz heiserWedekind notierte am 27.2.1910 zu seiner Lesung (siehe oben): „Vortrag. Ich bin stockheiser.“ [Tb] war. Aber das milde Wetter hier thut mir sehr
gut. Sonst habe | ich noch keine Bekannten gesehen. Ich würde Dich nun bitten,
geliebte Tilly, die Lamiasceneder 5. Auftritt (der Dialog zwischen dem jungen Mädchen Lamia und Basil) von Wedekinds Versdrama „Der Stein der Weisen“ [KSA 6, S. 256-263]; Wedekind trug ihn bei seiner Lesung vor (siehe oben). textlich zu bewältigen, bis
ich zurückkomme. Sie ist nicht schwer zu lernen, da alles Schlager sind.
Morgender 28.2.1910 – Wedekinds Gespräch mit Anton Geiringer (im Tagebuch nicht vermerkt) fand statt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.2.1910], die Verhandlung mit der Neuen Wiener Bühne erst am 2.3.1910 [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 2.3.1910]. denke ich mit Geiringer und der Neuen Wiener Bühne zu verhandeln. Ich
hoffe, geliebte Tilly, daß es Dir und Annapamela gut geht. Ich fahre
voraussichtlich erst am 3.Wedekind reiste am 3.3.1910 nach Olmütz zu seiner nächsten Lesung: „Abfahrt von Wien. Versäume umzusteigen, fahre bis Abends 8 Uhr. Vortrag in Olmütz.“ [Tb] nach Olmütz, da um Mittag ein bequemer Zug geht der
früh genug dort ankommt.
Ich küsse Dich und Annapamela
Dein Frank
Sonntagder 27.2.1910. Abend.