Lieber Walther!
zwei oder drei Tage nach deinem freundlichen
BesuchWalther Oschwalds Besuch auf der Festung Königstein war für Freitag, den 20.10.1899 geplant [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 18.10.1899]. schrieb ich an Donaldnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.10.1899.. Heute erhalte ich die Nachricht von Mamanicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 30.10.1899. daß Frankfurternicht identifiziert; vermutlich ein Vermittler in den Bemühungen um einen Rückkauf der von Donald Wedekind veräußerten Anteile am Haus Steinbrüchli in Lenzburg [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1899]. Der Brief von Frankfurter an Walther Oschwald ist nicht überliefert.
dir in entgegenkommender Weise geantwortet. Ich gebe mich keinen Illusionen
hin. Damit ist im großen ganzen noch nichts Positives gewonnen. Aber die Sache
ist doch so weit daß Donald sie nun selbst weiter führen könnte. Immerhin
werden wir beide gut thun noch auf dem Quivive zu seinRedewendung: auf der Hut sein, aufpassen..
Mit großem Bedauern höre ich von dem UnfallÜber Erika Wedekinds Auftritt in Daniel-François-Esprit Aubers komischer Oper „Carlo Broschi oder: Des Teufels Antheil“ in Breslau berichtete die Presse: „Frau Erika Wedekind aus Dresden, die sich seit einiger Zeit zum ständigen Gaste unserer Bühne entwickelt hat, war wieder einmal herübergekommen, um den Carlo Broschi zu trillern. Nur hatte sie sich ein wenig zu viel zugemuthet. Abends Vorstellung in Dresden, Nachts Courierzug, Früh Broschi-Probe in Breslau – kein Wunder, daß sie, in den koketten Höschen des Neapolitaners vor dem ausverkauften Hause erscheinend, stockheiser war. Nach dem ersten Acte große Verlegenheitspause. Hinter den Coulissen ein Getümmel von Aerzten und Rathgebern, vergebliche Eilpostentsendung an die heimische Vertreterin der Rolle, Frl. Röhl. Endlich ließ sich Frau Wedekind bestimmen, weiter zu singen oder vielmehr weiter zu lispeln. Sie schien sich übrigens wenig ans dem Malheur – des Publicums zu machen. Weit aufgeregter waren ihre Partner. Und die Aufführung stockte an allen Ecken und Enden.“ [Breslauer Bühnenbrief. In: Der Humorist, Jg. 19, Nr. 31, 1.11.1899, Beilage, S. (1)]. der
Mieze in Breslau betroffen. | Ich wünsche herzlichst, daß die Störung vorüber
und sie sich wieder vollkommen wohl befindet.
Der SpiegelWedekind hatte seine Mutter um die Zusendung eines Handspiegels nach seiner Beschreibung gebeten [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 27.10.1899]. Emilie Wedekind hat den Auftrag offenbar an Walther Oschwald weitergegeben., den f/D/u so freundlich warst
mir zu besorgenDas Begleitschreiben zur Übersendung des Spiegels ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Walther Oschwald an Wedekind, 30.10.1899., entspricht vollständig seiner Bestimmung. Die LorleiDie auf Clemens Brentano („Das Mährchen vom Rhein“, 1812) zurückgehende und durch Heinrich Heines Gedicht („Die Lore-Ley“, 1824) popularisierte Sagengestalt der Loreley bringt durch ihren Gesang nicht nur Schiffe auf dem Rhein zum Kentern, sondern kämmt dabei, auf einem Felsen sitzend, ihr goldenes Haar und bot sich daher als Ziermotiv für einen Handspiegel an., die
hinten drauf ist hatte ich zwar vergessen aber der Zufall will daß die
EmpfängerinDer Handspiegel war als Geburtstagsgeschenk für Beate Heine zu ihrem 40. Geburtstag am 31.10.1899 vorgesehen [vgl. Wedekind an Beate Heine, 2.11.1899 und Beate Heine an Wedekind, 5.11.1899]. Wedekind nahm an, der Geburtstag sei am 5.11.1899 [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 27.10.1899]. Beate Heine war ausgebildete Konzertsängerin und früher als Liedersängerin aufgetreten. auch singt, wie das wird ihr ja der Spiegel nicht verraten.
Und nun die TrilbyDer nach seiner Heldin Trilby O´Farrell benannte Roman von George du Maurier war 1896 bei Robert Lutz in Stuttgart in der Übersetzung von Margarete Jacobi auf Deutsch erschienen und erlebte in kürzester Zeit zahlreiche Neuauflagen, zuletzt 1897 die 11. Auflage. Der Verkaufspreis der Ausgabe betrug gebunden 5,50 Mark, broschiert 4,50 Mark., das Buch kostet ein Vermögen,
das nehme ich nicht als Geschenk; ich rauche immer noch von deinen CigarrenWalther Oschwald hat Wedekind in der Haft auf der Festung Königstein mit Tabak versorgt [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 16.10.1899 und den Bestellzettel in: Wedekind an Walther Oschwald, 18.10.1899].,
von deinem Tabak. Auf jeden Fall sprechen wir noch darüber. Das Pfund TheeAußer um den Spiegel hatte Wedekind in seinem letzten Brief an seine Mutter auch um Tee gebeten [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 27.10.1899]. Das Begleitschreiben dazu ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 30.10.1899. habe
ich noch erhalten, ebenso die Zeitungen und bitte Dich, Mama meinen herzlichen |
Dank zu sagen für ihre Mühe.
Heute erhalte ich zum ersten Mal ein Gedicht von
mir in Composition zugeschicktDas Begleitschreiben zu der Partitur ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hermann Bischoff an Wedekind, 25.10.1899.; nicht etwa für FrauenstimmeHermann Bischoffs Vertonung von Wedekinds Gedicht „Das Goldstück“ war „für eine mittlere Stimme und Clavier“ (siehe unten) gesetzt. Erika Wedekind (Mieze) war Koloratursopranistin., Mieze hat nichts
davon zu fürchten. Es ist von einem Münchner Componisten Hermann Bischoff, „Das
Goldstück“. Leider kann ich nichts damit anfangen, da ich kein Klavier habe und
es oben drein in hochmoderner CompositionHermann Bischoff hat seine Vertonung von Wedekinds zuerst am 23.1.1897 im „Simplicissimus“ veröffentlichten und dann in die Sammlung „Die Jahreszeiten“ (1897) aufgenommenen Gedicht „Das Goldstück“ [KSA 1/I, S. 378f.] „für ‚mittlere Stimme und Clavier‘ [...] 1899 als op. 7 im Verlag Ferd. Heckel, Mannheim“ [KSA 1/III, S. 511] publiziert. Wedekind selbst komponierte in der ersten Jahreshälfte 1901 zu seinem Gedicht eine eigene Melodie [vgl. KSA 1/III, S. 87-89, 507-511]. gehalten ist. Auf jeden Fall sieht es
gut aus.
Ich suche nach Kräften die Weltabgeschiedenheit
zu nutzenWährend seiner Festungshaft vom 21.9.1899 bis 3.2.1900 auf der Festung Königstein im Elbsandsteingebirge überarbeitete Wedekind das Manuskript zum „Marquis von Keith“ [vgl. KSA 4, S. 413, 416f.]. , die mir hier oben geschaffen ist. Ich thue mein möglichst um meinen
männlichen Figuren Charakter und den weiblichen Plastik zu geben.
Was Donald betrifft halte ich an dem Regime fest,
wie wir es besprachenDonald Wedekind sollte, vermutlich wegen seiner Morphinabhängigkeit, demnach vor allem kein Geld erhalten, sondern anderweitig unterstützt werden [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 16.10.1899].. Wir | dürfen ihm gegenüber seine Lage nur vom streng
praktischen d. h. moralischen Standpunct aus behandeln. Ich habe Mama vom
Moralisieren nur deshalb abgeratenvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 27.10.1899., weil ihr die praktische Autorität fehlt,
sowie es auch zwischen Mieze und Donald war.
Noch Eins: Ich halte es für na/bei/nah
ausgeschlossen, daß sich Unverdaulichkeiten von seiner Seite zeigen sollten.
Sollte etwas vorkommen, was du dann auch thun magst, darüber hast nur Du
entscheiden, so bitte ich dich nur, mich in Kenntnis zu setzen. Aber ich halte
es wie gesagt kaum für möglich.
Mit den herzlichsten Grüßen an Mama, deine liebe
Frau und dich
Dein
Frank Wedekind.
Festung Königstein
31.X 99.